„Es war einmal – Weihnachten 1945, in dem großen sowjetrussischen Kriegsgefangenen-Lager Morschansk, Bezirk Tambow, 400 km südwestlich von Moskau. In Viehwaggons waren wir von Danzig aus Ende Mai dorthin gekommen und hatten die 200-Mann-Baracke 28 A bezogen. Doppelstockpritschen, 50 bis 60 cm Strohsackplatz, Kleidung und letzte Habe als Kopfkissen, Kochgeschirr und Löffel daneben. Waschen konnten wir uns an einem Wasserfass im Vorraum; zum WC, dem sog. „Monte Latrino“ waren es ein paar hundert Meter. Die erste Zeit waren wir noch zu relativ harmlosen, lagereigenen Arbeiten eingesetzt: Wegebau, Renovierungen, etc.. Verbindung mit unseren Angehörigen hatten wir keine. Für den ersten Gefangenen-Weihnachtsabend waren improvisiert einige Lesungen vorgesehen: von der Küche war „besseres Essen“, das heißt Kohlsuppe mit etwas mehr angespartem Fleisch und „Kascha“, sprich ein Schöpfer gesüßter Hafer- oder Reisbrei, versprochen. Weihnachten war von den Russen akzeptiert, keine Zählung auf dem Appellplatz.
Die Dämmerung brach herein – und plötzlich bewahrheitete sich eines der ständig kursierenden Gerüchte: „Die Japaner kommen“. In der Lagerstraße standen sie plötzlich, in voller Soldatenuniform mit großem Gepäck. Kurz und bündig war für uns der Befehl: Die Baracke wird geräumt und zwar sofort! Willkürlich durchgezählt, verteilte man uns auf die Nachbarbaracken. Einige, darunter ich, kamen zum Leidwesen der Stammbewohner in die Ungarn-Baracke. Dort war ein Zusammenrücken unmöglich, für uns blieb also nur Bodenlager: Strohsack auf ein paar Brettern, halb auf Kies, in der Nähe eines Seitenausgangs. Die Kälte drang durch die breiten Türritzen. Mit den Ungarn gab es keine Verständigungsmöglichkeiten. Die „Stille Nacht“ blieb in unserem Innern, das „bessere Essen“ kam zwischen 22 und 23 Uhr – nicht mehr ganz warm, hungrig hineingeschlungen. Nachts besuchten uns ein paar Ratten, die erstaunt über die dünnen Decken huschten. Irritiert erwachten wir am Ersten Feiertag. Schon bald kam irgendwoher das sich erst nach vier Jahren verwirklichende Gerücht: „Skora damoi“ – bald nach Hause! Drei außergewöhnliche Weihnachten sollten noch folgen.”