Veröffentlicht am 08.02.2011 00:00

Harlaching · Kunst entdecken


Von red
Freuen sich über das Zustandekommen der »Kunstherberge Birkenau« (v. l.) Christoph Nicolaus, Uwe Binnberg und Marietta Schürholz.	 (Foto: mst)
Freuen sich über das Zustandekommen der »Kunstherberge Birkenau« (v. l.) Christoph Nicolaus, Uwe Binnberg und Marietta Schürholz. (Foto: mst)
Freuen sich über das Zustandekommen der »Kunstherberge Birkenau« (v. l.) Christoph Nicolaus, Uwe Binnberg und Marietta Schürholz. (Foto: mst)
Freuen sich über das Zustandekommen der »Kunstherberge Birkenau« (v. l.) Christoph Nicolaus, Uwe Binnberg und Marietta Schürholz. (Foto: mst)
Freuen sich über das Zustandekommen der »Kunstherberge Birkenau« (v. l.) Christoph Nicolaus, Uwe Binnberg und Marietta Schürholz. (Foto: mst)

Einen ungewöhnlichen Anblick bieten derzeit die beiden baufälligen Häuser an der Birkenau 10 und 12: Herbstlaub wirbelt auf dem Boden der Wohnküche, in dem es nach Tee und Gebäck duftet und gemütlich ein Ofen vor sich hin bollert. In einem als Stall eingerichteten Nebenraum gackert ein knappes Dutzend Hühner munter vor sich hin.

Ein ehemaliges Wohnzimmer in dem Gebäudekomplex ist geflutet. Wie ein grünlich-schwarzer Ölfilm schimmert das zentimeterhohe Wasser und kündet von Schmutz und Verfall. Schimmel zieht sich an den Wänden entlang. In einem anderen Zimmer wiederum, direkt neben einer schmalen Holzstiege, flimmern Video-Sequenzen über einen Bildschirm. Trübes Licht fällt durch einen Lichtschacht im Dach. Instinktiv spürt man: Um in die Randbezirke problematischer Existenzen vorzudringen und mit künstlerischen Mitteln die Nöte verlebter Wohngemeinschaften zum Ausdruck zu bringen, kann es kaum einen geeigneteren Ort als diesen hier geben.

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Dreieinhalb Monate lang, bis zum 22. Mai, haben bizarre Kunstprojekte in der Birkenau das Sagen: Bevor die beiden bei den Untergiesingern als »Kutscherhäuschen« bekannten und geschätzten Gebäude der Abrissbirne zum Opfer fallen werden, soll in der Gesamtanlage als Zwischennutzung eine Reihe von künstlerischen Projekten verwirklicht werden. Unter dem Motto »Werden und Vergehen« wollen die Organisatoren der »Kunstherberge Birkenau«, Marietta Schürholz, Uwe Binnberg und Christoph Nicolaus, die beiden verfallenden Handwerkerhäuschen unter speziellen Blickwinkeln unter die Lupe nehmen und sie dann mit diversen Projekten »bespielen«, wie Schürholz bei einem Pressetermin näher ausführte: »Im Zweiwochenrhythmus eröffnen jeweils neue Arbeiten und Installationsansichten, andere treten ab.«

Für die Kunstinstallationen stehen insgesamt 14 verschieden große und charakterstarke Räume zur Verfügung. Insgesamt 44, vorwiegend aus München und Umgebung stammende Maler und Bildhauer nehmen sich einzelne Zimmer vor und gestalten diese mit ihren Arbeiten. »Die eingesetzten Medien sind vielfältig, sie umfassen etwa Objektkunst, Film, Video, Fotografie oder Skulpturen und Lichtinstallationen«, informiert Schürholz. »Ein prozessualer Kreislauf kommt in Gang, der immer wieder andere, sich wandelnde Perspektiven und Gesamtansichten eröffnet.« Das gewählte Motto habe sich angesichts des bevorstehenden Abbruchs der beiden Häuser geradezu aufgedrängt, schwärmt Nicolaus: »Wir nahmen die gegebene Situation zum Anlass, um uns im weitesten Sinne mit dem Thema ›Vergänglichkeit und Werden‹ zu beschäftigen. Die erste Veranstaltung fand am 3. Februar statt, weitere »Eröffnungen« sind am 3., 17. und 31. März, am 14. und 28. April sowie am 12. Mai geplant, mit einer Finissage am 22. Mai klingt das Projekt aus.

Vielen Anwohnern der Birkenau dürften die Aktivitäten freilich eher ein Dorn im Auge sein: Sie wehren sich vehement gegen den geplanten Abriss und befürchten eine schleichende Umwandlung des traditionsreichen, von Handwerk und Gewerbe geprägten Viertels in ein überteuertes Zuzugsgebiet und fordern deswegen den Erhalt und die Modernisierung der beiden »Kutscherhäuschen«.

Erst im Herbst vergangenen Jahres hatten Vertreter der eigens zu dem Zweck gegründeten Bürgerinitiative »Rettet die Birkenau« im Münchner Rathaus und im Bayerischen Landtag Unterschriftenlisten an hochrangige Stadt- und Landespolitiker übergeben. Sie verweisen darauf, dass das Anwesen bis 2009 unter Denkmalschutz stand.

»Die Menschen in Untergiesing lieben ihr Viertel in seiner gewachsenen Struktur, seinem Charme und besonderem Charakter«, heißt es in der Erklärung, die mit einem fast flehentlichen Appell schließt: »Wir bitten Sie, im Namen all dieser und vieler anderer Mitbürger um Ihre Unterstützung. Bitte unternehmen Sie alles in Ihrer Macht Stehende, um den Abriss in der Birkenau 10 und 12 und weiterer Kutscherhäuser zu verhindern und eine Lösung zu finden, die Gebäude zum Wohle aller zu erhalten.« Die Wortwahl zeigt, welche Sprengkraft das Thema inzwischen entwickelt hat – ein Thema, das nicht nur die Bürger, sondern auch den Bezirksausschuss Untergiesing-Harlaching (BA) schon seit Monaten beschäftigt. Denn einst waren sie denkmalgeschützt und gehörten zum Münchner Stadtbild wie die Isar oder die Frauentürme: die Kleinhäuser der Birkenau inmitten des so genannten Kutschenviertels im Herzen Untergiesings. Nicolaus kann jedoch nichts Schützenswertes in den beiden Häuschen erkennen.

»Da ist einfach nichts mehr drin, was den Namen Denkmalschutz verdient«, sagt er und zeigt auf einzelne Gebäude: »Da sind Fliegerbomben reingestürzt, dort breitet sich der Schimmel aus, alles ist baufällig«.

Mindestens eine Million Euro müsste die Stadt in Sanierungsarbeiten reinstecken – ein Unding, das sofort zum Präzedenzfall würde, wie Nicolaus überzeugt ist. Die geplanten familienfreundlichen Mietwohnungen hingegen würden für eine Belebung und Aufwertung des Viertels sorgen, so Nicolaus. mst

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