Immer mehr Münchnerinnen und Münchner sind arm dran. Genau gesagt handelt es sich um 100.530 Personen. Das geht aus dem Münchner Armutsbericht für das Jahr 2007 hervor. Im Sozialbürgerhaus Laim/Schwanthalerhöhe präsentierte Werner Fröhlich vom Sozialwissenschaftlichen Institut München für REGSAM in der vorigen Woche ausgewählte Ergebnisse aus den Stadtteilen Schwanthalerhöhe und Laim. Beide Viertel seien, so der Wissenschaftler, besonders von Langzeitarbeitslosigkeit und Altersarmut betroffen. Auf der Schwanthalerhöhe sei die Lage alter Leute ganz besonders prekär. Die Altersarmut sei 73 Prozent höher als im städtischen Mittel. Bei den gesamtstädtischen Ergebnissen sieht Fröhlich eine drastische Schieflage bei Bürgerinnen und Bürgern mit nichtdeutschem Pass. „Sie haben ein doppelt so hohes Armutsrisiko wie Deutsche.“ Rund 21.000 Kinder und Jugendliche leben dem Bericht zufolge in Haushalten, die das Arbeitslosengeld II beziehen. „Das bedeutet, dass 29 Prozent dieser Altersgruppe arm sind“, so Fröhlich. Die Kinder- und Jugendarmut bei Bürgerinnen und Bürgern, die keinen deutschen Pass besitzen, werde künftig weiter zunehmen, fürchtet der Sozialwissenschaftler.
„Es gibt einen Zusammenhang zwischen Armut und Bildung.” Fröhlich hält es für einen Skandal und für eine verfehlte Integrationspolitik, dass 17 Prozent der Kinder von Migranten ihre schulische Ausbildung abbrechen. Dass die Quote bei deutschen Schülern sieben Prozent beträgt, ist für ihn erst recht ein Skandal. Er sagt, Kinder von Zuwanderern würden bei gleicher Leistung von Lehrern oft schlechter beurteilt als die von Deutschen. Sie hätten kaum Chancen, aufs Gymnasium zu wechseln. Fröhlich: „So wird Armut auch in der vierten Migrantengeneration vererbt.“ Seine Forderung: Bessere Schulsysteme, Ganztagsschulen und mehr Förderung. Armut und Krankheit hängen eng zusammen. Auch darauf weist der Armutsbericht hin. Chronische Krankheiten kommen demnach bei Menschen mit sehr niedrigem Einkommen wesentlich häufiger vor als bei wohlhabenden. So habe sich die im Jahr 2004 eingeführte Praxisgebühr bei armen Menschen als starkes Hindernis für einen Arztbesuch erwiesen.
Die Präsentation des Armutsberichts fand ein hoch interessiertes Publikum. Darunter viele REGSAM-Moderatoren, Mitglieder der Bezirksausschüsse beider Stadtteile sowie Mitarbeiter der Facharbeitskreise von REGSAM. „Ich wünsche mir, dass wir die Kräfte bündeln können, um die Armut in der Region zu bekämpfen“, sagte Ilse Völk, Leiterin Soziales im Sozialbürgerhaus. Die Moderatoren Grit Schneider und Dieter Bolzani wollten wissen: „Wie drückt sich Armut aus und worin unterschieden sich die Stadtteile Schwanthalerhöhe und Laim voneinander?“ Werner Fröhlich betonte, es gebe keine allgemein verbindliche Definition für Armut. Einen solchen Zustand zu definieren, hänge von Werten und Normen ab, die politisch ausgehandelt würden. Der Wissenschaftler erklärte, der vorliegende Armutsbericht befasse sich in erster Linie mit der Armut, die von Ämtern wahrgenommenen werde. Dabei gehe es um Menschen, die wegen ihres Alters oder wegen einer Erwerbsminderung eine Grundsicherung oder das Arbeitslosengeld II beziehen. Das nenne die Wissenschaft „bekämpfte Armut“, so Fröhlich. Im Gegensatz zur „verdeckten Armut“. Die beziehe sich auf Leute, die Anspruch darauf hätten unterstützt zu werden, die das aber nicht wahrnähmen. Fröhlich: „Es gibt eine hohe Dunkelziffer.“
Einen unrühmlichen ersten Platz bei der Armutsdichte nimmt die Schwanthalerhöhe ein, was die Zahl der Empfänger von Grundsicherung im Alter und bei dauerhafter Erwerbstätigkeit betrifft. Pro tausend Einwohner erhalten 71 diese Unterstützung. Der Stadtbezirk Laim steht mit einer „Empfängerdichte“ von 41 an vierzehnter Stelle. Ein weiteres Kriterium für die Armutsdichte stellt im Bericht das Beziehen von Wohngeld dar. Auch dabei belegt die Schwanthalerhöhe den ersten Platz. Dort beziehen 16 Einwohner von tausend Wohngeld. In Laim sind es elf. Der Stadtteil liegt damit an fünfter Stelle. Der Anteil der Wohngeldempfänger ist damit doppelt so hoch wie der im gesamten München.
Ilse Völk stützte die nackten Zahlen mit den Erfahrungen aus ihrer Praxis. „Wir haben auf der Schwanthalerhöhe einen steigend hohen Bedarf an Erziehungshilfen.“ Die Eltern seien mit den verschiedenartigen Problemen überfordert. Das treffe auch für Laim zu. Allerdings nicht in dem Maße. Der Bezirk 25 habe sich jedoch in Richtung Armut verändert. „Das betrifft vor allem Familien mit Kindern.“ Ein großes Problem in Laim seien steigende Mieten, weil dort Wohnungen aus der Sozialbindung heraus gefallen seien. Völk: „Es gibt immer mehr Menschen, die ihre Miete nicht bezahlen können.“ Überdies steige in dem Viertel die Alterarmut. Thomas Rey, Leiter der Heilpädagogischen Tagesstätte in der Mergentheimer Straße berichtete: „Kinder kommen ohne Frühstück in die Schule und wissen nicht, ob sie abends noch etwas zu Essen bekommen.“ Die Zahl psychisch kranker Mütter nehme zu. Die ansteigende gesellschaftliche Ungleichheit ist nach Fröhlichs Erkenntnissen der Nährboden für soziale Konflikte. Sein „einfacher Vorschlag“: Mehr in Bildung zu investieren und weniger in Sicherheitstechnik und noch mehr Videokameras.