München-Lerchenau · Die knapp 100 Jahre alte Eggartensiedlung, in der es große Parzellen mit Freizeitflächen samt Gartenhäuschen gibt und einige Wohnhäuser, soll in ein paar Jahren Standort für eine neue Siedlung mit 1250 Wohnungen werden.
Entsprechende Pläne hegt die Immobiliengesellschaft Vivico. Sie will auf dem ehemaligen Bahngelände zwischen Lassalle-, Schittgablerstraße, Bahn-Nordring und Gütergleis südlich vom Lerchenauer See ein »neues, innenstadtnahes Quartier« entwickeln mit dem Ziel, einen »lebenswerten Wohnort zu schaffen«.
Derzeit gibt es dafür noch kein Baurecht, das muss die Stadt erst noch schaffen und der Stadtrat einen Bebauungsplan beschließen. Zuvor plant die Vivico einen Architektenwettbewerb auszuschreiben. Das Projekt befindet sich also noch ganz im Anfangsstadium. Einige Bewohner und Gartenpächter protestieren jedoch bereits jetzt gegen die Bebauung. »Das hier ist ein Paradies. Der Eggarten ist eine der letzten Natur-Oasen und ein Rückzugsgebiet für alle möglichen Tiere«, sagt eine Gartenpächterin, die seit acht Jahren eine 1600 Quadratmeter große Parzelle hat. »Unserer Stadt stünden solche vergessenen Ecken mit ihrem ganz eigenen Charme gut zu Gesicht aber Geld gewinnt halt leider fast immer gegen die Natur!« Die Leute seien traurig und hofften, dass die Bebauung nicht kommt, berichtet die Gartenpächterin.
Die Vivico will sich jedoch um die sogenannten Eggärtner bemühen und nennt als Voraussetzungen für eine baurechtliche Entwicklung Folgendes: Die Gesellschaft möchte unter anderem einen Sozialplan für die Mieter in den Wohnhäusern erstellen, auf Wunsch bei der Beschaffung einer anderen Wohnung behilflich sein und Umzugshilfen gewähren. Ferner plant man, den Gartenpächtern Ausweichflächen an der Heidelerchenstraße zur Verfügung zu stellen. Und für die Bewohner der Einzelhäuser, meist ältere Leute, möchte man einen »Austragsbau« mit altengerechten Wohnungen errichten.
Die Betroffenen bleiben dennoch skeptisch: »Ich habe eine kleine Rente und kann keine teure Miete bezahlen«, schildert eine 65-Jährige aus der Rehstraße ihre Situation. 1975 sei sie mit ihrer Familie in die Eggartensiedlung gezogen. Eine andere Bewohnerin aus der Marderstraße ist noch länger da, »ich wohne hier seit 47 Jahren«, sagt die Rentnerin. Ihre Männer seien bei der Bahn gewesen und inzwischen gestorben, die Witwen sind mit den einfachen Wohnverhältnissen zufrieden. »Wir brauchen keinen Luxus. Den kann ich gar nicht bezahlen«, sagt die Anliegerin aus der Marderstraße. Der Vivico zufolge stehen in der einstigen Genossenschaftssiedlung derzeit noch rund 30 Gebäude, die Häuser im Eggarten seien in einem »größtenteils sehr schlechten Erhaltungszustand.« Keines der Häuser unterliege dem Denkmalschutz.
Der bundesweit tätige Konzern aus Frankfurt präsentierte nun öffentlich erste Visionen: Demzufolge hält die Immobiliengesellschaft als Grundstückseigentümer drei Vorgehensweisen grundsätzlich für denkbar. Die erste Vision wäre die Wiedererrichtung der ehemaligen Eggartensiedlung nach dem ursprünglichen Muster, das heißt, Bau von Einfamilienhäusern und Doppelhaushälften auf den großen Grundstücken doch selbst wenn man diese teilt, »könnten sich nur wenige die Größe leisten« und »der soziale Charakter würde sich grundlegend wandeln«: von der ehemaligen Genossenschaftssiedlung für einfache Leute zum Quartier für Superreiche.
Die zweite Vision wäre das genaue Gegenteil von der ersten Vision: Abriss der gesamten Siedlung und Realisierung eines Neubauviertels mit Geschosswohnungsbau nach zeitgenössischen Ideen.
Die dritte sieht schließlich die Synthese zwischen der ersten und der zweiten Variante vor: also die Entwicklung der Eggartensiedlung zu einem »Wohnmodell mit besonderer Identität«. Dabei will man identitätsprägende Strukturen wie Straßennamen und Grünstrukturen erhalten. Die künftige Bebauung solle »einige charmante Möglichkeiten« bieten, kurz: »Eggarten + X«, formuliert man bei der Vivico. Denkbar seien verschiedene Bauformen wie Atriumhäuser, Reihenhäuser, Mehrfamilienhäuser sowie die Schaffung eines bezahlbaren Angebotes für Familien mit Kindern.
Ferner ist als Modellprojekt eine »Null-Energie-Siedlung« im Eggarten geplant. In der grünen Siedlung werde es keinen Abriss geben und die »Geschichte des Ortes und dessen Identität werden nicht ausgelöscht, sondern weitergeschrieben.« Das
versichern die Verantwortlichen von Vivico in einem Schreiben an den Bezirksausschuss Feldmoching-Hasenbergl. Trotzdem hegen die Stadtteilpolitiker zum Teil Bedenken gegen die geplante Wohnbebauung und befürchten insbesondere weitere Abholzaktionen auf den frei werdenden Grundstücken. In diesem Frühjahr wurden auf zwei Grundstücken an der Lassallestraße zahlreiche Bäume gefällt. »Es wurde ein Kahlschlag gemacht«, kritisierte Christine Lissner (Bündnis 90/Die Grünen) nun im Nachhinein die Baumfällungen.
Es sei zu befürchten, dass dies künftig bei der Räumung weiterer frei werdender Grundstücke so weitergehe, doch »man darf nicht alles dem Erdboden gleich machen«, betonte Lissner auf Nachfrage. Das viele Grün der Eggartensiedlung müsse bewahrt bleiben, damit trotz der geplanten Neubebauung eine Art Gartenstadtcharakter möglich sei. Auch Maximilian Bauer (CSU) zeigte sich über »solch drastische Maßnahmen« wie die Baumfällungen im Frühjahr verärgert. Bei der Vivico verteidigt man dies hingegen mit »der nun bei uns liegenden Verkehrssicherungspflicht«. Bei den Räumungsarbeiten habe man zudem »Schutt und Unrat in erschreckendem Ausmaß angetroffen und inzwischen entfernt.« Einige Parzellen seien wegen zum Teil jahrzehntelanger Vernachlässigung komplett vermüllt gewesen. Die Immobiliengesellschaft geht deshalb davon aus, dass zumindest einige der künftig zu räumenden Grundstücke »ebenfalls noch zahlreiche Überraschungen bergen.« Baumfällungen will die Vivico in Zukunft jedoch mit der Unteren Naturschutzbehörde der Stadt abstimmen, versichern die Verantwortlichen in ihrem Brief an die Stadtteilpolitiker. Die Baumschutzverordnung der Stadt gilt in der Eggartensiedlung nicht, weil es noch eine Bahnanlage ist.
Der Bezirksausschussvorsitzende Markus Auerbach (SPD) hatte eigenen Angaben zufolge im Frühjahr bei der Stadt wegen den Baumfällungen interveniert und kurz danach bei der Bürgerversammlung ebenfalls von einem »Kahlschlag« gesprochen. Doch nun sollten die Lokalpolitiker das Angebot der Vivico annehmen, mit dem Bezirksausschuss in einen Dialog zur Entwicklung des Eggartens zu treten, legte Auerbach seinen Gremiumskollegen nahe. »Man muss das Eisen schmieden, solange es heißt ist.«
Wally Schmidt