Bayerns Kultusminister Dr. Ludwig Spaenle will nach eigenen Angaben den „ersten schulischen Lebensbogen“ und damit vor allem die Grundschule noch stärker als bisher auf die Entwicklung des einzelnen Kindes hin abstimmen. „Vom Kindergarten bis zum Weg auf die weiterführende Schule – also sechs Jahre lang – müssen wir unsere Kinder noch stärker als bisher entwicklungsgerecht fördern. Dabei darf nur das einzelne Kind und seine individuelle Entwicklung im Mittelpunkt stehen“, so der Minister. Das Prinzip „Für alle Kinder sechs Jahre lang das Gleiche“ sei der falsche Weg.
Die Vorschläge von Kultusminister Spaenle zur Grundschule sind nach Ansicht des Vorsitzenden im Bildungsausschuss des bayerischen Landtags, Hans-Ulrich Pfaffmann, weder kindgerecht, noch brächten sie einen pädagogischen Fortschritt. Spaenle versuche den Eindruck zu erwecken, er wolle künftig eine sechsjährige Grundschulzeit realisieren, so der SPD-Bildungssprecher. Was Bayerns Eltern, Lehrer und Schüler brauchen, sei eine nachhaltige Schulreform mit folgenden Zielen: „Abschaffung des Übertrittszeugnisses und Freigabe des Elternwillens bei der Schullaufbahnentscheidung. Eine bedarfsgerecht Finanzierung der Grundschule mit dem Ziel, dass keine Klasse über 20 Schüler hat sowie der Ausbau der Grundschulen mit gebundenen Ganztagsangeboten“, fordert Pfaffmann.
Auf dem sechsjährigen pädagogischen Weg hat die Grundschule nach Ansicht des Kultusministers als einzige verpflichtende Bildungseinrichtung für alle Kinder eine Schlüsselrolle. „Gemeinsam mit der Stiftung Bildungspakt Bayern werden wir in einem Modellversuch die optimale Gestaltung dieser zukünftigen Eingangsstufe erproben“, sagt Spaenle. Die Stiftung Bildungspakt Bayern biete hierfür als erfahrener Partner ideale Voraussetzungen. Die Übergangsphase vom Kindergarten zur Grundschule wird demnach enger verzahnt. In der Eingangstufe der Grundschule, also den bisherigen Jahrgangsstufen 1 und 2, sollen die Kinder entsprechend ihrer eigenen Entwicklung ein, zwei oder drei Jahre unterrichtet werden. In Bayern vollziehe sich der Übertritt für die Kinder der Grundschule künftig als begleitete Übertrittsphase von der Jahrgangsstufe 3 bis zur Jahrgangsstufe 5.
Diese Grundschulreform sei sicher gut gemeint, geht aus Sicht des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverband (BLLV) aber an den Bedürfnissen der Kinder vorbei: „Kindgerechtes Lernen setzt Beziehungsarbeit voraus. Kinder wollen in gewohnter Umgebung arbeiten und in der gemeinsamen Lerngruppe Wir-Gefühle entwickeln. Sie brauchen die Möglichkeit, mit viel Zeit und Ruhe ihr eignes Lerntempo zu entwickeln, um individuelle Lernerfolge zu erzielen. Diese Prozesse werden durch die Reform empfindlich gestört“, kritisiert BLLV-Präsident Klaus Wenzel. Das Hauptproblem bayerischer Grundschulen wird nach BLLV-Ansicht nicht gelöst: Die alles dominierende zu frühe Aufteilung von Kindern auf verschiedene Schularten.
Unterstützung für seine Pläne bekommt Spaenle vom Bayerischen Philologenverbandes (bpv). „Für Bayerns Grundschulen wie Kindergärten muss das Motto lauten: 'Früh fördern statt spät reparieren'. Der von Kultusminister Spaenle angekündigte Ausbau der individuellen Fördermöglichkeiten in Kindergarten und Grundschule findet daher unsere volle Unterstützung. Grundschulen müssen Treibhäuser der Bildung sein“, erklärt der pbv-Vorsitzende Max Schmidt. Angesichts eines stetig wachsenden Anteils von Kindern mit problematischem familiären und mit Migrationshintergrund sei es dafür höchste Zeit. Diese Notwendigkeit müsse aber nicht nur im Bewusstsein der Bildungs-, sondern auch der Finanzpolitiker fest verankert werden. Gleichzeitig bremst der Vorsitzende des Gymnasiallehrerverbandes aber überzogene Erwartungen und Hoffnungen: „Auch bei bester Förderung und weiterer Anpassung des Kindergartens und der Schulen an die individuellen Bedürfnisse und die Potenziale des einzelnen Kindes sind deren Möglichkeiten, einen sozialen Ausgleich zu schaffen, begrenzt – von sozialer Gleichheit gar nicht erst zu sprechen.”