„EU – das sind nicht einfach nur zwei Buchstaben. Das ist viel komplizierter.“ Jerzy Montag, für Bündnis 90/Die Grünen Abgeordneter des Deutschen Bundestages, versuchte am vorigen Montag den Schülerinnen und Schülern von zwei elften Klassen des Erasmus-Grasser-Gymnasiums zu vermitteln, weshalb er von der Idee eines vereinten Europas begeistert ist. Wobei er bei dem EU-Projekttag an der Schule einräumte, die Europäische Union sei schon ein kompliziertes Gebilde. Das Vertragswerk, das der EU zugrunde liege – es berührt das Leben von knapp 500 Millionen Menschen in den 27 Mitgliedsstaaten – sei so umfangreich, dass es kaum zwischen zwei Buchdeckel passe, erklärte der rechtspolitische Sprecher der grünen Bundestagsfraktion und Vorsitzende des Ausschusses für Europarecht. Er brauchte beide Hände, um deutlich zu machen, wie umfangreich die Bestimmungen sind, die in viele Lebensbereiche der Europäer hineinreichen. Montag: „Es gibt kaum noch Bereiche, in denen die EU nicht mitredet.“ So regele sie beispielsweise das Zivil- und Familienrecht, das Kinder- und Unterhaltsrecht sowie den Verbraucher- und den Umweltschutz.
Der Tag zum Thema EU fand am 9. März an vielen Schulen in der Bundesrepublik statt. Dazu hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel im Januar 2007 angeregt, als die deutsche EU-Ratspräsidentschaft begann. Ein alljährlich stattfindender Europa-Aktionstag an Schulen könne ein Anlass sein, sich über das Zusammenwachsen Europas und die Zukunft der Europäischen Union auseinanderzusetzen.
Trotz des sperrigen Stoffs – „Ihr müsst mir helfen, ich bin kein Lehrer“ – erwies sich die Sorge des Politikers darüber, dass die Schülerinnen und Schüler kein Interesse zeigen könnten, als unbegründet. Die Klasse 11 g hatte mit ihrem Klassenlehrer Bert Uschner vorgearbeitet und sich schriftlich „mit allen möglichen organisatorischen Bereichen der EU“, so Montag, befasst. Selbst, wenn die noch so sehr abstrakt und kompliziert erscheinen mochten. So entspann sich schnell eine angeregte Diskussion zu aktuellen europäischen Fragen, die nach einer Schulstunde mit den Schülerinnen und Schülern in der Parallelklasse 11 ü fortgesetzt wurde.
Jerzy Montag ist ein „Europa-Fan“: „Die Arbeit im Ausschuss für Europarecht hat meine vorhandene Liebe und mein Interesse an Europa beflügelt.“ Als es geheißen habe, es gebe an allen deutschen Schulen einen Europa-Tag, habe er sich spontan bereit erklärt, ans Erasmus-Grasser-Gymnasium zu gehen. Die Schule liege nicht nur in seinem Wahlkreis, es gebe eine weitere Verbindung zu dem Gymnasium: „Meine beiden Töchter haben am benachbarten Ludwigs-Gymnasium Abitur gemacht.“ Jerzy Montag war als Kind mit seinen Eltern aus Polen nach Deutschland gekommen – „Ich bin ein seltenes Exemplar früher Integration“ – und war bis zu seiner Wahl zum MdB im Jahr 2002 als Fachanwalt für Strafrecht in München tätig. Montag: „Ich habe 23 Jahre als Strafverteidiger gearbeitet.“
Neu war für viele Schülerinnen und Schüler, dass die Bürger aller im Europarat zusammengeschlossenen 50 Mitgliedsstaaten bei Menschenrechtsverletzungen Klage erheben können. Dazu sei die Europäische Menschenrechtskonvention ins Leben gerufen worden. Der Grüne: „Die meisten dieser Klagen sind erfolgreich.“ Eine zweite wichtige europäische Organisation sei die OSZE, die Organisation für Zusammenarbeit und Sicherheit in Europa. Als sogar für den Experten nicht zu durchschauendes Vertragswerk stellte sich der „Lissabonner Vertrag“ dar. Montag: „Selbst ich weiß nicht, was der alles beinhaltet.“ Mit diesem Vertrag solle die alte EU-Verfassung auf eine neue Basis gestellt werden. Dabei gebe es Probleme. Jetzt kamen die Schüler zum Zug: „Irland hat dagegen gestimmt.“ Montag ergänzte: „Die Iren entschieden sich mit 50,1 Prozent dagegen.“ Weil das Papier von sämtlichen 27 Mitgliedstaaten unterschrieben werden müsse, hänge der Vertrag in der Luft. Aus dem Grund werde angestrebt, die bisher geltende Einstimmigkeit aufzuheben. Denn, so Montag: „Mit der Einstimmigkeit kann jedes Land blockieren.“ Im Vertrag von Lissabon solle deshalb künftig die Grundregel „der doppelten Mehrheit” gelten. Das bedeute, die Mehrheit der Staaten und 55 Prozent aller darin lebenden Bürgerinnen und Bürger müssten zustimmen, um ein Gesetz zu verabschieden. Nur so, meint Montag, sei ein „halbwegs gerechtes Ergebnis zu erreichen.“
Die aktuelle Lage stellt sich aus Montags Sicht so dar: „Mit Irland wird zurzeit noch verhandelt. In Deutschland muss das Bundesverfassungsgericht über eine Klage von Bundestagsabgeordneten entscheiden.” Den Ausgang des Verfahrens wolle auch der tschechische Präsident abwarten. Montag: „Der Lissabonner Vertrag ist in Ordnung.“ Komme es anders, fürchte er, sei das das Ende der Einigung Europas. Im Sommer werden die Klassen den Bundestag in Berlin besuchen. Jerzy Montag nahm das zum Anlass, die Schülerinnen und Schüler zu einer erneuten Diskussion über Europa einzuladen: „weil die EU der Garant für den Frieden ist, nachdem Europa ein Jahrhundert des Blutvergießens erlebt hat.“