Für das kommende Jahr hat die Europäische Kommission das Europäische Jahr 2010 gegen Armut und soziale Ausgrenzung ausgerufen. Es soll das öffentliche Bewusstsein für die Risiken von Armut und sozialer Ausgrenzung stärken und die Wahrnehmung für ihre vielfältigen Ursachen und Auswirkungen schärfen, wie das Bundesministerium für Arbeit und Soziales mitteilt. Das SamstagsBlatt stellt in einer dreiteiligen Serie Institutionen, Initiativen und Aktionen vor, die sich in München gegen Armut und soziale Ausgrenzung einsetzen.
Eine davon ist das Gemeinschaftsprojekt „open.med" class="auto-detected-link" target="_blank">open.med” des Vereins Ärzte der Welt und des Café 104, einer Gruppe des bayerischen Flüchtlingsrates. Es bietet Menschen ohne Aufenthaltsstatus und ohne Krankenversicherung Zugang zu medizinischer Versorgung und Beratung über das Aufenthaltsrecht. Das Angebot ist kostenfrei und anonym. „Unsere Klienten sind überwiegend illegal nach Deutschland eingewanderte Personen, die zum einen natürlich keine Krankenversicherung haben und zum anderen fortwährend Angst haben müssen, entdeckt und abgeschoben zu werden”, berichtet Birgit Poppert vom Café 104, das sich bereits seit 1998 mit der Versorgung dieser Menschen befasst. Hilfe bei „open.med" class="auto-detected-link" target="_blank">open.med” finden auch Bürger aus den neuen EU-Ländern, die in Deutschland keinen ausreichenden Krankenversicherungsschutz besitzen.
Das Team von „open.med” behandelt aber nicht nur Migranten. Die Türen des Projektes stehen auch deutschen Bürgern offen, die aus persönlichen oder beruflichen Gründen durch das Raster der Krankenversicherung fallen. „Als Selbstständiger verdient man oft zu viel, um Sozialgeld zu beantragen, aber zu wenig, um für die oftmals teure Krankenversicherung aufzukommen. Viele der Patienten, die zu uns kommen, haben bereits so hohe Schulden bei ihrer Versicherung, dass sie sich nicht trauen, diese noch weiter in Anspruch zu nehmen”, berichtet Poppert.
All diesen Menschen bietet das Projekt „open.med” medizinische Erstversorgung an. Zweimal in der Woche ist im Ladenlokal des Café 104 (Görresstr. 43) für drei Stunden ein ehrenamtlich tätiger Arzt vor Ort. Zweimal im Monat steht auch ein Kinderarzt zur Verfügung. „Wir versuchen bei uns alle Patienten zu versorgen, die wir im Rahmen unserer Möglichkeiten behandeln können”, erklärt Marion Chenevas von Ärzte der Welt. Ungefähr der Hälfte der Patienten kann das Team direkt vor Ort helfen, die anderen 50 Prozent werden an einen der rund 60 mit dem Projekt kooperierenden Ärzte überwiesen, der den Patienten dann kostenlos und selbstverständlich anonym behandelt.
Am häufigsten benötigt werden Termine bei Gynäkologen und Zahnärzten. Für letztere gibt es sogar eine Warteliste. „Viele Kinder, die zu uns kommen, haben sehr marode Zähne, doch wenn sie keine akuten Schmerzen haben, können wir für sie momentan leider keine Behandlung organisieren. Die Termine bei den Zahnärzten sind auf Wochen hinaus ausgebucht”, berichtet Chenevas.
Während das Ärzte-der-Welt-Team die Versorgung der Kranken im Projekt „open.med” übernimmt, kümmern sich die Berater von Café 104 unter dem Motto „Ohne Lebensperspektive kann man nicht gesund werden” darum, den aufenthaltsrechtlichen Status der Klienten zu klären. Sie erkundigen sich bei der Ausländerbehörde über die Möglichkeit, eine Aufenthaltserlaubnis oder eine Duldung für den Klienten zu bekommen, und begleiten diesen bei seinen Behördengängen. Zudem helfen die ehrenamtlichen Mitarbeiter beim Ausfüllen von Formularen und Übersetzen von Dokumenten.
Nicht zu unterschätzen ist der psychische Stress, dem Menschen in einer solchen Lebenssituation ausgesetzt sind: „Wenn ich mich die ganze Zeit voller Angst fragen muss, was mit mir passiert, wenn ich krank bin, dann ist es nur eine Frage der Zeit, wann sich der Stress auch auf den Körper oder die Psyche auswirkt”, meint Birgit Poppert. Vielen Klienten, die zur Beratung ins Café 104 kommen, sei diese psychische Belastung anzumerken.
Einige Menschen hätten auch in ihrer Vergangenheit traumatische Dinge erlebt, die sie nach wie vor beschäftigen. „Dann müssen wir all unsere Ressourcen zusammenlegen, um die psychotherapeutische Versorgung des Klienten sicherzustellen”, erklärt Poppert. Während die Ärzte der Welt versuchen einen geeigneten Therapeuten zu finden, klärt das Team von Café 104 die aufenthaltsrechtliche Situation des Klienten, damit eine entsprechende Behandlung auch so bald wie möglich beginnen kann.
„Lange Zeit war es schwer, politische Hilfen und Entscheidungen zu bewirken, für Menschen, die eigentlich gar nicht hier sein dürften”, schildert Poppert ihre Erfahrungen. Doch in den letzten Jahren hat sich vor allem in München einiges gedreht. Im März 2001 gab der Stadtrat eine Untersuchung zur Lebenswirklichkeit von Migranten ohne Aufenthaltsstatus in München in Auftrag. Die Studie, die dem Stadtrat schließlich vorlag, versuchte auch zu klären, welchen sozialen Auftrag eine Kommune in Hinblick auf statuslose Menschen zu erfüllen habe. „Diese Initiative führte dazu, dass die Lebenssituation von Migranten ohne Aufenthaltserlaubnis in München nicht mehr nur als ordnungspolitisches Problem, sondern auch als sozialpolitische Aufgabe begriffen wurde”, erklärt Siegfried Benker, Fraktionsvorsitzender der Münchner Grünen.
Viele Vorschläge der Studie zur Verbesserung der Situation wurden nach einem Stadtratsbeschluss von 2004 schrittweise umgesetzt. Zudem gründete die Stadt kürzlich einen Fonds zur Behandlung Nichtversicherter in Höhe von 100.000 Euro. „Die Mittel werden aber nur in Anspruch genommen, wenn sich keine andere Institution findet, die die Behandlung finanzieren oder kostenlos anbieten kann”, betont Poppert.
Mit Hilfe der Stadt konnte das Café 104 vor einigen Wochen auch in neue Räume umziehen, die zur Beratung und Behandlung geeigneter sind. „In dem Laden in der Görresstraße sind wir unabhängiger von den Hausbewohnern und haben einen richtigen Behandlungsraum”, berichtet Poppert. Zudem kommt in den eigenen Räumlichkeiten eher eine vertraute Atmosphäre auf, in der die Klienten ausgiebiger und entspannter berichten. „Wir können uns froh schätzen, dass wir in München unter Bedingungen arbeiten können, die einzigartig in Deutschland sind”, konstatiert Poppert, die in diesem Dezember für ihr Engagement mit der Medaille „München leuchtet – Den Freunden Münchens” von der Stadt ausgezeichnet wurde. Andere Kommunen Deutschlands haben bereits Interesse an der Münchner Initiative zur besseren Versorgung von Migranten ohne Aufenthaltserlaubnis bekundet.
Die Sprechstunden im Café 104 finden immer dienstags von 17 bis 20 Uhr und freitags von 10 bis 13 Uhr statt. In der restlichen Zeit haben die Patienten die Möglichkeit, das Team an fünf Tagen in der Woche von 9.30 bis 17 Uhr über ein Patiententelefon (0177/ 5116965) zu erreichen. Weitere Informationen auch im Internet unter www.aerztederwelt.org/projekte/openmed-muenchen.html .