Eines Tages im Biergarten sagte ein Mann zu Uschi, sie sei schön. Eine Münchner Geschichte, wie sie millionenfach angefangen hat. Warum schafft es dann eine alte Kamelle auf die erste Seite?
Denn was sich wie ein plumper Flirtversuch anhört, ist der Anfang einer Erfolgsgeschichte »raus aus dem Elend«, einer Geschichte, die ein desolates Leben im Hasenbergl gründlich verändern würde. Für eine Person, die Bier eigentlich gar nicht mag, doch trotzdem im entscheidenden Moment im Biergarten war.
Einmal Amerika und wieder zurück
Ursula Buchfellner ist im Münchner Stadtteil Hasenbergl geboren, machte Karriere in Übersee und nun ist sie genau hierher zurückgekehrt: ins Augustinum, um genau zu sein. Sie hat ihre Erfahrungen in einem Buch verarbeitet und liest aus ihrer äußerst persönlichen und intimen Autobiografie vor. »Es ist mehr als sich nackt auszuziehen,« sagt sie dem Münchner Wochenanzeiger in dem ersten Interview, das sie in ihrer Heimat zu ihrem Buch »Lange war ich unsichtbar« gibt.
Sie bezieht sich auf das Jahr 1979, als sie von den Anfängen ihrer unvergleichlichen Karriere erzählt: die einer Hasenberglerin, die das jüngste Model wurde, das das deutsche Playboy-Magazin damals schmückte. Die langen blonden Haare und großen dunklen Augen einer »Frau der Männerträume« schafften auch den Sprung ins berüchtigte »Land der Träume«. Sie setzte sich durch und wurde das erste deutsche Model, das auf dem amerikanischen Playboy-Cover erschien. Gerade mal 16 Jahre war sie alt, als ihr Coup begann. Nun ist sie 57 und zieht ein ernüchterndes Resümee über ihr bisheriges Leben.
»Früher gab es die nackte Haut, nun die nackte Seele«
Über ihre Eindrücke berichtet sie sonst imponierend in verschiedenen Talkshows. Etwa bei Markus Lanz sitzen und danach in der alten Heimat spazieren, dem Hasenbergl. Diesmal ist sie gekommen, um dem Stadtteil etwas wiederzugeben. So wurden an einem Donnerstagabend Wünsche wahr. Eine Kapelle, ein Geiger und eben das Hasenbergl und im Mittelpunkt: ihr Buch, ihre Lebensgeschichte. Genau so stellte sich Ursula die Lesung in ihrem ehemaligen Stadtteil vor. Sogar eine ihrer Schwestern ist dabei und sitzt im Publikum. Auch wenn man es ihr nicht anmerkt, ist Ursula aufgeregt. »Früher gab es die nackte Haut, nun die nackte Seele«, sagt die Münchnerin und liest emotionale Passagen aus ihrem Buch vor. »Dabei bin ich viel nervöser, als damals auf den Shootings. Denn Nacktheit ist immer etwas Natürliches und Normales für mich gewesen. Jetzt will ich aber die Herzen berühren: Das ist viel mehr als die Hüllen fallen zu lassen!«
Der Weg nahm im
Biergarten seinen Lauf
Diese Traumgeschichte fing an, als ein Playboy-Redakteur sie im Biergarten fragte, ob sie »Playmate« werden wolle. Mit einem großen Fragezeichen im Gesicht hatte die junge Uschi sich gewundert, was ein »Playmate« denn überhaupt sei. Ganz naiv und unschuldig, kannte sie das Erotikmagazin mit dem markanten Häschen-Logo noch nicht einmal. Ihre Reaktion: Entsetzen. Als sie dann aber begriff, dass es sich um ein renommiertes Magazin handelte, sagte sie zu und fand den Weg in eine Glamour-Welt. Die Blondine erlangte mit erotischen Aufnahmen in Hochglanz Berühmtheit. Doch im Hasenbergl wurde ihr Karrieresprung diskreditiert. »Die Nutte vom Hasenbergl« wurde die einst bei Kindern so beliebte Uschi nun beschimpft.
»Die Bäckerei, in der ich arbeitete, schämte sich dafür, dass ich mich für den Playboy ausgezogen hatte und schmiss mich raus. Die Großmutter mahnte mich, von den Geschwistern Abstand zu nehmen, damit ich sie nicht verderbe.« Ursula Buchfellner bereute allerdings nicht, das jüngste Playboy-Model gewesen zu sein, denn sie hat ihre Karriere gemacht.
Geld, Aufmerksamkeit und Depressionen
Vielen passte es nicht, dass alles ausgerechnet mit erotischen Aufnahmen begonnen hatte. Sie kam erste Klasse nach Amerika, fuhr in Limos, nächtigte in Fünf-Sterne-Hotels, hatte Geld, Aufmerksamkeit und Depressionen. Die Sehnsucht nach den alten Zeiten, als sie bei den Kindern im Hasenbergl so beliebt war, war stark. »Ich vermisste mein altes Hasenbergl.« Sie suchte die Aussprache mit ihrer Familie. »Mit der Mutter versöhnte ich mich, doch der Vater schlug die Tür vor meiner Nase zu. Dabei wollte ich ihn verstehen, ihn kennenlernen.«
Sie wurde für ihren Vater unsichtbar. Genauso wie in ihrer Kindheit, als sie im selben Bett mit den Eltern schlafen musste. »Ich schluchzte, als mein Vater meine Mutter mal wieder schwängerte«, erinnert sich Ursula, die eine von zehn Geschwistern ist, an grausame Episoden in der Baracke im Hasenbergl. So fing sie an, »zuzuhören, um andere sichtbar zu machen« und vor allem »sich selbst sichtbar zu machen, um gehört zu werden«. Mit 18 fing sie das Schreiben an und präsentiert schließlich stolz ihre persönliche Lebensgeschichte.
Auf dem Playboy war sie nackt, auf dem Titel ihrer Autobiografie sieht man unschuldige Augen und einen blonden Pony. Der Weg, um das Buch zu schreiben, war lang. »Der Schmerz hinderte mich daran, frei zu schreiben. Heute ist die Geschichte verarbeitet und ich kann frei darüber reden.« Ihr einst so geliebtes Hasenbergl und der Versöhnungsweg hatten sie ausgelaugt. Nun lebt sie seit zwei Jahren wieder in ihrer Geburtsstadt, allerdings im ruhigen und gut situierten Johanneskirchen. 1961 kam sie allerdings im Hasenbergl auf die Welt, das damals noch eine arme Holz- und später Baracken- und Betonsiedlung war. »Wir wohnten zu zwölft in zwei Zimmern«, erinnert sich Ursula, deren Kindheit von ständiger Armut und Hunger geprägt war.
Daher schien die Bäckereilehre ein guter Ausweg aus der Not zu sein. »Ich war glücklich, ein bisschen Brot heimbringen zu können. So habe ich einen Beitrag geleistet, um der Familie zu helfen.« In dem Wohnviertel gab es eine Verbundenheit, die sie sonst nirgendwo anders wiedergefunden hat. »Alle waren wie eine Familie Alle habens ja schwer gehabt.«
Dem Elend im
Hasenbergl entfliehen
Glücklich war Uschi nicht immer: Sie ruft Bilder in ihrem Kopf auf, etwa wie Männer ihr und anderen Mädels unter die Röcke griffen, wie sie im Alter von sieben Jahren missbraucht wurde. Auch Gewalt war ein Thema, das sie in ihrem Buch verarbeitet hat, denn ihr Vater war Alkoholiker. Das trostlose Leben nahm aber einen Lauf wie im Film und ihr Schicksalsblatt hat sich gewandt. Sie brach aus dem Teufelskreis aus.
Buchfellner spaziert auch heute noch manchmal im Hasenbergl. Das Hasenbergl im Jahr 2018 ist jedoch ein ganz anderes, als in ihrer Erinnerung, resümiert sie. »Die Leute hungern nicht mehr, eine Sozialversorgung ist da.« Ihre Mutter wohnt nach wie vor in dem Stadtteil im Münchner Norden: in derselben Wohnung, in der sie einst ihre zehn Kinder unter schlechten Bedingungen aufgezogen hat. Der Vater ist bereits vor zwei Jahren gestorben. »Ich habe meinen inneren Frieden gefunden, da ich mich aussprechen und mit der Vergangenheit und mir selbst versöhnen konnte. Nach der Aussprache und unserer Versöhnung wusste ich, wer ich wirklich bin.« Dies steigerte, so sagt sie, ihre Lebensqualität mehr als jegliche Limousinen, Cocktails und Nobelhotels.
Von Daniel Mielcarek
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