Wunderliche Weihnachtszeit: Der Marienplatz wird überwacht, die Polizei fährt mit der U-Bahn zu Einsätzen

Altstadt – Big Brother beschützt das Christkindl

Bitte lächeln: Jeder Schritt eines jeden Passanten wird derzeit auf dem Marienplatz aufgezeichnet. Foto: ras

Bitte lächeln: Jeder Schritt eines jeden Passanten wird derzeit auf dem Marienplatz aufgezeichnet. Foto: ras

Der Christkindlmarkt am Marienplatz – ein Dorado für Diebe. Und eine Zone höchster Alarmbereitschaft für die Polizei. Um das Markttreiben besser in Schach zu halten, suchen Münchner Beamte wie im Vorjahr mit Hilfe von neun Überwachungskameras potenzielle Taschendiebe in der Menschenmenge – trotz datenschutzrechtlicher Bedenken des Grünen-Stadtrats Sigi Benker.

Und damit die Polizei schnell genug an den Ort des Geschehens kommt, sobald ein Dieb gesichtet wird, wählt sie in diesem Jahr ein für sie ungewöhnliches Fortbewegungsmittel: Bei allzu großem Stau auf den Münchner Straßen steigen die Beamten der Innenstadt-Inspektion 11 auf U- und S-Bahn um, um schnellstmöglich zum Einsatzort zu gelangen.

Und in diesem Jahr kann es sein, dass noch öfter als sonst das Fahrtziel Fußgängerzone heißt: Denn statt den heiligen drei Königen bewacht heuer Big Brother den Christkindlmarkt auf dem Marienplatz: Mit großer Mehrheit hatte der Stadtrat entschieden, dass die fürs Oktoberfest angeschafften neun Kameras in der Adventszeit rund um den Marienplatz aufgestellt werden. Und noch mehr: Die Stadt wird sich wie beim Oktoberfest die Ausgaben für die elektronischen Späher mit der Polizei teilen – gut 5.000 Euro dürften Auf- und Abbau kosten.

Rechtens ist das nicht – findet Grünen-Fraktionschef Benker, denn präventive Beobachtung sei immer noch alleinige Sache der Polizei. Die Kameras, entgegnet ihm das Kreisverwaltungsreferat (KVR), seien doch auch der Verkehrsüberwachung dienlich – welche wiederum Aufgabe der Stadt sei: „In der Furt auf dem Marienplatz zum Rindermarkt gibt es in der Weihnachtszeit erheblichen Verkehr“, heißt es. Benkers Gegenargument, dass auch zu jedem anderen Zeitpunkt 5.000 Menschen während des Glockenspiels für ein reges Verkehrsaufkommen sorgen könnten, mussten die KVR-Mitarbeiter zustimmen.

Was Benker neben der Finanzierungsfrage noch mehr Bauchschmerzen bereite, ist die Tatsache, dass „niemand in der SPD oder der CSU ein Bewusstsein dafür hat, wie hier mit Bürgerrechten umgegangen wird“. Wer in diesen Tagen vom Hauptbahnhof über den Stachus ins Tal geht, werde permanent überwacht. Für Benker ist das ein hoher Preis für die Sicherheit, die die Kameras bringen. „Schließlich hat jeder Passant ein Recht darauf, unbeobachtet durch die Stadt zu gehen.“ Überhaupt könne, so Benker weiter, Sicherheit auch anders geschaffen werden: durch eine höhere Polizeipräsenz etwa. Den Grünen-Chef treibt zudem die Sorge, dass bald die ganze Stadt überwacht werden müsse: „Wenn die Diebe vor den Kameras am Christkindlmarkt zurückschrecken – dann klauen sie halt künftig am Markt an der Münchner Freiheit. Irgendwo finden sie schon eine Menschenansammlung, die nicht überwacht wird.“

Die Münchner Polizei hingegen hat gegenteilige Erfahrungen gemacht: Die Zahl der Taschendiebstähle sei im vergangenen Jahr, in dem die Kameras erstmals eingesetzt wurden, nicht nur auf dem Marienplatz immens geschrumpft (von 78 Fällen im Jahr 2004 auf 18 im Jahr 2005) – vielmehr habe es in der gesamten Innenstadt 25 Prozent weniger Langfinger gegeben, so Kriminalhauptkommissar Stefan Schraut.

Allerdings liege der Erfolg wohl in der Verbindung der Überwachung mit weiteren Aktionen der Polizei: beim Projekt „Rote Karte für Taschendiebe“ etwa hatten Beamte Christkindlmarkt-Besucher darauf aufmerksam gemacht, dass sie zu sorglos mit ihren Handtaschen umgehen. Die Befürchtung Benkers, Stadt und die Polizei könnten durch eine „Salamitaktik“ in die großflächige Überwachung von öffentlichen Plätzen einsteigen, weist Schraut zurück: „Jede verhinderte Straftat ist ein Erfolg für uns. Aber es ist doch gar nicht nötig, hierfür die gesamte Stadt zu überwachen. An neuralgischen Punkten aber wie dem Christkindlmarkt – oder auch dem Orleansplatz, an dem sich eine randalierende Drogenszene aufhält – versprechen wir uns dagegen schon eine abschreckende Wirkung.“

Um übrigens im Ernstfall möglichst schnell zum Einsatz beispielsweise am Christkindlmarkt zu gelangen, ist die Polizei inzwischen manchmal gezwungen, in die U- oder S-Bahn zu steigen: „Das geht oft am Schnellsten“, bestätigte Josef Estner, Leiter der Polizeiinspektion 11, auf Nachfrage des „Samstagsblatts“. Und Kriminalhauptkommissar Schraut ergänzt: „Damit werden zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: die Beamten umgehen den Stau – und werden in der U-Bahn wahrgenommen, was das Sicherheitsempfinden der anderen Fahrgäste erhöht.“ Von Nadine Nöhmaier

Artikel vom 07.12.2006
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