Veröffentlicht am 04.11.2008 15:48

Ein bürokratisches Monstrum?

Martin Dürrfeld, Inhaber St. Jakobs Apotheke Pasing, Tel. 88 00 20, email: info@stjakobs-apotheke.de (Foto: sb)
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Der Gesundheitsfonds ist Bestandteil der Gesundheitsreform 2007, der wohl einschneidendsten Reform im Gesundheitswesen seit 25 Jahren. Auslöser war der riesige Kostendruck, unter anderem bedingt durch den medizinisch-technischen Fortschritt und die demographische Entwicklung. 2005 kam es in Berlin zur Großen Koalition. CDU/ CSU und SPD hatten völlig gegensätzliche Vorstellungen von einer Finanzreform des Gesundheitswesens. Der eine Teil wollte eine sogenannte Bürgerprämie, die man im Volksmund auch als Kopfpauschale bezeichnet. Der andere Teil wollte eine Bürgerversicherung. Man konnte sich aufgrund der unterschiedlichen Vorstellungen nicht wirklich einigen und wählte den kleinsten gemeinsamen Nenner: den sogenannten Gesundheitsfonds, der am 1. Januar in Kraft treten wird.

Werbe-Spiegel: Der Gesundheitsfonds steht schon vor seinem Start unter Kritik und die Bevölkerung weiß nicht, was auf sie zukommen wird. Mit welchen Änderungen müssen die Versicherten rechnen?

Robert Schurer: Der Gesundheitsfonds geht die Finanzprobleme im Gesundheitswesen nicht an. Die Beitragsgrundlagen der gesetzlichen Kassen bleiben die gleichen wie bisher. Der Gesundheitsfonds ist eine neue Geldsammelstelle. Das bedeutet für die Krankenkassen, dass sie auf der Einnahmeseite zentralisiert, also verstaatlicht, werden. Alle Gelder, die wir einnehmen, werden an den Gesundheitsfonds abgeführt. Es bleibt zwar paritätisch, aber letztlich wird das Geld systematisiert. Jede Kasse bekommt dann für jeden Versicherten den gleichen Geldbetrag zur Verfügung gestellt – die Versichertenpauschale.

Stefani Meyer-Maricevic: Der Gesundheitsfonds ist ein Kompromiss der Großen Koalition. Die Parität ist durch den Gesundheitsfonds aber nicht mehr gewährleistet. Sie war es vorher schon nicht. Früher war es so, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer den Beitrag jeweils 50 zu 50 aufgebracht haben. Durch den Sonderbeitrag von 0,9 Prozent wurden die Arbeitnehmer schon in den letzten Jahren stärker belastet. Durch den Gesundheitsfonds kommen weitere Ausgaben auf die Arbeitnehmer zu.

Schurer: Den Sonderbeitrag gibt es schon seit 2004.

Meyer-Maricevic: Durch den Zusatzbeitrag, der allein vom Versicherten aufzubringen ist, wird die Parität nochmals in Richtung Arbeitnehmer verschoben.

Schurer: Das ist das Teuflische am Gesundheitsfonds. Wenn die Versichertenpauschale bei den Kassen nicht ausreicht, um die Leistungsverpflichtungen zu bestreiten, muss eine Zusatzprämie erhoben werden. Diese Prämie darf nicht mehr als ein Prozent der beitragspflichtigen Bruttoeinnahmen eines Versicherten ausmachen. Die Beitragsbemessunggrenze liegt 2008 bei knapp 3600 Euro, davon sind ein Prozent 36 Euro pro Monat. Im Falle eines Falles, muss der Versicherte für die Zusatzprämie nochmal in die Tasche greifen.

Gudrun Dangl: Gilt der Zusatzbeitrag für alle Mitglieder?

Kathrin Heydebreck: Ja. Wir entscheiden über die Höhe. Die Idee des Zusatzbeitrages müsste eigentlich sein, dass man besondere Leistungen finanziert. Demnach sollte der Zusatzbeitrag etwas Positives sein. Die Politik hat den Begriff in der Öffentlichkeit aber negativ belegt. Dadurch wird jede Kasse natürlich erstmal versuchen, keinen Zusatzbeitrag zu nehmen, sondern eher eine Leistung zu streichen.

Dr. Uwe Gretscher: Gerne wird vergessen, dass die eigentliche Intention war, auch die Privaten Krankenkassen mit ins Boot zu nehmen. Jetzt haben wir ein System, das der ursprünglichen Idee gar nicht mehr entspricht. Wir schaffen mit dem Gesundheitsfonds ein bürokratisches Monstrum, von dem keiner wirklich weiß, wie es am Ende des Tages funktioniert. Aber es entzieht dem Gesundheitssystem wieder Geld.

Schurer: Die Politik hat einen Einheitsbeitragssatz von 15,5 Prozent beschlossen. Der Beitragssatz wird neu festgelegt, wenn die Ausgabendeckung des Beitragssatzes 95 Prozent der GKV-Ausgaben in Deutschland unterschritten hat. Streng genommen sogar erst, wenn sie zweimal unterschritten wurde. Die Politik setzt den Einheitsbeitragssatz 2009 so fest, dass 100 Prozent abgedeckt sind. Wir haben aber eine dynamische Kostenentwicklung. Die beitragspflichtigen Einnahmen der Kassen liegen im Bundesdurchschnitt jährlich bei 2,5 bis drei Prozent unter der Leistungsausgabenentwicklung, die höher steigt als die Löhne und Gehälter der Menschen, die die Beiträge zahlen. Die Abdeckung im Jahr zwei des Gesundheitsfonds steht dann möglicherweise nur noch bei 97 Prozent. Im Jahr drei hat sie vielleicht die 95 Prozent schon unterschritten. Doch mit Hilfe der Rechtsverordnung wird erst dann nachjustiert, wenn das zweimal passiert. Damit fehlt über die Zuweisung der Versichertenpauschale den Krankenkassen in der Folge vermutlich Geld.

Werbe-Spiegel: Was bedeutet das für die Patienten?

Schurer: Wenn die Kassen über die Versichertenpauschale zu wenig Geld bekommen, provoziert das Zusatzbeiträge.

Werbe-Spiegel: Warum herrscht bei den Krankenkassen die Angst vor, dass das Geld nicht reicht?

Heydebreck: Es wurden politische Zusagen an Kliniken und Ärzte von sechs Milliarden Euro gemacht, ohne dass man das Ganze in irgendeiner Form mit Qualitätsanforderungen verknüpft hat.

Gretscher: Gerade die Krankenhäuser aber auch die niedergelassenen Ärzte wurden schon heftig zur Kasse gebeten. Wir reden hier von einer deutlichen Unterdeckung der Finanzierung, von Tarifsteigerungen und von enormen Sachkosten. Daran ändert auch der Gesundheitsfonds nichts. Wir haben im Krankenhausbereich auch im Jahr 2009 eine signifikante Unterdeckung.

Heydebreck: Selbstverständlich muss eine Notfallversorgung in den Kommunen gewährleistet sein. Aber brauchen wir wirklich so viele Kliniken bzw. brauchen wir so viele Kliniken, die so ausgestattet sind?

Christa Hutz: So sehe ich das als Versicherte auch.

Gretscher: Wir leisten uns in Deutschland eine partielle Überversorgung. Das betrifft nicht nur niedergelassene Ärzte und Kliniken, sondern auch die Krankenkassen. Diskussionen darüber sind politisch nur schwer vermittelbar.

Hutz: Wer hat denn kein Interesse daran?

Schurer: Wir haben es im Gesundheitswesen mit vielen Widersprüchlichkeiten zu tun. Einerseits sagt die Politik, dass gespart werden muss. Das ist keine Frage. Aber wenn man an die Bereinigung oder Regulierung des Krankenhausmarktes herangehen würde, ist das für die Politik keine populäre Aufgabe. Natürlich muss auch der Versorgungsauftrag der Krankenhäuser geklärt werden. Muss in jedem Krankenhaus in den Regionen Spitzenmedizin angeboten werden? Oder wäre es nicht sachgerecht, Spitzenmedizin in Städte mit einer höheren Versorgungsdichte zu legen.

Gretscher: Letztendlich muss die Politik das Problem mit der Bevölkerung diskutieren.

Werbe-Spiegel: Worin liegen die Hauptursachen für die gestiegenen Gesundheitskosten in unserem Land?

Schurer: In der Demographie und in der Zunahme des Fortschritts. Die steigenden Kosten können nicht nur allein auf das überflüssige bürokratische Monster Gesundheitsfonds geschoben werden. 2009 kommen auf die normale dynamische Entwicklung im Gesundheitswesen nochmal zusätzlich 6,5 Milliarden Euro im Jahr hinzu – durch die Honorarreform der Ärzte und das Sanieren von Krankenhäusern.

Heydebreck: Es kann nicht sein, dass der Staat die Bürger und auch die Krankenkassen bevormundet. Durch den Einheitsbeitragssatz wird das ganze System noch weniger transparent gemacht.

Hutz: Weder Krankenkassen, Kliniken, Ärzte noch die Politik trauen sich den Menschen klipp und klar zu sagen, dass man bestimmte Leistungen nicht mehr finanzieren kann. Ich glaube, die Leute sind nicht so dumm, dass sie das nicht begreifen. Man muss es ihnen nur transparent darlegen.

Schurer: Sie hören ja, dass wir uns Sorgen machen. Wir müssen die Leute an die Hand nehmen. Den meisten Menschen geht es im Gesundheitswesen wie in einem Labyrinth. Sie kennen sich nicht aus.

Meyer-Maricevic: Wir haben mit der bisherigen Finanzierungsbasis und dem Risikostrukturausgleich in den letzten Jahren völlige Fehlanreize gesetzt. Es hat sich nämlich als lukrativ erwiesen, möglichst junge, gut verdienende Versicherte an sich zu binden. Große Krankenkassen, die eine Versichertenstruktur haben, die den Querschnitt der Bevölkerung widerspiegelt, haben da natürlich andere bzw. mehr Leistungsausgaben. Ein großes Plus des Gesundheitsfonds sehe ich in der Verknüpfung mit dem neuen Risikostrukturausgleich. Dadurch wird alles in allem der Ausgleich gerechter. Insgesamt werden dort 80 Krankheiten aufgeführt. Ich behaupte zudem: Es wird im Jahr 2009 keine Leistungseinschränkungen geben. Da werden von unterschiedlichsten Interessenverbänden Ängste geschürt, die es nicht braucht.

Martin Dürrfeld: Für mich hört sich das so an, dass auf ein bereits existierendes bürokratisches System einfach ein neues drauf gesetzt wird. Ich weiß nicht, ob das am Ende die große Lösung ist.

Meyer-Maricevic: Es ist zumindest besser als die bisherige Lösung.

Schurer: Der Risikostrukturausgleich ist der Versuch, das Geld dort hinzubringen, wo es gebraucht wird – in die Krankenhäuser, zu den Ärzten oder für Medikamente. Für ein soziales und solidarisches Gesundheitssystem sind Begriffspaare wie ‘Junge für Alte’ oder ‘Gesunde für Kranke’ unverzichtbar.

Gretscher: Der Vorteil des Fonds ist, dass er wieder mehr Solidarprinzip einführt. Kostensteigerungen entstehen durch Demographie, moderne Versorgungsmethoden und letztendlich unseren berechtigten Anspruch auf steigende Lebensqualität.

Werbe-Spiegel: Zu den 80 Krankheiten gehören auch viele chronische Erkrankungen. Ist zu befürchten, dass immer mehr Patienten als chronisch krank eingestuft werden, um den Strukturausgleich in Anspruch nehmen zu können?

Gretscher: Da könnte durchaus ein gewisser Fehlanreiz vorhanden sein. Schurer: Wir als Krankenkasse legen natürlich Wert darauf, dass richtige Diagnosen erstellt und diese richtig kodiert werden.

Heydebreck: Das Problem hatten wir auch schon beim DMP (DMP steht in der Medizin bei der Behandlung von chronisch Kranken für das Disease-Management-Programm, Anm. d. Red.). Je mehr Patienten in die Chronikerprogramme eingeschrieben wurden, desto mehr Geld gab es für die Kasse. Der Arzt hat das gegenüber den Kassen oft als Druckmittel verwendet. Nach dem Motto 'Ich schreibe Euren Versicherten nicht mehr rein, dann bekommt Ihr nichts mehr aus dem Risikostrukturausgleich.' Abgesehen davon wurde die Versorgung für chronisch Kranke dadurch nicht verbessert.

Meyer-Maricevic: Es gibt valide Studien zum Thema Diabetes beispielsweise, die belegen, dass die Versorgung signifikant verbessert wurde.

Schurer: Die Durchschnittskosten eines Mitgliedes in der GKV betragen jährlich zirka 3000 Euro. Ein Diabetiker kostet pro Jahr 9000 Euro. Es ist doch in Ordnung, dass wir eine gute Versorgung eines chronisch kranken Patienten gewährleisten. Das ist der Ansatz eines morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleichs.

Meyer-Maricevic: Es ist wichtig, alle Neuerungen sinnvoll zu nutzen. Alle Beteiligten sollten eine Optimierung und Verbesserung der Versorgung sowie die Sicherung unseres Systems anstreben und sich nicht gegenseitig permanent in irgendwelchen Diskussionen zerfleischen. Wenn es so weitergeht, wird das System immer mehr in Richtung Einheitskasse abgebaut. Ich habe noch kein System gesehen, das eine so hochwertige medizinische Versorgung einer so breiten Bevölkerungsmasse zur Verfügung stellt, wie das in Deutschland der Fall ist.

Werbe-Spiegel: Würde eine Einheitskasse weniger Leistung erbringen können?

Meyer-Maricevic: Es gäbe dann keinen Wettbewerb mehr. Zudem könnte die Qualität der Versorgung nicht mehr gewährleistet werden.

Werbe-Spiegel: Brauchen wir in Deutschland tatsächlich 230 Krankenkassen?

Schurer: Vor zehn Jahren hatten wir über 1000 Krankenkassen. Ich bin sicher, dass es im Laufe der nächsten Jahre weniger Kassen geben wird. Eine Einheitskrankenkasse schwebt uns aber allen nicht vor.

Gretscher: Ich weiß nicht, ob eine Einheitskasse so viel schlechter wäre. Wenn Leistung in Anspruch genommen wird, wird sie bezahlt. Punkt. Jede Krankenkasse stellt auch einen administrativen Apparat dar, in dem viel Geld verschwindet.

Werbe-Spiegel: Inzwischen werben die privaten Krankenkassen verstärkt um jüngere Leute. Befürchten Sie, dass dieses Klientel abwandert?

Meyer-Maricevic: Nein. Das hängt auch mit dem Verdienst zusammen. Die Grenze liegt bei 3675 Euro, erst dann kann man sich privat versichern.

Dürrfeld: Wird nicht der Beitrag der gut Verdienenden überproportional teurer durch das neue System? Wächst dadurch nicht der Anreiz vielleicht doch zu wechseln?

Heydebreck: Das könnte schon der Fall sein. Deshalb werden zum Beispiel Wahltarife eingeführt, mit denen wir den Versicherten spezielle Angebote unterbreiten, zum Beispiel eine Beitragsrückerstattung. Wir versuchen durchaus in diesem Bereich Anreize zu schaffen.

Wilhelm Schießl: Es ist wichtig, sich die Vor- und Nachteile einer privaten Krankenversicherung klar zu machen. Ich gebe zum Beispiel sehr viele Seminare für werdende Mütter. Eine Mutter, die gesetzlich versichert ist, ist drei Jahre beitragsfrei. Eine Mutter, die privat versichert ist, zahlt im gleichen Zeitraum weiter ihre Prämien. Eine private Krankenversicherung muss nicht immer von Vorteil sein.

Werbe-Spiegel: Aber ein gewisser Anreiz zum Wechsel lässt sich nicht leugnen?

Schurer: Der Anreiz ist in gewissen Lebenssituation natürlich gegeben – jung, gesund, ohne Familie, gut verdienend. Wenn sich daran aber etwas ändert, zum Beispiel der Familienstand, sieht das Ganze schon wieder anders aus. Abgesehen davon sind die Beiträge der Privaten in den letzten zehn Jahren schneller und höher gestiegen als die Beiträge der Gesetzlichen Krankenversicherungen.

Schießl: Wer privat versichert ist, kann zudem nicht einfach wieder zurück in die Gesetzliche.

Schurer: Der Gesetzgeber sagt in solchen Fällen ganz klar: Wer sein Geld in bestimmten Lebensphasen – also jung, gesund, gut verdienend – zu einer Privaten Kasse getragen hat und sich damit letztendlich auch dem solidarischen Prinzip entzogen hat, der kann später nicht wieder Nutznießer des solidarischen Systems werden. Das ist eine richtige Abgrenzung.

Dürrfeld: Nichts desto trotz ist es aber so, dass die meisten Arztpraxen hauptsächlich von den privat Versicherten mitfinanziert werden.

Gretscher: Nur mit GKV-Patienten wären Ärzte kaum in der Lage ihre Praxen zu finanzieren.

Meyer-Maricevic: Laut Statistischem Bundesamt betragen die Jahreseinkommen der Ärzte zwischen 104.000 Euro plus und 230.000 Euro plus. Damit muss es doch möglich sein eine Praxis zu finanzieren.

Werbe-Spiegel: Kann man die Menschen überhaupt dazu bringen, bestimmte Leistungen aus eigener Tasche zu zahlen?

Heydebreck: Für diesen Fall bieten wir in Kooperation unterschiedliche Zusatzversicherungen an.

Schurer: Durch die Neuregelung der Festzuschüsse beim Zahnersatz zum Beispiel, tragen die Kassen nach gesetzlichen Vorschriften im Durchschnitt 40 oder 45 Prozent der tatsächlich für die Patienten anfallenden Kosten. Da hat der Gesetzgeber die Möglichkeit der Zusatzversicherungen geschaffen, die wir vermitteln.

Gretscher: Das Problem ist doch, dass das Gesundheitssystem historisch gesehen mittlerweile ganz anders aufgebaut ist. Früher gab es das Vollkasko-Prinzip – man zahlt einen Beitrag und bekommt alles an Leistung. Das können wir uns in dieser Form nicht mehr leisten. Davon müssen wir die Menschen überzeugen.

Schurer: Gesundheits- oder sozialpolitisch steht doch etwas ganz anderes zur Disposition. Will man nach wie vor allen Menschen im Land den Zugang zu medizinischer Versorgung ermöglichen oder will man eine Zweiklassen-Medizin? Das ist die Frage, die in den nächsten Jahren von der Politik zu beantworten ist. Und ich halte es für erstrebenswert, allen Menschen bei Krankheit Zugang zu medizinischer Versorgung zu ermöglich. An diesem Ziel sollten alle Beteiligten im Gesundheitswesen festhalten. Durch die steigende Kostensituation, nicht zuletzt durch den medizinischen Fortschritt, ist die Frage nach der Finanzierung die größte Herausforderung.

Werbe-Spiegel: Wie beurteilen Sie unser Gesundheitssystem?

Gretscher: Ich bin der festen Überzeugung, dass wir nach wie vor ein sehr ausgeprägtes Gesundheitssystem haben, das sich über viele Jahrzehnte hinweg entwickelt hat und in sich hervorragend funktioniert. Die Problematik, die wir erleben, hängt vor allem mit der demographischen Entwicklung und der Schere zwischen Ein- und Ausgaben zusammen. Wir sollten aufpassen, unser Gesundheitssystem nicht schlechter zu reden als es ist. Aber wir müssen uns auch darauf vorbereiten, dass es immer weniger Beitragszahler gibt und immer mehr, die Leistung in Anspruch nehmen. Daher drängt sich die Frage auf, was uns Gesundheit und ein solidarisches System wert sind und vor allem wie ein solches System finanziert werden soll. Der Gesundheitsfonds stellt keine tatsächliche Lösung des Problems dar, sondern führt eher dazu, dass das Gesundheitssystem für die Patienten noch weniger transparent wird.

Schießl: Der Gesundheitsfonds wird generell keinen großen Einfluss auf das Leistungsniveau der Kassen haben. Wir werden uns im Jahr 2009 in keinster Weise einschränken müssen. Was unser Gesundheitssystem betrifft, liegen wir im weltweiten Vergleich in der Spitzengruppe und müssen uns nicht verstecken. Was aber tatsächlich noch auf uns zukommt, weiß keiner. Der Gesundheitsfonds ist noch nicht das Ende der Fahnenstange. Schade ist, dass den Krankenkassen die Beitragsautonomie entzogen wurde.

Schurer: Wenn deutsche Urlauber im Ausland schwer erkranken, wo wollen sie dann schnellst möglichst hin? Nach Deutschland. Weil sie hier die beste medizinische Hilfe bekommen. Unser Gesundheitssystem ist so gut, dass es sich lohnt, die Strukturen, die Qualitäten und die Standards zu erhalten, damit alle Menschen Zugang zu diesem System haben.

Dürrfeld: Selbstverständlich ist unser Gesundheitssystem sehr gut. Der Gesundheitsfonds ist für mich der kleinste gemeinsame Nenner einer Großen Koalition. Jedem dürfte klar sein, dass sich durch die Neuwahlen wieder etwas ändern wird.

Heydebreck: Deutschland ist ein Top-Gesundheitsstandort, an dem viele Arbeitsplätze hängen. Außerdem haben wir eine super Forschung. Um das weiterhin aufrecht erhalten zu können, brauchen wir keine Bevormundung der Politik, sondern Kooperationen und Wettbewerb sowohl unter den Krankenkassen als auch bei den Leistungserbringern. Außerdem ist eine gute Zusammenarbeit mit der Industrie und der Forschung wichtig.

Hutz: Ich bin kein Fachmann, aber ich denke, dass unser Gesundheitssystem in Deutschland sehr gut ist. Doch die Politik und alle Beteiligten müssen versuchen, möglichst ehrlich und transparent zu sein. Da nichts wirklich auf den Tisch gelegt wird, bekommen die Menschen den Eindruck, dass alles verdeckt abläuft. Das fördert nicht das Vertrauen der Bevölkerung in das System.

Meyer-Maricevic: Der Gesundheitsfonds hat Licht und Schatten, geht aber das Problem der Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung nicht konsequent an. Nach der Wahl ist vor der Wahl. Ich bin sicher, dass es weitere Reformen geben wird, die zur Veränderung und Weiterentwicklung des Fonds beitragen.

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