Niemand muss, aber alle tun es: Alle Besucher recken den Hals und riskieren einen Blick in die Brennkammer, in der gerade ein Sarg mit den sterblichen Überresten eines Menschen verbrennt. Es knistert und es ist heiß. Ein heftiger Kontrast nach dem Kühlraum, in dem die versiegelten Särge stehen: Ein Wechselbad im wahrsten Sinne ist eine Führung durchs Münchner Krematorium am Ostfriedhof. Regelmäßig, öffentlich und kostenlos sind diese Führungen, man braucht sich nur anzumelden um Einblick zu bekommen.
Es beginnt ganz harmlos in der denkmalgeschützten Aussegnungshalle von 1929. Sie wurde vom damaligen Stadtbaudirektor Hans Grässel erbaut, der als Friedhofsarchitekt auch das dezentrale Münchner Friedhofskonzept entwickelte und umsetzte. „Der Gott des Friedens sei mit euch allen“ lautet die religionsübergreifende Inschrift. Die große Halle wird von einer Trauergesellschaft nur selten ganz ausgefüllt, berichtet der stellvertretende technische Leiter des Krematoriums, Matthias Schaal.
Wo es für den Trauergast zu Ende ist, geht die Führung den Weg des Sarges weiter: Metallteile wie Griffe und Kruzifixe werden vom Sarg entfernt.Der Erlös des gesamten aussortierten Materials wird zur Förderung einer Kultur der Pietät, des Sterbens und der Totenruhe auf den Münchner Friedhöfen verwendet. Im Kühlraum stehen die Särge aufgereiht, und auf jedem liegt eine Marke aus feuerfestem Schamottstein mit der Nummer. Jedem Verstorbenen wird in der Verwaltung eine laufende Nummer zugeordnet, und mehrere Mitarbeiter überprüfen auf dem Weg von der Anlieferung über die Einäscherung bis zur Urne die Zuordnung, was Verwechslungen ausschließt. Zwei sehr kleine Särge stehen am Rand. So genannte Sternenkinder mit meist identischem Geburts- und Sterbedatum. Auf dem Waldfriedhof gibt es Grabanlagen für tot geborene Kinder - die Nachfrage steigt.
Tief atmen, schlucken und weiter geht’s in den technischen Bereich. Hier sind die fünf Brennkammern zu sehen, ein ausgeklügeltes Rohrleitungssystem, die Aschemühle, die Urnen. „Beschickung“ wird es genannt, wenn ein Sarg mit dem Gabelstapler in die Brennkammer eingefahren wird. Aus dem, was herauskommt, werden mit einem Magneten die Metallteile entfernt – Sargnägel und Schrauben. Große Teile wie künstliche Hüft- oder Kniegelenke werden zuvor aussortiert. Der Rest wird in der Aschemühle in gleichmäßige, graue Späne zermahlen. Ein Haufen Knochenasche: das ist es, was übrig bleibt.
Und in die Urne kommt. Die aus Metall sind für Urnennischen bestimmt. Urnen die begraben werden, sind zwar stabil, aber biologisch abbaubar. Nach drei bis vier Jahren etwa gelangt die Asche ins Erdreich. Ein Stapel mit passenden Versandkartons für Urnen steht hinter den Brennkammern. Da in Deutschland Friedhofspflicht besteht, dürfen Urnen nur an Friedhofsverwaltungen verschickt werden.
-Was passiert mit dem Zahngold?
Es kommt mit der Asche in die Urne.
-Warum dauert das so lange mit der Einäscherung?
Es dauert nicht lange. Wartezeiten entstehen dann, wenn die nötigen Papiere nicht vorliegen oder die Angehörigen sich nicht auf einen Termin für die Urnenbestattung einigen können.
-Kann ich dabei sein, wenn der Sarg einfährt?
Nein. Im Arbeitsbereich sind außerhalb der Führungen keine Besucher zugelassen. Doch der geplante Neubau des Krematoriums sieht kleinere Verabschiedungsräume mit Sichtbezug zur Brennkammer vor, um diesem Wunsch Rechnung zu tragen. Dann können auch Trauerfeier, Einäscherung und Urnenbestattung am selben Tag stattfinden.
8000 Einäscherungen im Jahr, Tendenz steigend.
Das Krematorium hat 17 Mitarbeiter/innen.
In den Brennkammern mit glühenden Schamottsteinen herrscht eine Temperatur von 850 Grad Celsius.
In 5 Brennkammern können jeweils 8 Särge am Tag eingeäschert werden – es sind also bis zu 40 Einäscherungen am Tag möglich.
Eine Einäscherung dauert etwa 70 bis 90 Minuten.
Innerhalb von 2 Arbeitstagen kann die Einäscherung vollzogen werden, sofern die notwendigen Papiere vorliegen.
Etwa 60 Prozent Feuerbestattungen stehen heute in München rund 40 Prozent Erdbestattungen gegenüber – vor 20 Jahren war das Verhältnis noch umgekehrt.
269 Euro beträgt die Gebühr für eine Einäscherung
Neben dem Totenschein und der Freigabe durch die Staatsanwaltschaft bzw. Polizei bedarf es auch einer Willenserklärung des Verstorbenen. Wenn keine schriftliche Erklärung vorliegt, können die nächsten Angehörigen schriftlich bestätigen, dass der Wille zur Feuerbestattung zu Lebzeiten geäußert wurde. Wer seinen Angehörigen Kopfzerbrechen ersparen will, kümmert sich rechtzeitig um seine eigene Bestattungsvorsorge. Seine Wünsche kann man bei der Städtischen Bestattung, einem Bestattungsunternehmen oder auch einfach in der Nachttischschublade hinterlegen (und seine Angehörigen darüber informieren). „Bloß nicht mit dem Testament beim Notar“, warnt Matthias Schaal: „Das Testament wird meistens erst vier bis sechs Wochen nach dem Tod eröffnet – da ist die Bestattung schon vorbei.“