Veröffentlicht am 25.05.2023 12:31

„Es gibt kein Grab”

Carol Wagt hält das Erinnerungszeichen für Anneliese Sänger. Die Familie beschrieb das Mädchen als ein fröhliches Kind und eine gute Schülerin. Anneliese wurde 1942 mit ihren Eltern ins Ghetto Piaski deportiert. Als sie dort starb, war sie gerade einmal acht Jahre alt. (Foto: job)
Carol Wagt hält das Erinnerungszeichen für Anneliese Sänger. Die Familie beschrieb das Mädchen als ein fröhliches Kind und eine gute Schülerin. Anneliese wurde 1942 mit ihren Eltern ins Ghetto Piaski deportiert. Als sie dort starb, war sie gerade einmal acht Jahre alt. (Foto: job)
Carol Wagt hält das Erinnerungszeichen für Anneliese Sänger. Die Familie beschrieb das Mädchen als ein fröhliches Kind und eine gute Schülerin. Anneliese wurde 1942 mit ihren Eltern ins Ghetto Piaski deportiert. Als sie dort starb, war sie gerade einmal acht Jahre alt. (Foto: job)
Carol Wagt hält das Erinnerungszeichen für Anneliese Sänger. Die Familie beschrieb das Mädchen als ein fröhliches Kind und eine gute Schülerin. Anneliese wurde 1942 mit ihren Eltern ins Ghetto Piaski deportiert. Als sie dort starb, war sie gerade einmal acht Jahre alt. (Foto: job)
Carol Wagt hält das Erinnerungszeichen für Anneliese Sänger. Die Familie beschrieb das Mädchen als ein fröhliches Kind und eine gute Schülerin. Anneliese wurde 1942 mit ihren Eltern ins Ghetto Piaski deportiert. Als sie dort starb, war sie gerade einmal acht Jahre alt. (Foto: job)

„Wir konnten ihnen nie 'goodbye' sagen”, sagt Carol Wagt über ihre Tante Irene Sänger und deren Familie. „Es gab kein Begräbnis, kein Grab, ihr Schicksal ist unbekannt.” Irene Sänger, deren Mann Fritz und Tochter Anneliese sowie ihre Schwägerin Berta wohnten bis April 1942 in der Maria-Einsiedel-Straße 4. Dann wurden sie von hier ins Ghetto Piaski deportiert. Alle vier kamen wohl dort oder im Vernichtungslager Sobibor noch 1942 um. Genaue Angaben gibt es nicht, die Spur der Familie verliert sich.

„Jetzt gibt es für sie wieder einen Platz, ein Zuhause”, zeigte sich Carol Wagt dankbar, als sie und Angehörige das Anbringen der Erinnerungszeichen für die jüdische Familie in der Maria-Einsiedel-Straße 4 begleiteten. „Selbst wenn es uns nicht mehr gibt, wird es diese Stelle der Erinnerung an sie weiter geben.”
Das Erinnerungszeichen wurden nach einer Gedenkveranstaltung im Stadtarchiv angebracht; auch an den ehemaligen Wohnhäusern von Alfred, Stefan und Selma Sänger wurden weitere Zeichen installiert. „Sie alle wurden von Nationalsozialisten oder ihren Mitläufern in Ghettos oder Konzentrationslagern ermordet oder durch Kopfschüsse von ihren ehemaligen Militärkameraden aus dem Ersten Weltkrieg getötet”, erinnerte Nancy Freund-Heller, die als Angehörige die Erinnerungszeichen angeregt hatte.

Die Flucht gelang nicht mehr

„Die Sängers waren eine glückliche und große Familie mit fünf Geschwistern”, erinnerte sie an die Zeit vor der Verfolgung. Sie war Mitinhaber eines Ingenieurbüros, dass sich um die Wasserversorgung von Städte und Gemeinden in ganz Bayern kümmerte und über 500 Mitarbeiter beschäftigte.
1938 wurden die Brüder Fritz und Stefan in KZ Dachau verschleppt und erst freigelassen, nachdem sie den Nazis das Geschäft der Familie, eine Lebensversicherung und ihr gesamtes persönliches Eigentum übergeben hatten. Die Familie, die mit nichts zurückblieb, versuchte verzweifelt, Deutschland zu verlassen. Es gelang ihnen nicht mehr.
Im September 1939 zog Fritz Sänger mit seiner Frau Irene und seiner kleinen Tochter Anneliese in die Maria-Einsiedel-Straße 4. Auch seine Schwester Berta zog zu ihm. Am 4. April 1942 deportierte die Gestapo alle vier in das Ghetto Piaski, das Nancy Freund-Heller als „Alptraum aus Enge, Hunger, Gewalt und Krankheit” beschreibt. Viele Menschen starben dort an Hunger oder Typhus - wahrscheinlich auch Berta, Irene und die achtjährige Anneliese.
Fritz wurde gezwungen, in einem benachbarten Lager Sümpfe trockenzulegen. Es ist wahrscheinlich, dass er im Vernichtungslager Sobibor ermordet wurde.
Sein Bruder Alfred, der 1939 bei ihm in Thalkirchen wohnte, wurde nach Kaunas verschleppt, wo SS-Männer ihn am 25. November 1941 zusammen mit 5.000 Männern, Frauen und Kinder erschossen.
Stefan, ein weiterer Bruder, begleitete freiwillig mit seiner Frau Selma deren Mutter Sophie, als diese ins Ghetto Theresienstadt deportiert wurde. Stefan und Selma wurden später von dort nach Auschwitz gebracht und ermordet.

Nur eine überlebte

Von den fünf Geschwistern der Familie Sänger überlebte einzig Elsa die Shoa. Ihr gelang 1938 die Flucht in die USA. „Der deutsche Staat ermordete fast die gesamte Familie Sänger. Der Nationalsozialismus verstreute den Rest unserer Familie in Länder auf der ganzen Welt und beraubte uns - und Deutschland - wunderbarer Menschen und einer reichen Kultur”, sagte Nancy Freund-Heller bei der Gedenkstunde in Thalkirchen. „Wir sind der Stadt München dankbar, dass sie uns hilft, uns an eine Vergangenheit zu erinnern, die von keinem Volk, nirgendwo auf der Welt, wiederholt werden darf. Nicht jede Stadt, nicht jedes Land ist so ehrlich wie München und Deutschland, die Verantwortung für die dunklen Seiten ihrer Geschichte zu übernehmen.”

Seit 2018

Erinnerungszeichen werden seit 2018 an Orten angebracht, an denen Menschen lebten, die von den Nationalsozialisten verfolgt und ermordet wurden. Die Erinnerungszeichen bestehen aus Edelstahl und enthalten die wichtigsten Lebensdaten, Angaben zum Schicksal und – falls vorhanden – ein Bild.

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