Lydia Dietrich war 16 Jahre lang Münchner Stadträtin und erhob ihre Stimme für Frauen, Pflegekräfte und die LGBTQ-Community. 2018 verließ sie das Rathaus, ist damit jedoch nicht verstummt - im Gegenteil: Als Geschäftsführerin der Frauen*hilfe München setzt sich sich für alle ein, die Hilfe und Schutz vor Gewalt im Geschlechterverhältnis benötigen. Im Interview mit Redakteurin Elisabeth Schönberger erklärt sie die Ziele, Leistungen und Vorgehensweise der Frauen*hilfe München.
Sie sind seit sechs Jahren Geschäftsführerin der Frauen*hilfe München. Wie haben Sie 2018 die Einrichtung vorgefunden und was hat sich seitdem geändert?
Lydia Dietrich: 2018 wurde 40 Jahre Frauen*hilfe gefeiert. Die Einrichtung war und ist eine stabile und wichtige Größe in der Münchner Unterstützungslandschaft für von Partnerschaftsgewalt betroffene Frauen*. Seit 2018 wurde der Bereich der Öffentlichkeitsarbeit massiv ausgebaut. Die Präsenz in der Öffentlichkeit ist gesellschaftspolitisch extrem wichtig, um einerseits die Thematik in die Mitte der Gesellschaft zu bringen und andererseits, um mehr Frauen* mit unserem Hilfsangebot zu erreichen. Darüber hinaus war und ist mir die Öffnung der Frauen*hilfe im Bereich LGBT*IQ wichtig, denn wir wollen lesbische Frauen* und Transfrauen mit unserem Angebot erreichen. Besonderen Wert legen wir auf eine inklusive und gendersensible Sprache und Kommunikation, um alle Geschlechter anzusprechen und zu unterstützen. Auch der Kinderbereich wurde in den vergangenen Jahren mit mehr Ressourcen ausgebaut, da auch die Kinder von der Gewalt betroffen sind und pädagogische und heilpädagogische Angebote brauchen.
Sind die Mitarbeiter*innen in besonderer Weise geschult?
Lydia Dietrich: Die Frauen*hilfe hat insgesamt 75 Mitarbeiter*innen. Die Fachkräfte müssen ein sozialpädagogisches oder vergleichbares Studium bzw. eine pädagogische und/oder heilpädagogische Ausbildung nachweisen. Ebenso werden alle fortlaufend in verschiedenen Themenbereichen geschult, beispielsweise Inklusion, LGBT*IQ, Cyber Crime, Kindeswohlgefährdung, Mitarbeiterführung und Verwaltung, neue Angebote, wissenschaftliche Erkenntnisse und vieles mehr. Darüber hinaus bieten unsere Fachkräfte auch Schulungen in Kitas und Schulen, für die Bezirkssozialarbeit, Richter*innen und Rechtsanwält*innen sowie bei der Polizei an.
Welche Art von Hilfe erfahren Frauen* bei der Frauen*hilfe München?
Lydia Dietrich: Die Bewohner*innen erhalten Krisenintervention, Hilfe bei traumatischen Erfahrungen, Hilfe bei Behörden und Sozialdiensten, Unterstützung bei Arbeitssuche und Ausbildungsmöglichkeiten, Hilfe bei der Wohnungssuche und der Suche nach Kitaplätzen. Ein großes Thema ist die Hilfe und Unterstützung im Bereich Sorgerecht, Umgangsrecht, Trennung und Scheidung; hier sind die Fachkräfte mit ihren Expertisen bei den gerichtlichen Verfahren und in der Zusammenarbeit mit dem Jugendamt sehr stark gefragt. Die Kinder erhalten Gruppenangebote, Einzelförderung, Freizeitangebote, Lernhilfen, Nachhilfeunterricht, Unterstützung bei gerichtlichen Verfahren. Darüber hinaus sind unsere Fachkräfte zum Thema Kindeswohlgefährdung besonders geschult und greifen entsprechend ein.
Wie wird einer Frau geholfen, die sich an die Frauen*hilfe wendet?
Lydia Dietrich: Die Frau* ruft in der telefonischen Beratung oder der Beratungsstelle an, dann wird zunächst ein Clearingprozess gemacht, d.h. die Situation und Gefahrenlage besprochen. Falls es sich um Partnerschaftsgewalt handelt, wird die Bedrohungslage geklärt und je nach Dringlichkeit schnell oder sofort ein Platz im Frauenhaus angefragt. In der Regel suchen die Frauen* zunächst die Beratungsstelle auf - entweder telefonisch, online, persönlich oder in der offenen Sprechzeit. Letzteres ist ein niedrigschwelliges Angebot für Frauen*, die sich informieren wollen und eine Erstberatung brauchen. Manche Frauen* bleiben im Beratungsangebot der Beratungsstelle über viele Monate, weil sie noch sehr ambivalent sind in der eigenen Beurteilung der Situation, der Notwendigkeit einer Trennung, der Verabschiedung von dem Traum der Ehe und Familie. Das ist für die Frauen* oft ein langer und sehr schmerzhafter Prozess. In der Beratung werden auch die Möglichkeiten nach dem Gewaltschutzgesetz erklärt.
Gibt es Schicksale, die Sie persönlich nicht mehr loslassen?
Lydia Dietrich: Eine der wesentlichen Kompetenzen der Beraterinnen muss die Abgrenzung sein, sonst ist es nicht möglich in dem Bereich zu arbeiten. Für mich ist es nicht so schwierig, da ich nicht in der Beratung, sondern im Management tätig bin. Trotzdem ist es mir wichtig, die Frauen* und Kinder zu kennen, auch ihre Situation, soweit dies möglich ist. Die Abgrenzung gelingt mir gut, aber es gibt in der Tat auch Erlebnisse - zum Beispiel ein Mordversuch an einer Frau* - die einen sehr schmerzen und die schwer zu ertragen sind.
Sie erleben Gewalt in der Partnerschaft? Sie sind nicht allein! Die Frauen*hilfe ist immer erreichbar, am Tag und in der Nacht.
Tel. 089/354830