Wenn es um Zeit geht, dann hält sich Dieter Birmann an Albert Einstein: „Zeit ist das, was man an der Uhr abliest“. „Eigentlich trivial, aber es trifft zu“, so der Ingenieur aus Lochhausen. Der Rentner hatte in München am Prüfamt für Verkehrswegebau gearbeitet. Er ist aber auch Gnomoniker. Gnomonik ist die Lehre der Sonnenuhren und Birmann ist Spezialist auf diesem Gebiet. Eigentlich haben ihn Sonnenuhren schon immer fasziniert, erklärt er. „Bereits als Pfadfinder habe ich eine Konstruktionszeichnung angefertigt“. So viele Wissensgebiete kommen bei den Sonnenuhren zusammen: „Mathematik, Geometrie, Astronomie, Kunstgeschichte, Baugeschichte, Theologie und Symbolik“, zählt er auf.
Die Sonnenuhr bringe als wissenschaftliches Messgerät „Zeit“ in eine räumliche Darstellung, sie hat aber auch kulturelle oder religiöse Funktion. „Das eigene Leben spiegelt sich in der Sonnenuhr wieder“.
Die Sonnenuhrenzeit ist übrigens immer die wahre Ortszeit, erläutert Birmann, auch wenn die Armbanduhr etwas anderes anzeigen sollte. Warum das so ist? „Die Sonnenuhrenzeit beschreibt den Stand der Sonne“. Um 12 Uhr Sonnenzeit steht die Sonne dabei genau im Süden über dem Meridian. Technisch ausgedrückt funktioniert das so, indem bei einer Sonnenuhr der erdachsparallele Polstab gegenüber der Horizontalen um den Breitengrad des Ortes geneigt ist, der Schatten fällt dann auf ein Ziffernblatt. Je nach Ort ist die Einteilung der Stundenlinien unterschiedlich – zumindest wenn der Breitengrad ein anderer ist. In München ist er beispielsweise 48 Grad. Deswegen könne man Sonnenuhren aus anderen Orten auch nicht einfach woanders anbringen. Oder man ruft Birmann: „Ich habe einen Algorhythmus entwickelt, um die Stundenlinien zu ergänzen“. Er kann sie damit für jeden beliebigen Ort errechnen.
Im Gegensatz zur Sonnenzeit ist die Mitteleuropäische Zeit ein künstliches Zeitmaß, dem gleichlange Stunden und Tage zugrunde liegen. „Viele Menschen meinen, dass die Sonnenuhr falsch ginge, da sie nicht wissen, dass zum Beispiel in München ein Unterschied von bis zu einer halben Stunde besteht“. Birmann, der seit den 80-er Jahren Sonnenuhren professionell restauriert, aber auch neu entwirft und berechnet, hat schon viel Aufklärungsarbeit leisten müssen, damit die angeblich „falsch gehenden“ Uhren bei einer Kirchenrestaurierung nicht einfach übermalt worden wären.
Bis etwa 1900 war die Sonnenuhr als „Zeitnormal“ unter den Turmuhren angebracht. „Die Uhrenmacher haben die Zeit nach der Sonnenuhr gestellt“. In der Barockzeit war es vor allem die Symbolik von Licht und Schatten, von Leben und Tod, die Sonnenuhren so beliebt machten. „Das Symbolische fehlt uns in der heutigen Zeit“, bedauert Birmann.
Im Laufe der Zeit hat Birmann schon viele Sonnenuhren renoviert. Zu allen kann er spannende Geschichten erzählen. Besonders begeistert hat ihn eine sehr expressiv gemalte Sonnenuhr am Turm des Landesamts für Maß und Gewicht in Nymphenburg. 1985 hat er den Zeitmesser restauriert und die fehlenden und verblichenen Stundenlinien wieder eingerechnet. „Die sehr, sehr genaue Berechnung muss ursprünglich ein sehr versierter Fachmann vorgenommen haben“, erzählt Birmann. Das funktionale Gebäude mit kubischen Elementen hat der Architekt Karl Badberger (1888-1961) erbaut, ob er die Sonnenuhr gemalt hat, ist unklar. „Sonnenuhren sind immer auch ein Teil der Architektur, das muss stimmig sein und passen.
Stolz ist Birmann auf seine begehbare „analemmatische“ Sonnenuhr, die er anlässlich der Bundesgartenschau im Schlosspark Ismaning konstruiert hat. Bei dieser Bodensonnenuhr dient der Schatten des Menschen als Zeiger der flächigen Sonnenuhr.
Bei aller Liebe zu diesen charmanten Zeitmessern bleibt ein Problem bestehen: „Ohne Sonne ist nichts“, so Birmann. Oder wie es treffend am Liebighaus in Frankfurt zur Sonnenuhr heißt: „Nicht immer, aber richtig“.