Veröffentlicht am 13.10.2010 00:00

Ottobrunn · Überleben durch Arbeit


Von red
Haakon Sörbye berichtete Ottobrunner Schülern von seinen Erfahrungen im KZ.  (Foto: Privat)
Haakon Sörbye berichtete Ottobrunner Schülern von seinen Erfahrungen im KZ. (Foto: Privat)
Haakon Sörbye berichtete Ottobrunner Schülern von seinen Erfahrungen im KZ. (Foto: Privat)
Haakon Sörbye berichtete Ottobrunner Schülern von seinen Erfahrungen im KZ. (Foto: Privat)
Haakon Sörbye berichtete Ottobrunner Schülern von seinen Erfahrungen im KZ. (Foto: Privat)

Der Vortrag beginnt mit einem Schlag in die Magengrube: Auf einer Schwarzweiß-Aufnahme türmen sich Leichenberge vor den Augen des Publikums. Während der Direktor der Schule und der Bürgermeister reden, hängt die ganze Zeit das grauenvolle Foto an der Projektionsfläche des Vortragraums. Der Norweger Haakon Sörbye, geboren 1920 in Oslo, stand Ende September vor der K13 des Gymnasiums Ottobrunn, um von seiner Zeit als Gefangener der Nazis und Insasse im KZ-Außenlager Ottobrunn zu erzählen.

Tatsächlich wissen viele Leute nicht um die Rolle, die der Ort während des zweiten Weltkriegs spielte: Ab 1944 wurden hier politische Häftlinge zur Zwangsarbeit für den Aufbau der Luftfahrtforschungsanstalt München herangezogen, um den Vorsprung der USA in der Luftfahrttechnik aufzuholen. 1941 besuchte ein Freund, der ein Schiff gestohlen hatte, damit nach England geflohen war und nun für den britischen Geheimdienst arbeitete, Haakon Sörbye und überredete ihn zur Arbeit im Untergrund. Der angehende Elektroingenieur manipulierte fortan Radios, die dann der Untergrund zur Kommunikation mit den Engländern nutzen konnte. Die Sache flog auf; im Zuge des sogenannten »Nacht- und Nebelerlasses« wurde Sörbye 1941 mit zahlreichen anderen norwegischen, französischen, belgischen und holländischen Häftlingen nach Deutschland verschleppt. Über mehrere Zwischenlager kam er im Juni 1943 ins KZ Natzweiler im Elsass. Der Lagerkommandant Joseph Kramer begrüßte sie mit den Worten »es gebe nur einen Ausgang, das sei das Krematorium.« Bei der Arbeit im Steinbruch verlor Sörbye 15 Kilo und holte sich eine Entzündung am linken Bein. Als die Alliierten näher rückten, wurden im September 1943 alle Gefangenen ins KZ Dachau verlegt, von wo aus einige nach Ottobrunn kamen. Sörbye überstand die Reise trotz einer Typhuserkrankung – viele Kameraden hingegen starben unterwegs. In Ottobrunn verbesserte sich seine Lage schlagartig. Anstatt Steine zu kloppen musste Sörbye nun Radios reparieren.

Da ursprünglich nicht als Arbeitslager gedacht, hatte das Lager eine Kantine, die auch genug Platz für alle bot; es gab reine Kleidung und sogar Briefpapier, auf dem die Gefangenen ihren Verwandten, die ja nicht wussten, was ihren Angehörigen geschehen war, Briefe schreiben konnten, wenn sie auch zensiert wurden. Gegen Ende des Krieges, als sich die Niederlage Deutschlands abzuzeichnen begann, wurden die Häftlinge über Hamburg und Dänemark nach Schweden verlegt, wo sie endlich befreit wurden. Sörbye kehrte nach Norwegen zurück, beendete sein Studium und wurde bald Vater. 1989 schrieb ein ehemaliger Mitgefangener seine Erlebnisse auf. Vom Sohn ermuntert, begann Sörbye sich zu erinnern, zu erzählen. Er stieß auf die Facharbeit »Im Zwang für das Reich«, in der 1995 der Ottobrunner Schüler Martin Wolf das bis dahin totgeschwiegene Lager in Ottobrunn behandelte. Sörbye setzte sich in Kontakt mit der Schule; so steht er heute nicht zum ersten Mal vor Schülern des Gymnasiums um seine Geschichte zu erzählen. Er lässt einen 67 Jahre alten Handschuh durch die Reihen der Zuhörer gehen – um die Kälte im KZ Natzweiler zu überleben, musste Sörbye stricken lernen.

David Will

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