Liebe Leserinnen und Leser, ich lade Sie ein, mit mir in Gedanken Orte diesen Advents zu besuchen: Wir stehen am Hauptbahnhof, Gleis 26. Es ist ein Ort des Wartens und des Erwartens.
Wir hoffen, dass der Zug kommt. Es liegt nicht in unserer Hand. Wir haben alles getan, was nötig ist, um pünktlich hier zu sein. Wo bleibt er denn bloß, ich habe es so satt, dass andere meine Pläne durchkreuzen. Da kommt er ja endlich! Der Zug füllt sich schnell, wird rappelvoll, auch die Stehplätze. Er nimmt mich mit, ich habe einen Sitzplatz bekommen. Gott sei Dank, er fährt los.
Nichts ist selbstverständlich, die Fahrt mit Verspätung ist mein Geschenk. Ich treffe meine Lieben auf dem Christkindlesmarkt in Nürnberg. Sie haben auch Verspätung – schreiben sie. Das beunruhigt mich jetzt nicht mehr. Hauptsache, wir kommen an und können uns wiedersehen.
Auf dem Weg zum Geschenkeladen ist mein Handy abgeschmiert, die Temperaturen sind zu kalt. Ich folge dem Weg, der zum Ziel führt und dafür kommen grade zwei in Frage. Ich will einen anderen ausprobieren, mal sehen, wie es hinter der Kreuzung weitergeht. Und ich nehme mir vor, nach der Kurve umzukehren, falls es in die falsche Richtung weitergeht. Suchen und Finden, das gehört zu unserem Leben. Und manchmal ist ein Umweg ja auch ein Gewinn, zumindest für unsere Erfahrung.
Wenn sich etwas grundlegend ändert, dann betrifft uns das alle, ob wir wollen oder nicht. Wie geht es weiter? Wenn eine Zeitenwende eintritt, dann wird unser Leben vom einen auf den anderen Moment völlig aus dem gewohnten Rhythmus geworfen.
Zeitenwenden sind nichts Künstliches: Sie sind natürlich wie der Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Auch in Genesis 41 wusste man schon vor 3000 Jahren: Nach sieben fetten Jahren kommen sieben magere Jahre. Am 24. Februar 2022 war Zeitenwende. Die Sorgen und die Not auf der Welt haben seitdem zugenommen. Menschen frieren, Familien trauern um ihre Söhne und Väter, andere kämpfen gegen das Verhungern. In Russland kann niemand mehr seine Meinung frei äußern.
Zu uns ist die Zeitenwende bisher vergleichsweise mild: Sie trifft nur unseren Geldbeutel. Wir ahnen, dass bei uns in Deutschland nach sieben fetten Jahrzehnten nun wohl erstmal wieder magere Jahre kommen werden. Die Botschaft von Weihnachten schenkt uns Hoffnung: Jemand, der es wirklich gut mit uns meint, bekommt die Macht in seine Hände. Maria hat „Ja” gesagt und es geschah: Der, mit dem kein Terrorist und Diktator gerechnet hat, wurde geboren. Sie alle sind an ihm gescheitert, weil seine Liebe stärker ist als Tod und Unterdrückung.
Auf so jemanden hoffen so viele. Gott hat die Hoffnungen erfüllt. Er hat allen, die an dieser Welt verzweifeln neue Kraft zugesprochen: „Ich bin da. Ich bin die Liebe.” Dafür ging er über seine Grenze: aus der Ewigkeit in die Endlichkeit. Er hat sich mit seinen eigenen Beinen durchs Leben geschlagen. Wir haben ihn ans Kreuz geschlagen. Seine Botschaft der Liebe ist seitdem in unserer Welt. Sie ist da - über allen „Magere-Jahre-Nachrichten”, Diktatorenlügen oder Zeitenwenden. Seine Liebe zu uns schenkt Hoffnung. Für alle Menschen.
Das Jesusbaby beschenkt uns an Weihnachten mit seiner Liebe. Lasst sie uns annehmen, dann können wir die Zeit wenden - jeden Tag. Ich wünsche Ihnen liebevolle, besinnliche und frohe Weihnachten.
Ihr Pfarrer Marcel Weber,
St. Johannes, evangelisch in Haidhausen und in der Au