In einer dreiteiligen Serie anlässlich des Europäischen Jahres 2010 gegen Armut und soziale Ausgrenzung stellt das SamstagsBlatt Projekte und Initiativen in München vor, die versuchen, Problemen der Armut und Ausgrenzung zu begegnen. Im zweiten Teil der Serie berichtete das SamstagsBlatt über Altersarmut in München. In dieser Woche dreht sich alles um das Thema Schulden und Schuldnerberatung.
Besondere Sorgen macht sich Christina Huber darüber, dass sich dem Thema gegenüber Gleichgültigkeit einstellt. „Wenn man heutzutage das Fernsehgerät einschaltet, dann kommt man doch um das Thema Schulden und Schuldnerberatung kaum mehr herum”, meint die Sozialpädagogin von der Jugendschuldnerberatung der Arbeiterwohlfahrt (AWO) und des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB). Ihr ist wichtig, dass die Jugendlichen nicht denken: „Schulden hat doch jeder.” Denn wenn Schulden zur Normalität würden, dann sinke auch die Hemmschwelle weitere Schulden zu machen.
Die Jugendschuldnerberatung der AWO und der DBG wurde vor etwa drei Jahren eingerichtet. Huber und ihre Kollegen kümmern sich kostenlos und anonym um Jugendliche und junge Erwachsene unter 26 Jahren, die keinen Überblick über ihre Finanzen haben, ihre Rechnungen nicht begleichen können oder Fragen zu Gläubigern oder ihren Schulden haben. Eine Umfrage von der DGB-Jugend und dem Azuro Ausbildungs- und Zukunftsbüro von 2003 führte dazu, dass das Thema Jugendschulden heute sehr ernst genommen wird. Damals wurden 935 Münchner Auszubildende zu ihrer finanziellen Situation befragt. Hierbei zeigte sich, dass 34,6 Prozent der Befragten mit durchschnittlich 1104 Euro verschuldet sind. Doch nur sieben Prozent der Befragten wandten sich bei finanziellen Problemen an eine Schulderberatungsstelle.
Grund genug, die Schuldnerberatung zu verbessern und eine eigene Stelle einzurichten, deren Berater auf die spezifischen Probleme und Bedürfnisse von jungen Leuten vorbereitet sind. Wer derzeit eine Schuldenberatung wünscht, der muss allerdings mit einer Wartezeit von knapp vier Monaten rechen. „Damit liegen wir aber immer noch zwei Monate unter der durchschnittlichen Beratungszeit für Erwachsene”, erklärt Huber. Jugendliche, die kurzfristig erste Anregungen und Tipps brauchen oder einfach mit jemandem über ihr Problem reden wollen, können jeden ersten und dritten Donnerstag im Monat jeweils von 16 bis 18 Uhr die offene Sprechstunde im Jugendinformationszentrum (JIZ, Herzogspitalstr. 24) oder dienstags von 9 bis 10 Uhr und donnerstags von 14 bis 15 Uhr die telefonische Beratung (Tel. 532716) nutzen.
Nur ein Viertel aller Klienten kommt aus eigener Motivation in die Schuldnerberatung. 25 Prozent werden von Familienangehörigen zur Beratung geschickt und 50 Prozent der Klienten werden von anderen Institutionen und Behörden, wie Mutter-Kind-Heimen, Notunterkünften und im Rahmen von berufsvorbereitenden Maßnahmen an Huber und ihre Kollegen verwiesen. „Die Jugendlichen, die hier ankommen, sind oft froh, dass sie jemanden gefunden haben, mit dem sie über ihre Probleme sprechen können. Doch es gibt auch welche, die den Ernst der Lage nicht erkennen und kein zweites Mal vorbeikommen”, erklärt Huber.
Die Schulden junger Leute stammen oft aus Verträgen für Telekommunikationsmittel und -verbindungen. Viele reizen auch regelmäßig ihren Dispositionskredit aus oder häufen durch Schwarzfahren Schulden bei MVG und Deutscher Bahn an, wie Huber berichtet. Manche Jugendliche, darunter oft Mädchen, schließen Verträge für Freunde oder Bekannte ab und geraten dadurch in die Schuldenfalle. Entscheidend ist auch, dass sich im Alter zwischen 18 und 21 Jahren die Prioritäten vieler Jugendlicher ändern: „Sie wollen von zu Hause in eine eigene Wohnung umziehen, ihren Führerschein machen und einen eigenen Laptop besitzen, um mit Gleichaltrigen mithalten können. Und das leider auch, wenn sie keinen Ausbildungsplatz und kein ausreichendes Einkommen haben”, so Huber.
Im Durchschnitt sind ihre Klienten mit 7000 bis 10.000 Euro verschuldet und haben fünf bis zehn Gläubiger. „Ich hatte aber auch schon Klienten, die bei rund 60 Gläubigern Schulden hatten”, erzählt Huber. In der Beratung mit den Jugendlichen analysieren Huber und ihre Kollegen zunächst den Alltag der Klienten und sorgen dafür, dass die Ausgaben die Einnahmen möglichst nicht mehr übersteigen. „Dann kümmern wir uns natürlich auch um die Schuldenregulierung, schreiben die Gläubiger an und versuchen den Klienten von seinen Schulden zu befreien”, erklärt Huber.
Ebenfalls wichtig sei es, den Jugendlichen allgemeine Kenntnisse über den Umgang mit Finanzen zu vermitteln. Huber bringt ihnen bei, Kontoauszüge und Briefe zu verstehen, das Kleingedruckte zu beachten und schriftliche Antworten auf Briefe zu verfassen. Ein erster und wichtiger Schritt ist es auch, den Schulder dazu zu bringen, seine Post zu öffnen, die meist über mehrere Wochen und Monate hinweg ignoriert worden ist. „Die Mehrheit aller Schuldner hört irgendwann auf, die eigenen Briefe zu lesen, um sich von den vielen Mahnungen und Rechnungen nicht noch weiter aus dem Gleichgewicht bringen zu lassen”, meint Huber.
Ähnliche Erfahrungen haben auch Betreuer im Projekt „Hauswirtschaftliche Beratung für verschuldete Familien” gemacht, das 1982 ins Leben gerufen wurde und eine Kooperation des Sozialreferates, des Amtes für Soziale Sicherung, der Schuldner- und Insolvenzberatung und des Vereins für Fraueninteressen ist. „Einige unserer Klienten sind sprachlich gehandikapt und können oft nicht gut lesen oder schreiben”, erzählt eine ehrenamtliche Helferin, die sich schon seit 23 Jahren engagiert.
Sie ist eine von insgesamt 41 ehrenamtlichen Helfern, die sich um Münchner Bürger kümmern, die von den Sozialbürgerhäusern an das Projekt verwiesen wurden, weil sie Unterstützung bei hauswirtschaftlichen und finanziellen Problemen benötigen. Bei vielen davon handelt es sich um so genannte Multi-Problemfamilien. „Unsere Klienten haben also nicht nur Schwierigkeiten, mit den vorhanden finanziellen Mitteln auszukommen, sie finden oft auch keine Arbeit und können ihre Wohnung und ihren Haushalt nicht organisieren und sauber halten”, erklärt Brigitte Rüb-Hering vom Vorstand des Vereins für Fraueninteressen.
Die ehrenamtlichen Helfer treffen die Familien vor Ort, dort also, wo die Probleme am größten sind - im eigenen Haushalt. „Dadurch bekommen die Helfer einen viel besseren Eindruck von der Gesamtsituation der Klienten, als wenn sie diese nur im Büro treffen würden”, erklärt Christa Kaindl vom Münchner Sozialreferat. Sie geben nicht nur Nachhilfe in Haushalts-, Wohnungs- und Kleidungspflege, sondern stehen den Familien auch beim Kochen hilfreich zur Seite, klären sie über gesundheitsbewusste Ernährung und preisbewusstes Einkaufen auf.
Doch die Arbeit der Helfer ist oft nicht eitel Sonnenschein. „Häufig werden wir in die Familien gerufen, wenn es schon richtig brennt. Wenn zum Beispiel die Räumungsklage ins Haus geflattert ist, weil die Klienten über längere Zeit keine Miete und keinen Strom bezahlt haben”, erzählt eine ehrenamtliche Helferin, die bereits seit 15 Jahren dabei ist. Auch sonst schlägt den Helfern manchmal ein rauer Wind entgegen: „Man wird natürlich auch mit Drogenproblemen, psychischen Krankheiten, schwierigen Familiensituationen, Analphabetismus und sogar familiärer Gewalt konfrontiert”, erzählt die Helferin.
„Bei Geldproblemen handelt es sich oft nur um die Spitze des Eisbergs. Viele weitere Schwierigkeiten kommen ans Licht, sobald wir die Familien besuchen, die Post von mehreren Wochen und Monaten sortieren und uns die Kontoauszüge ansehen.” Diese Arbeit verlangt von den Helfern viel Organisationsgeschick, Sensibilität und Geduld und manchmal klappt es trotz zahlreicher Bemühungen nicht: „Wenn ich diese Arbeit aber nicht trotzdem als sinnvoll erleben würde, dann könnte ich sie nicht schon so viele Jahre lang machen”, meint die Helferin.