Umweltschutz, keine Frage, macht heute so ziemlich jeder. Doch wer bitteschön kümmert sich um den Künstlerschutz? Noch nie davon gehört? Nein, hier geht es nicht um Versicherungen, sondern darum, die Kreativen vor dem Aussterben zu bewahren. Wie man das macht?
Beispielsweise, indem man ein so genanntes Kulturschutzgebiet schafft. Quasi ein Biotop für Maler, Bildhauer, Schauspieler, Tänzer, Musiker. Das erste seiner Art befindet sich auf dem Gelände Dachauer-/Schwere-Reiterstraße und feiert seine Neueröffnung mit einem Festival vom 6. bis 15. Juli. Moment mal, sagt vielleicht der eine oder andere, das ist überhaupt nicht neu. Dieses Areal gibt es doch längst schon. Und das stimmt: Seit über 20 Jahren sind hier Künstler aller Sparten aktiv. »Irgendwie aber scheinen einige nicht bemerkt zu haben, dass es uns gibt«, sagt Festival-Organisator Tuncay Acar. »Deshalb eröffnen wir das Areal quasi neu.«
Klingt vielleicht ein bisschen schräg hat aber einen ausgesprochen ernsten Hintergrund. Die hiesige Kulturszene fühlt sich alarmiert. »Wir müssen das tun, damit wir wahrgenommen werden«, so Christian Schnurer, Mit-Organisator und bildender Künstler.
»Das Fest ist quasi ein Manifest um zu sagen: Hier gibt es bereits eine aktive Kulturszene.« Denn einer aktuellen Entwicklung zufolge soll eine Kunstszene dort etabliert werden, wo bereits eine Kunstszene etabliert ist, auf eben diesem Areal. Was vergleichsweise bedeutet, Bäume dorthin pflanzen zu wollen, wo bereits ein ganzer Wald steht. Initiator dieses Vorhabens ist die Stadt München: Sie hat sich auf die Fahnen geschrieben, urbanen kreativen Raum zu schaffen. Das städtische Kultur- und das Planungsreferat treiben deshalb gemeinsam ein ehrgeiziges Projekt voran: Auf dem 20 Hektar großen Grundstück soll ein Kreativquartier entstehen. »Wenn das jetzt ein Kreativquartier werden soll, ja, dann frage ich mal: Was war es denn bis jetzt? ne Kiesgrube oder was?«, empört sich Acar.
Das Vorhaben irritiert die Künstler. Es kursieren Fragen, die existenziell sind, etwa: Wer darf bleiben, was muss weg? »Natürlich sind wir auch offen für Veränderungen solange sie uns nicht schaden«, so der weitere Mitorganisator, Michael Schild. Aktuell sind vier Atelierhäuser und zwei Theater mit insgesamt 6.000 Quadratmetern Nutzfläche in Betrieb weitere 4.000 Quadratmeter Büro, Lager und Werkstattflächen sind bezugsfähig, 1.200 Quadratmeter warten auf Renovierung. »Die multifunktionalen Gebäude sind ein optimaler Nährboden für das Wachstum von Kunst und kunstnahen Berufen«, so Acar. Aktuellstes Beispiel: Halle6 Werkraum für zeitgenössische Kunst aller Sparten, eine Künstlerinitiative auf der Basis eines Social-Business, die sich zur Aufgabe gemacht hat, Arbeitsraum in ungenutzten Gebäuden urbar zu machen und so die Lebensgrundlage für Künstler zu schaffen.
Zwei Hallen sollen nun auf jeden Fall überplant und auch künftig genutzt werden. Andere, regelmäßig frequentierte Räume sollen im Zuge der zukünftigen Entwicklung vermutlich abgerissen werden.
Noch bezahlbar für
die Künstler?
Kommen dann womöglich Bauten, deren Mieten, wie typisch für München, exorbitant hoch sind? Welcher Künstler soll sich das dann leisten können? »Natürlich ist die Sorge da, dass im zukünftigen Kreativquartier die Raummieten so hochgefahren werden, dass künstlerische Arbeit nicht mehr möglich ist«, sagt Schnurer.
Die Immobilienwirtschaft, so erläutert Schnurer das Prinzip, verknappe das Angebot an alten und sanierungsbedürftigen Industriebauten, um die Mietpreise auf hohes Niveau zu treiben und die Gebäude durch neue profitable Gewerberäume zu ersetzen. Berechtigte Sorgen? Nachgefragt bei Marc Gegenfurtner, Sprecher des Kulturreferats, der zwar keine Prognosen bezüglich der Mietpreise abgeben kann, aber versichert: »Das Kulturreferat möchte das im Areal bereits jetzt vorhandene kreative Potential grundsätzlich gerne erhalten und auch das dort herrschende besondere Flair. Allerdings ist Fakt, dass sich die dortige Struktur verändern wird.«
Das Kreativquartier biete, so Gegenfurtner weiter, die Möglichkeit, einen urbanen Lebensraum neu zu definieren, in dessen Zentrum neben dem Wohnraum auch der Arbeitsraum von Kreativität und Wissenschaft stehen konkret durch die denkmalgeschützten Industriebauten, die Raum für Kunst, Kultur und Kreativschaffen bieten werden und im übertragenen Sinn durch die Mischung aus Arbeits-, Wohn- und Lebensraum, die mittels Kultur in einen zukunftsfähigen Dialog gebracht werden können. »Dabei ist wichtig, dass die Künstler gemeinsam mit den Bürgern Lebensraum aktiv mitgestalten können«, so Gegenfurtner. Im Rahmen des Ideenwettbewerbs um die beiden Hallen seien sie unter anderem eingeladen, sich an dem Prozess aktiv zu beteiligen.
Was ist geplant bei
der »Neueröffnung«?
Was erwartet nun die Besucher bei der so genannten »Neueröffnung«? »Wir holen einen scheinbar vergessenen Ort in das Bewusstsein der Stadt«, sagt Schnurer. Künstler aller Sparten werden, so der Halle6-Chef, den Ort als Material auffassen und transformieren. »Demontage, Umformung und Aufbau in neuem Zusammenhang bilden das Gerüst, das im Kontrast steht zu der üblichen geglätteten Äußerlichkeit im Stadtbild Münchens«, so Schnurer. Ein Netz von Aktionen werde sich frei entwickeln, spontan entstehen, umsiedeln und wieder verschwinden. Der ungenutzte Innenhof des ehemaligen KR-Technik-Gebäudes werde dabei Bauplatz, Aktionsort und Präsentationsplattform sein.
Oder kurz und anders gesagt: Es ist viel geboten, alle Kunstrichtungen sind vertreten, für jeden Geschmack etwas dabei. »Ich lade alle Kollegen ein, an diesem Prozess teilzuhaben, sich politisch und künstlerisch einzumischen und das Kulturschutzgebiet gegen die mächtigen Interessen der Immobilienlobby durchzusetzten«, so Acar.
Mit der Festival-Woche ist die Sache jedoch längst nicht erledigt. Im Gegenteil. »Hier darf und soll etwas wachsen«, so Michael Schild. Wenn die freie Kunstszene blühe, dann gewinne München weiter an Metropolen-Flair. »München darf sich ruhig klar werden, welchen Schatz es auf diesem Areal hat«, sagt Schild.
Sylvie-Sophie Schindler