Sein Name ist Manfred Kurt Ziegler. Im Lehel, nicht weit von da, wo die Isar durch die Innenstadt fließt, war er zuhause, in der Thierschstraße 36.
Gedenktafeln erinnern an die Opfer des Nazi-Regimes
München gedenkt Opfern des Nazi-Terrors Themenseite gegen das Vergessen
Gerade mal 13 Jahre war er alt, da sollte sein Leben ein grausames Ende finden: Er wurde im November 1941 deportiert und in Kaunas, der zweitgrößten Stadt Litauens, ermordet eines von über sechs Millionen Opfern des Naziterrors. Ahnte er, dass er so früh in den Tod gerissen wird? Wer wohl war dieser Junge? Was waren seine Träume, was seine Wünsche, was seine Hoffnungen? Ging er gerne in die Schule? Wer waren seine Freunde?
Manfred Kurt Ziegler soll nicht vergessen werden. Die Initiative Stolpersteine für München will auch ihm einen Stolperstein widmen. Doch ob dieser und weitere rund 7.000 Stolpersteine für jüdische und nicht-jüdische Opfer des NS-Regimes in der Landeshauptstadt tatsächlich verlegt werden können, ist immer noch nicht entschieden. Die sogenannte Stolperstein-Debatte dauert bereits seit zehn Jahren an und geht am Freitag, 5. Dezember, in ihre nächste Runde: In einer öffentlichen Anhörung will sich der Stadtrat nun über das Für und Wider beraten.
»Wir haben genug diskutiert«, sagt Terry Swartzberg, der Leiter der Initiative, und fordert entschlossener denn je: »Die Stolpersteine sollen endlich verlegt werden.« Andernfalls, so gibt der engagierte 61-Jährige zu bedenken, würde der Schaden, den München erleide, »nachhaltig«. Immer mehr Menschen, und das weltweit, würden sich fragen, warum München immer noch diskutiere. Andernorts sind die Stolpersteine im Stadtbild längst Realität geworden: Quaderförmige, knapp zehn Zentimeter tiefe, breite und lange Gedenksteine aus Messing, in die Bürgersteige vor den Wohnhäusern eingelassen, in denen einst die Opfer der NS-Herrschaft lebten. Ihre Namen und Lebensdaten sind auf den Messingtafeln eingraviert. Entworfen von Gunter Demnig, wurden seit 1995 in mehr als 1.100 Städten in 18 Ländern Europas fast 50.000 Stolpersteine verlegt, vorwiegend von dem Kölner Künstler selbst. Alleine in Deutschland in über 1.000 Städten und Gemeinden, in Berlin beispielsweise 6.000, in Köln 2.000. »Wie lange will München noch warten«, sagt Swartzberg und es hört sich nicht wie eine Frage an, sondern wie eine Aufforderung, die keinen Aufschub erlaubt.
Inzwischen drängen auch immer mehr Angehörige von NS-Opfern, Initiativen und politische Gremien auf eine Revision der Stadtratsentscheidung vom Juni 2004. Damals hatte der Stadtrat die Verlegung von Stolpersteinen auf öffentlichem Grund verboten. Damit sollte vor allem auch den entschiedenen Einwänden der Israelitischen Kultusgemeinde in München Rechnung getragen werden. Präsidentin Charlotte Knobloch wird seitdem nicht müde, darauf hinzuweisen, dass die am Boden verlegten Steine dazu führen, dass die Opfer des Naziregimes »erneut mit Füßen getreten« würden. Doch was sagen die Erfahrungsberichte aus anderen Städten?
Die Entwicklungen der letzten Jahre sollen nun einfließen in die öffentliche Anhörung, das von den Grünen initiiert und vom Kulturreferat der Landeshauptstadt vorbereitet wurde. Geplant sind laut Kulturreferat sechs Beiträge von Experten zur umfassenden Information des Stadtrats, die als Grundlage weiterer Beratungen dienen sollen. Im Februar will der Stadtrat dann neu abstimmen.
Einer der vielen Fürsprecher, Peter Jordan, wird bereits am Vortag der Anhörung nach München kommen. Am 4. Dezember wird er um 11 Uhr an der Mauerkircherstraße 13 erwartet. Er kehrt damit nach 75 Jahren, nachdem er seine Heimat Deutschland gezwungenermaßen verlassen musste, zu seinem Elternhaus zurück, von wo seine Eltern 1941 nach Litauen deportiert und dort ermordet wurden. Die Reise von Manchester nach München tritt Peter Jordan mit seiner Ehefrau Dorothy an. Er sagt, es sei beschwerlich für ihn. »Aber ich möchte erreichen, dass die Stadt München mir und vielen anderen Angehörigen von Shoah-Opfern unseren Herzenswunsch endlich erfüllt: Dass Stolpersteine für unsere ermordeten Familienmitglieder verlegt werden«, sagt Peter Jordan, der von einem »würdigen und öffentlichen Andenken« spricht. Die für seine Eltern Siegfried und Paula Jordan in München am 16. Juni 2004 verlegten Stolpersteine waren die ersten. Der Stadtrat aber ließ sie noch am selben Tag wieder herausnehmen. »Es war, als ob meine Eltern zum zweiten Mal ermordet wurden«, sagt Jordan.
Die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, die als Kind den Holocaust überlebte, ist weiterhin überzeugt, dass Stolpersteine keine würdige Form des Gedenkens sind, da sie auf dem Boden stattfinde. Passanten würden, so Knobloch, achtlos auf ihnen und über sie hinweggehen. »Es ist inakzeptabel und unbedingt zu vermeiden, dass die unschuldigen Opfer hemmungsloser Unmenschlichkeit in der Gegenwart und Zukunft ein weiteres Mal entwürdigt werden«, wiederholt Knobloch ihre Haltung in einem aktuellen Statement. Würdiges Gedenken könne nur auf Augenhöhe stattfinden. Die Leidenschaft, mit der einige Befürworter der Aktion Stolpersteine für die Verwirklichung ihres Anliegens kämpfen, sei zwar anerkennenswert, doch, so Knobloch weiter, das Projekt Stolpersteine könne sie schlicht nicht befürworten, auch »insbesondere vor dem Hintergrund meiner persönlichen Erinnerungen«.
Der Stadtrat hatte Knobloch zu der Anhörung am 5. Dezember eingeladen, damit auch sie ihre Argumentationen vorbringen könne. Ihre Antwort formulierte Knobloch in einem Schreiben an Kulturreferent Hans-Georg Küppers, der vorab bereits öffentlich wurde. Darin bezeichnet die 82-Jährige die Stolpersteine als »ein vermeintliches Andenken im Dreck« und die Anhörung als »würdeloses Schauspiel, das einige Profilneurotiker mühevoll und unerbittlich erzwungen haben«. Sie wolle sich dem keineswegs aussetzen.
Florian Roth von den Grünen reagierte darauf mit der erneuten und auch im Internet veröffentlichten Bitte, Knobloch möge an der Veranstaltung teilnehmen. Er sei sich sicher, die Anhörung würde »mit höchstem Respekt vor den widerstreitenden Meinungen« ablaufen. Roth weiter: »Vielleicht kann es doch eine Lösung geben, die den Emotionen auf allen Seiten einigermaßen gerecht wird.«
Darauf hofft auch Terry Swartzberg: »Ich freue mich, dass das Thema Stolpersteine auf der Anhörung endlich mal sachlich diskutiert wird.« Nach eigenen Angaben erhält die Initiative immer mehr Zuspruch für die Verlegung von Stolpersteinen in München. Swartzberg hat eine eigene Umfrage gestartet und darin 453 Münchner befragt: 93 Prozent waren für die Stolpersteine. Einige wurden bereits auf privatem Grund verlegt. Und knapp 250 Stolpersteine für jüdische, christliche, politisch andersdenkende, homosexuelle oder behinderte Menschen wurden bereits gespendet und angefertigt. Sie sollen auf öffentlichem Grund verlegt werden. Bis es so weit ist, lagern sie in einem Keller in der Barerstraße. Sylvie-Sophie Schindler