Zwei Stunden bei Minusgraden eingepfercht auf einem zugigen Hochsitz: Auf der Jagd mit Christa Rodenkirchen gilt es, mucksmäuschenstill zu sein, den Waldrand zu beobachten und auf das Knacken trockener Äste zu horchen. Doch über zwei Stunden lang geschieht absolut nichts. Sämtliche Geräusche werden von einer dicken Schneedecke verschluckt. Mit einem Körper, so kalt, dass Zehen und Finger nicht mehr zu spüren sind, und einem leeren Kopf vom regungslosen Warten, versteht man fast, was Rodenkirchen meint, wenn sie sagt, dass Jagd auch immer etwas Meditatives hat. „Manchmal schlafe ich dabei auch ein”, lacht sie mit einem Ausdruck im Gesicht, den man bei Männern als naturburschig bezeichnen würde.
Rund zehn Prozent aller Jagdscheininhaber in Deutschland sind nach Angaben des Deutschen Jagdschutz-Verbands Frauen. „In Bayern stellen sie sogar nur zwei Prozent der Jäger”, berichtet Maria Hartl vom Landesjagdverband Bayern. Christa Rodenkirchen ist eine von ihnen. Auf insgesamt 130 Hektar im schwäbischen Kinsegg nahe Bernbeuren betreibt die 57-Jährige eine Eigenjagd. Das Gebiet, das neben Wald und Wiese auch 55 Hektar Wasserfläche einschließt, und das riesige alleinstehende Jagdhaus sind schon seit Jahrzehnten in Besitz ihrer Familie. „Sowohl mütterlicher- als auch väterlicherseits sind die Männer schon immer auf die Jagd gegangen”, erzählt Rodenkirchen, welche das Gut 1981 von ihrem Vater übernahm, als der sich für die weitere Verwaltung des Gebietes zu alt fühlte. Rodenkirchen ist die erste Frau in ihrer Familie mit Jagdschein und positioniert sich damit in einer absoluten Männerdomäne.
„Eine Frau im Forst- und vor allem im Jagdbereich wird immer schräg angeschaut. Das ändert sich erst, wenn die Männer merken, dass man das Handwerk genauso gut beherrscht wie sie”, berichtet Rodenkirchen. Viele jagende Frauen seien aber selbst daran schuld, wenn sie nicht ernst genommen werden. „Wenn die Frau ihr geschossenes Reh von einem Mann aus dem Wald ziehen lässt und es nicht selbst aufbricht oder zerteilt, dann braucht sie sich nicht darüber wundern, dass ihr richtiges Jagdhandwerk nicht zugetraut wird.” Für Rodenkirchen dagegen sind gerade das die Herausforderungen, die sie in der Jagd gefunden hat: Einen fünfzehn bis zwanzig Kilo schweren Rehbock an Ort und Stelle aufzubrechen, seine Innereien zu entnehmen, ihn dann aus dem Wald zu tragen und in der heimischen Garage in einem ausgedienten Brauereikühlschrank einige Tage aufzuhängen, bis das Fleisch weich und essbar wird.
Doch was schreckt die Gesellschaft an einer jagenden Frau ab? „Die Leute können das Bild der Frau als Gebärenden und Lebensspendenden nicht mit der in Einklang bringen, die zum Töten in den Wald geht”, meint Rodenkirchen, die in ihrer Waschküche statt die Kleidung der Familie zu bügeln und zu stärken, den geschossenen Tieren das Fell abzieht und diese fachgerecht zerteilt. „Eben das ist aber Jagd, das ist Beute”, erklärt die resolute Jägerin und in ihrer Stimme liegt der Ehrgeiz, sich nicht auf die Position des vermeintlich schwächeren Geschlechts zurückdrängen zu lassen. Während zartbesaiteten Gemütern bei der Vorstellung von blutigen Reh-Eingeweiden auf Schnee schon mulmig werden kann, lacht Rodenkirchen nur herzlich und wischt jede Sorge mit einem rauhbeinigen „Da müssen wir durch!” beiseite.
Und doch gibt es nicht wenig Jagdmomente, die auch ihr nahe gehen. So zum Beispiel im Fall der ausgehungerten Rehgeiß, die Rodenkirchen zu Winterbeginn schoss. „Die war so mager und bucklig, dass ich regelrecht erleichtert war, als ich sie getroffen habe. So hatte sie einen kurzen, schmerzlosen Tod und musste nicht kläglich während der kalten Jahreszeit verhungern”, erzählt die Jägerin so emotional und nachvollziehbar, dass schnell klar wird, welch hohe Jagdethik sie besitzt. „Ich schieße nur, wenn ich eine sehr große Chance habe auch richtig zu treffen, damit das Tier nicht verwundet in den Wald läuft und dort unter Schmerzen stirbt.” Diese Einstellung werde von vielen Männern als weibliche Zögerlichkeit verstanden, für sie sei es allein die Arbeitsweise einer verantwortungsbewussten Jägerin, erklärt Rodenkirchen. Noch stärker treten die klassisch weiblichen Seiten der ehemaligen Lehrerin zu Tage, wenn sie von ihrer Tätigkeit als Waldpädagogin berichtet. Mit Waldführungen versucht sie nicht nur Kindern, sondern auch Erwachsenen den Bezug zur Natur und zu lebenswichtigen Rohstoffen wie Fleisch und Holz zu vermitteln. Abgerundet wird das Ganze durch einen Besuch im Hirschgehege, das Rodenkirchen seit zwölf Jahren betreibt. Dort wartet der in der Umgebung bereits berühmte Hirsch Sepp, den man im Frühling sogar streicheln kann.
Auch vom kalten Hochsitz aus kann man ihn bewundern, wie er mit erhobenen Haupt fast majestätisch zum Waldrand blickt, an dem sich trotz zunehmender Dunkelheit immer noch nichts tut. Jagen hat tatsächlich etwas Meditatives. Jetzt bloß nicht einschlafen.
Weitere Informationen zu den Natur-Erlebnis-Events und anderen Veranstaltungen von Christa Rodenkirchen unter www.waldort.de