Bei der Untersuchung von Projektflächen der Heinz-Sielmann-Stiftung ist dem Biologen Dr. Jörg Müller überraschend die im Mittelmeerraum verbreitete Springspinne ins Keschernetz gegangen. Müller fand gleich drei Exemplare dieser Spinnenart in einem Schilfsumpf nahe des Dorfes Etterschlag. „Schilf-Streckspringer sind für die Region schon sehr ungewöhnlich, da diese Spinnenart normalerweise in wärmeren Breiten vorkommt“, sagt Müller über seinen Fund.
Andreas Nemetz, Leiter des regionalen Projektbüros der Heinz-Sielmann-Stiftung in Bad Tölz, erklärt dazu: „Grundsätzlich kommen in Bayern über 45 verschiedene Springspinnenarten vor. Inwieweit sich der Schilf-Streckspringer langfristig in der Region ansiedelt, werden wir nun genauer beobachten. Vor allem ist es wichtig zu untersuchen, wie diese Art eine Nische in den bestehenden Ökosystemen findet.“
Der Schilf-Streckspringer ist eine im europäischen Vergleich recht große Springspinnenart. Wie für die meisten Spinnen typisch, werden die Weibchen mit bis zu zwölf Millimetern Körperlänge deutlich größer als die lediglich acht Millimeter großen Männchen. Im Gegensatz zu den oft einfarbig schwarzen oder dunkelbraunen Männchen zeichnen sich die Weibchen zudem durch markante braunschwarze und gold-metallisch glänzende Längsstreifen an ihrem ansonsten weißlichen Hinterkörper aus.
Wie sein Name vermuten lässt, ist der Schilf-Streckspringer ausschließlich in Röhrichten und Schilfbeständen in Feuchtgebieten anzutreffen. Im Sommer versteckt sich die Spinne in Schilfrispen und im Winter zieht es sie unter die Blattscheiden der Schilfstängel. Ihr länglicher Körperbau wirkt durch die nach vorne und hinten abgespreizten Beine stark gestreckt. Wie alle Springspinnen, baut sie keine Netze, sondern überwältigt ihre Beute mit einem überfallartigen Sprung und einem tödlichen Biss. Für Menschen ist die Art wiederum völlig ungefährlich.
„Für Biologen sind solche Artenfunde natürlich immer ein schönes und interessantes Erlebnis“, verrät Müller. Zugleich sei der Fund des Schilf-Streckspringers in Bayern auch ein sichtbares Symptom der klimatischen Veränderungen in unserer Umwelt. Während insbesondere wärmeliebende Tier- und Pflanzenarten von den aktuellen Klimaveränderungen profitieren und sich neue Lebensräume erschließen können, gibt es unter den heimischen Arten auch viele Verlierer des Klimawandels, die zunehmend zu verschwinden drohen. „Zu den Verlierern zählen eben auch die heimischen Frosch- und Molcharten. Deren Schutz und Erhalt ist aktuell ein besonderer Arbeitsschwerpunkt der Heinz Sielmann Stiftung in Südbayern“, so Andreas Nemetz.