Veröffentlicht am 13.05.2016 00:00

Autor Andreas Englisch erklärt, wogegen der Papst kämpft


Von red

»Spiritueller Alzheimer« – diese Diagnose hat zweifellos das Zeug dazu, in die Kirchengeschichte einzugehen. Dass es ein Papst ist, der seiner Kurie diese Form der Demenz attestierte, hat selbst den Kenner des Kirchenstaats Andreas Englisch überrascht.

Mit seiner Weihnachtsansprache eröffnete Papst Franziskus den Kampf gegen den Teil der Kurie, der ihn seit seiner Wahl mit Spott, Verachtung und arroganter Ablehnung überzieht. Er seinerseits bezichtigt seine Widersacher des Hochmuts, der Verschwendung und der Niedertracht, nennt sie einen Haufen gottloser Bürokraten, die nur auf Machterhalt aus sind, und wirft ihnen vor, Christus vergessen zu haben und in spiritueller Leere zu leben.

Nicht nur die Kardinäle halten den Atem an, die Welt horcht auf. Was hat diese Attacke zu bedeuten? Was gab den Anstoß, und wie wird die Kurie reagieren? Wie ist der Einfluss von Gegnern und Unterstützern des Franziskus-Kurses einzuschätzen? Andreas Englisch analysiert die Lage im Machtzentrum der katholischen Kirche. Eines wird klar: Es geht nicht um vatikaninterne Geplänkel. Franziskus hat den Kampf eröffnet. Und der Ausgang ist völlig offen.

Einen tagesaktuellen Einblick können die Besucher am Donnerstag, 26. Mai, ab 20 Uhr im Bürgersaal Haag, Münchener Straße 36, erwarten. Dann stellt Andreas Englisch sein neues Buch »Papst Franziskus: Der Kämpfer im Vatikan« vor. Karten gibt es ab sofort ab 13,30 Euro beim Kulturpunkt Isen und allen Vorverkaufsstellen von Inn-Salzach-Ticket. Der Reinerlös der Veranstaltung fließt an das Tansania-Projekt der Katholischen Arbeitnehmer-Bewegung (KAB).

Andreas Englisch hat im Vorfeld zu der Veranstaltung dieses Interview gegeben:

Stimmt es, dass seit der Weihnachtsrede dem Papst eine Woge der Ablehnung im Vatikan entgegenschlägt?

Englisch: Ja. Es war klar, dass, wenn man seine eigene Mannschaft in die Pfanne haut, diese davon nicht begeistert ist. Es ist auch richtig, dass es mittlerweile viele Mitglieder der Kurie, also der Vatikanregierung, gibt, die den Papst äußerst kritisch sehen und sagen, was Franziskus macht, das ginge zu weit.

Woran sieht man das?

Englisch: Man merkt das etwa in kritischen Äußerungen. Der Präfekt der Glaubenskongregation, der ehemalige Regensburger Bischof Müller, hat bei der letzten Synode zum Thema Familie offen gesagt, dass der Streit mit dem Papst so groß ist, dass er ein Schisma, also eine Kirchenteilung, fürchtet – wie es z. B. zur Entstehung der evangelischen Kirche geführt hat.

Sie weisen nach, dass Teile der Kurie gegen Franziskus aufbegehren und intrigieren.

Englisch: Es gibt zwei Kritikpunkte gegen Franziskus: Der wichtigste ist, dass der Papst entschieden betont, dass Gott immer vergibt. Im Dezember begann das Jahr der Barmherzigkeit, das der Papst eigens eingerichtet hat. Und dieses Jahr der Barmherzigkeit höhlt nach Ansicht seiner Kritiker die katholische Kirche aus. Seine Kritiker entgegnen: Wie kannst Du so etwas sagen, wenn wir 2000 Jahre lang behauptet haben, dass Gott nichts vergibt. Wenn Du Dich nicht an die Regeln hältst, wenn Du nicht beichtest, nicht zur Kommunion und nicht regelmäßig in die Kirche gehst und Sex außerhalb der Ehe hast, dann vergibt Dir Gott überhaupt nichts. Und wenn jetzt der Papst kommt und sagt, Gott ist immer barmherzig, dann befürchten seine Kritiker, dass sich die Menschen fragen werden, wozu sie dann noch eine Kirche brauchen. Ihm wird vorgeworfen, dass er die Kirche innerlich schwächt.

Und was ist der zweite Punkt?

Englisch: Der zweite Punkt ist, dass die »grüne« Enzyklika »Laudato si« eine heftige Kapitalismuskritik enthält. Franziskus sagt, dass das kapitalistische System die falschen Waren produziere und in seiner jetzigen Form unseren Planeten ruiniere. Das klingt für viele fast wie ein kommunistisches Manifest.

Herrscht hinter den Kulissen also eine Art »Krieg«?

Englisch: Krieg finde ich übertrieben. Es werden ja keine Leute erschossen. Aber es handelt sich um eine extrem heftige Auseinandersetzung, in der es darum geht, in welcher Form die katholische Kirche in Zukunft fortbestehen wird.

Wer sind die Feinde?

Englisch: Das sind die Hardliner. Diesen Streit gibt es in der katholischen Kirche übrigens schon lange. Es gibt eine Gruppe, die sagt, die katholische Kirche müsse kleiner werden: Eine Verkleinerung von einer Milliarde Katholiken auf jene 100 Millionen Kirchentreuen, die sich wirklich an die Gebote halten. Und mit den ganzen Taufschein-Christen, die nur so tun, als seien sie Christen, sich aber an nichts halten, mit denen möchten sie nichts mehr zu tun haben. Der Papst sagt hingegen: Wir sind eine Kirche für alle. Bildlich gesprochen: Wir sind keine Burg, die die Zugbrücken hochzieht.

Der Papst hat aber nicht nur Feinde, sondern auch Freunde und Förderer.

Englisch: Es gibt 90 Wahlkardinäle, die nur nach Rom kommen, wenn der Papst gewählt wird. Und es gibt 30 Kurienkardinäle, die die Kirche regieren. Und die Wahlkardinäle haben gesagt, es ist in Rom so viel Mist passiert, wir brauchen deshalb eine radikale Lösung. Und die radikalste Lösung war Jorge Mario Bergoglio. Das war der einzige Bischof, der sich mit dem Vatikan über zehn Jahre hinweg extrem angelegt hatte. Dieser Konflikt war so heftig, dass der Nuntius, also der Botschafter des Vatikans, sich weigerte, Bergoglio die Hand zu geben, und sich dann auch Bergoglio weigerte, dem Nuntius die Hand zu geben. Das ging so weit, dass der eine das Zimmer verlassen hat, wenn der andere hereinkam. Es war also klar: Wenn die Wahlkardinäle sich für Bergoglio entscheiden, gibt es ein großes Reinemachen.

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