Es ist ein besonderer Duft, der uns an Weihnachten erfreut. Lebkuchen. Weihnachtsplätzchen. Schokolade, Vanille. Und – je nach Herkunft und Familientradition, gehört auch der Duft der Weihnachtsgans für manche dazu. Oder Wienerle. Oder schlesischer Kartoffelsalat – gerne darf man das „schlesisch“ auch durch andere Regionen ersetzen.
Die Weihnachtsgeschichte aus der Bibel verbreitet einen ganz anderen Duft: Den Stallgeruch von Bethlehem. Es riecht nach Stroh und nach Schafen. Und auch nach den Hirten. Es ist dem Evangelisten Lukas egal, dass die Hirten etwas Anrüchiges an sich haben. Er will, dass sich die Menschen bei Jesus zuhause fühlen, die den Stallgeruch von Bethlehem nicht abschütteln können. Lukas will, dass diese Menschen sich heimisch fühlen bei dem Kind: Man riecht es, dass sie sich am offenen Feuer wärmen. An Ihrer Kleidung und an der Haut merkt man den nächtlichen Tau und die mittägliche Sonne. So soll es sein.
Wer am Heiligen Abend die Bibel herausnimmt und Weihnachtsgeschichte aus dem Lukasevangelium (Lukas 2) liest, darf sich gerne ganz in die Geschichte hineinversetzen. Viele Frauen verstehen die Freude der jungen Maria, die gerade ihr erstes Kind bekommen hat. Aber sie ahnen auch, wie erschöpft sie gewesen sein muss. Andere Männer und Frauen kennen die Sorge und Fürsorge des Josef, der einen Platz in der Herberge sucht. Und wieder andere ahnen, wie sich der Zorn über die Zwänge der Besatzungszeit anfühlt.
Ich fühle mich am ehesten zu den Hirten hingezogen, wie sie staunend, unsicher, betend und freudig an der Krippe versammelt sind. Sie sind ein wenig überrollt von Weihnachten, vielleicht fühlen sie sich fehl am Platz, oder sie denken: Andere würden viel besser hierher passen als ich.
Aber gerade die unsicheren und überraschten Hirten dürfen nicht fehlen. Sie sind so „normal“, weil sie unvorbereitet und wenig festlich sind. Deshalb soll auch unser Weihnachten nicht das perfekte Familienfest sein. Man soll es nicht übertreiben mit den Vorbereitungen und Erwartungen. Am Ende ist man nur erschöpft. Wir sollten eher hoffen, dass es auch ein wenig normal sein darf. Mit Kindern, denen vor lauter Vorfreude irgendetwas kaputtgeht. Mit Teenies, die ausgerechnet am 24.12. mit der Familie so gar nichts anfangen können. Und mit uns selbst, wie wir auch ein wenig überfordert sind mit den Erwartungen an uns. Die Hirten waren auch nicht besser.
Ein wenig Glitzer darf schon sein, natürlich. Und ein wenig Bemühen um ein gutes Miteinander darf auch sein. Aber wir werden auch an Weihnachten keine perfekten Familien sein, keine perfekten Gastgeberinnen, keine braven Kinder und keine pflegeleichten Senioren. Sondern wir werden an Weihnachten wir selbst sein. Unseren Stallgeruch werden wir nicht los. Und den müssen wir auch nicht loswerden.
An unserem Weihnachtsbaum hängt übrigens auch in diesem Jahr wieder mindestens ein Strohstern. Er erinnert an das Stroh in der Krippe. Und er erinnert mich daran, dass Jesus zu uns kommt, auch wenn wir nicht perfekt sind. Er kommt uns nahe, so, wie wir sind. Und nicht so, wie wir uns anderen gegenüber gerne darstellen.
Gott weiß, dass am Heiligen Abend 2024 manche Menschen die Geborgenheit unterm Tannenbaum suchen, herbeisehnen und vielleicht auch finden. Er weiß aber genauso, dass manche am liebsten davor flüchten würden, weil es ihnen falsch und verlogen vorkommt. Gott weiß, dass manche Menschen ausgerechnet zu Weihnachten mit schlimmen Nachrichten oder Einschnitten in ihrem Leben zurechtkommen müssen. Gott weiß, dass für manche Weihnachten ein wichtiger Höhepunkt im Leben der Familie ist – für andere dagegen der Höhepunkt der Einsamkeit. Gott weiß, dass für viele Menschen „Weihnachten daheim“ ein besonderes Glückmoment ist. Und er ist auch denen nahe, die kein Zuhause haben. Gott weiß all das und ist den Menschen nahe.
Meine Sorgen und Zweifel müssen nicht ausgesperrt werden, auch wenn sie mir unpassend erscheinen. So, wie wir sind, dürfen wir Weihnachten feiern.
Ihr Pfarrer Andreas Lay, Emmausgemeinde Harlaching