Erschrocken blieb Toni stehen, als er im März 1945 aus dem Zug gestiegen war. Was war denn da passiert? Der Bahnhofsplatz bis zu seinem Ende Richtung Herrsching war mit unglaublich vielen riesigen Eisenkörpern, gigantischen Zündholzschachteln ähnlich, vollgestellt. Vorher war auf dem Platz, wo sich heute auf einer Teilfläche die Radabstellanlage befindet, meist nur etwas Langholz gelagert. Bald war klar geworden, es hatte sich um Schwimmkörper, Pontons genannt, gehandelt. Solche waren als Arbeitsbühnen auf Gewässern zum Brückenbau und verwandte Zwecke verwendet worden. Warum aber waren die Kolosse gerade nach Germering-Unterpfaffenhofen gebracht worden? Es sollte ein Rätsel bleiben. Zu vieles fragen in der Kriegszeit machte verdächtig. Plakate „Vorsicht bei Gesprächen, Feind hört mit” taten ihre Wirkung.
Für die einheimischen Buben waren die Ungetüme bald ein Abenteuerspielplatz. In den langen, etwa drei Meter hohen Pontons mit durchgängigen Zwischenwänden war das Versteckspielen immer ein spannendes Vergnügen. Einige Pontons waren oben offen. Diese hatten sich mit der Zeit mit Regenwasser gefüllt. Da und dort trieb ein toter Igel in den Wasserbecken. Wie waren die schönen Tierchen nur in die hohen, glattwandigen Stahlkörper hineingeraten? Der Anblick war zum Traurigwerden. Mit einer ertrunkenen Ratte war das Mitleid nicht so groß gewesen
Allmählich hatte man sich im Ort an die gewaltigen Eisenpontons gewöhnt. Im Mai 1945 war das Kriegsende gekommen. Die Hungerzeit begann. Zur Nebensache war alles außer der lebenswichtigen Nahrungsbeschaffung geworden, so auch die Pontons. Unter der amerikanischen Besatzung waren die Schwimmkörper noch längere Zeit geblieben, wo sie waren. Aber als Toni gegen Ende 1945 wieder in der Bahnhofsgegend unterwegs war, bot sich ihm unerwartet ein neuer, alter Anblick: Die Schwimmkörper waren ausnahmslos verschwunden. Der „Eisenplatz” hatte sich in den „unmöblierten” Bahnhofsplatz zurückverwandelt. zu erfahren war, dass man die Eisenkörper mit Kränen auf vielrädrige Tieflader gehoben und mit zehn Pferden auf das nahegelegene, umzäunte und bewachte Gelände des Großbauunternehmens Stöhr gebracht hatte (heute Therese-Giehse-Platz und Umgebung). In Germering-Unterpfaffenhofen hat wohl nie wieder irgendwo so viel Eisen gelegen.
Die Eisenpontons in ihrer Mächtigkeit hatten sich in Tonis Gedächtnis dauerhaft eingeprägt. Spielerisch und beinahe zwanghaft hatte er seine Wahrnehmungen darauf gerichtet, wo im Ort offen oder verdeckt Eisen in Verwendung ist. Durcheinander und ganz unterschiedlich waren die Eisenformungen dahergekommen: hohe Masten und Stecknadeln, Bauarmierungen, Gleise, Tanks, Rohre, Bleche, Drähte, Fahrzeuge, Geräte, Heizkörper, Kassenschränke, Nägel, Schrauben, Geschirre, Bestecke und, und, und. Toni hatte es gereizt, das Wahrnehmungsspielchen gar noch mit Eisernem im übertragenen Sinn fortzusetzen, wie etwa mit dem „eisernen Willen” und dergleichen. Das war ihm dann aber doch zu weit gegangen.
Nie mehr verloren hat er die intensive Wahrnehmung von allem Eisernen, Seinen Spaß daran hat er noch heute.