Die Fußball-Weltmeisterschaft läuft auf Hochtouren und zumindest hierzulande auch die Debatte über den diesjährigen Austragungsort. Denn Katar steht wegen der Lage der Menschenrechte und Pressefreiheit heftig in der Kritik.
Für den Bundesverband Deutscher Anzeigenblätter (BVDA) sprachen darüber die Redaktionsleiter Tobias Farnung (MGV GmbH, Fulda) und Hendrik Stein (FUNKE Berlin Wochenblatt GmbH, Berlin) mit dem Geschäftsführer von „Reporter ohne Grenzen“, Christian Mihr, und dem menschenrechtspolitischen Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, Michael Brand.
Wie halten Sie es persönlich mit der WM in Katar?
Christian Mihr: Ich schaue mir das eine oder andere Spiel zwar an, werde aber nicht müde, diese Veranstaltung zu kritisieren. Die Lage der Menschenrechte und der Pressefreiheit in Katar ist schlimm.
Michael Brand: Mir ist bei dieser WM die Freude am Fußball komplett vergangen. Daher findet sie dieses Mal ohne mich statt. Es geht der FIFA nicht um den Sport, sondern lediglich um Kommerz. Leider duckt sich der DFB angesichts der Korruption im Weltfußballverband weg.
Kann ein Event wie eine Fußball-WM nicht auch die Lage im Land verbessern?
Christian Mihr: Das wird oft und gerne behauptet. Diese These ist allerdings historisch widerlegt. Wir hatten beispielsweise Olympische Spiele in China und eine WM in Russland. Das sind zwei Großereignisse, bei denen es im Anschluss keine Verbesserungen in Sachen Menschenrechte oder Meinungsfreiheit gegeben hat. Das Gegenteil ist der Fall.
Wie sieht die weltweite Tendenz in Sachen Presse- und Meinungsfreiheit aus?
Christian Mihr: Pressefreiheit und auch andere Menschenrechte sind weltweit auf dem Rückzug. Die Demokratien werden zunehmend zur Minderheit.
Michael Brand: Wir befinden uns mitten im Kampf um unsere freiheitlichen Werte. Die autoritären Staaten und Diktaturen treiben die Einschränkung von Meinungs- und Pressefreiheit immer weiter voran. Das sieht man zum Beispiel in China, in Russland oder in der Türkei. Aber auch in Europa ist manches nicht in Ordnung. Wir müssen nur nach Ungarn schauen. Oder aktuell nach Serbien – in einem EU-Beitrittskandidaten, der kürzlich ein Bündnis mit Putin geschlossen hat.
Aber auch in Deutschland steht nicht alles zum Besten. Im weltweiten Vergleich belegen wir nur Platz 16. Wo liegen hier die Probleme?
Christian Mihr: Eine Haupterklärung für diesen Ranglistenplatz ist die Zunahme von Gewalt gegen Journalisten. Dabei handelt es sich vor allem um Taten aus dem Querdenker-Milieu. Das hat in den vergangenen drei Jahren dazu geführt, dass Journalisten etwa nicht mehr frei über Demonstrationen berichten konnten. Es gibt aber darüber hinaus einige strukturelle Einflüsse – etwa die stärkere Medienkonzentration und den damit verbundenen Verlust an Medienvielfalt.
Nicht wenige Deutsche zweifeln an der Pressefreiheit in unserem Land. Bereitet Ihnen das Sorge?
Christian Mihr: In den vergangenen Jahren hat sich das Misstrauen gegenüber den Medien nicht signifikant erhöht. Das zeigen zahlreiche langfristige Studien. Im Gegenteil: Seit Beginn der Corona-Pandemie ist das Vertrauen sogar leicht gestiegen. Aber grundsätzlich sind es immer 20 bis 30 Prozent der Bevölkerung, die den Medien misstrauen. Ich finde, das ist auch ein Ausdruck einer funktionierenden Demokratie, die Zweifel an Medien ermöglicht. Was mir Sorge bereitet, ist aber die zunehmende Gewalt gegenüber Journalisten.
Ist die hohe Glaubwürdigkeit von Anzeigenblättern darauf zurückzuführen, dass sie vor allem über sehr lokale Themen berichten, die für die Leser auch nachprüfbar sind?
Christian Mihr: Das könnte ein Grund sein. Auf jeden Fall leisten die kostenlosen Wochenzeitungen einen wichtigen Beitrag zur Meinungsvielfalt in Deutschland. In meiner Heimat wurde aus zwei Tageszeitungen irgendwann nur noch eine. Da hat sich das lokale Anzeigenblatt als echter Konkurrent hervorgetan. Und diese Konkurrenz ist für die Vielfalt auch notwendig.
Diese Vielfalt ist heute durch steigende Papierpreise und Zustellkosten sowie Veränderungen des Werbemarkts gefährdeter denn je. Ist hier die Politik gefragt?
Michael Brand: Die Anzeigenblätter spielen eine wichtige Rolle. In Zeiten von Algorithmen, Twitter und alternativen Fakten ist es wichtig, dass wir redaktionell gut gemachte lokale Blätter haben, die die Menschen in ihrem Umfeld abholen. Darum ist es wichtig, dass Demokratie reagiert und Presseförderung nicht nur digitale Transformation der Verlage fördert, sondern auch für gedruckte kostenlose Lokalzeitungen Fördermöglichkeiten bietet. In einer Demokratie müssen wir alle ein Interesse daran haben, dass unabhängige Medien in der Fläche und in gedruckter Form für alle verfügbar zu halten. „All things are local“ heißt ein wichtiger Satz. In den USA hat das Sterben guter lokaler Berichterstattung viel zur Krise der Demokratie beigetragen. Zudem gibt es noch immer viele Menschen, die Informationen lieber gedruckt aufnehmen möchten.