Veröffentlicht am 06.06.2018 00:00

Feldmoching · SEM-Gebiet mit den Augen der Landwirte gesehen


Von red
Die Angst vor den drei Buchstaben: »SEM« steht für »Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme« und bedeutet kurz zusammengefasst das Aus für viele Bauernhöfe.	 (Fotos: Mielcarek)
Die Angst vor den drei Buchstaben: »SEM« steht für »Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme« und bedeutet kurz zusammengefasst das Aus für viele Bauernhöfe. (Fotos: Mielcarek)
Die Angst vor den drei Buchstaben: »SEM« steht für »Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme« und bedeutet kurz zusammengefasst das Aus für viele Bauernhöfe. (Fotos: Mielcarek)
Die Angst vor den drei Buchstaben: »SEM« steht für »Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme« und bedeutet kurz zusammengefasst das Aus für viele Bauernhöfe. (Fotos: Mielcarek)
Die Angst vor den drei Buchstaben: »SEM« steht für »Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme« und bedeutet kurz zusammengefasst das Aus für viele Bauernhöfe. (Fotos: Mielcarek)

Er radelt jeden Tag an den Feldern und Bauernhöfen vorbei, genießt die frische Luft und Natur in München. Natur und München in einem Satz? Ob diese Idylle in Zukunft bestehen wird, ist sehr fraglich. »München wird wohl mit Plattenbausiedlungen zugeknallt sein!«, so Martin Zech. Sein Stadtteil Feldmoching würde sich einwohnermäßig wahrscheinlich verdoppeln, befürchtet er: »Feldmoching würde seinen Charakter total verlieren.«

Feldmoching | Daglfing | Englschalking | Johanneskirchen | Riem

SEM - Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme München Künftige bauliche Entwicklung Münchens - Befürworter und Gegner der SEM Nordost und Nord im Fokus

Seitdem er denken kann, gibt es schon den Bauernhof von seinem Vater. Martin Zech ist Landwirt, 42 Jahre alt, und das Land, das der Familie gehört, ist bald 200 Jahre alt. »Wirklich Grund zur Freude habe ich nicht, denn eventuell gibt es den Bauernhof bald nimmer«, beklagt er. Die Stadt München hat nämlich Pläne: große Pläne. Er sowie viele andere Landwirte haben Angst vor den drei Buchstaben »SEM«, die als Abkürzung für »Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme« stehen.

Ein Stadtteil wird sein Gesicht verlieren

Auf Zechs Ackerbau wachsen Getreide und Kartoffeln, die er direkt am Hof verkauft. »Die Feldmochinger kommen, die Nachfrage ist da.« Sie sind es gewohnt, heimische Produkte direkt einzukaufen. In Feldmoching betreiben die Bauern unter anderem viel Gemüseproduktion auf insgesamt über 100 Hektar. »Am Nachmittag ernten die Bauern und am nächsten Morgen kaufen die Münchner die Produkte.« Ohne den Boden wird dies künftig unmöglich sein - respektive ohne ihren »Heimatboden«. Unter diesem Namen gründete Zech mit Betroffenen eine Initiative, nachdem die Landeshauptstadt die Pläne zur »SEM 2017« veröffentlichte. »Ich sehe die SEM als bedrohlich. Die Stadt München hat bis vor ein Paar Jahren ein moderates, gesundes Wachstum gehabt. Sie baute auch in Feldmoching Mehrfamilienhäuser. Fremdkörper waren sie zwar nicht, aber mit einem grenzenlosen Wachstum wird München und somit auch unser Feldmoching sein Gesicht verlieren«, fürchtet er. Als Zech zufällig dem Kleingedruckten einer Tageszeitung entnahm, dass im Bereich Lerchenauer Feld rund 2.500 neue Wohnungen auf einer Fläche von 22 Hektar entstehen sollen, wurde ihm klar: »Da muss ein Masterplan her. Andere Regionen bluten aus. Also suchen wir den Dialog mit der Politik und Verwaltung. Für solche Maßnahmen fordern wir mehr Transparenz und Kommunikation auf Augenhöhe. Sie sollen Licht ins Dunkel bringen: Was sind die rechtlichen Grundlagen? Wir fordern Anhörungen. Die Politik soll die Bevölkerung und Grundeigentümer aufklären.“ Zechs Angst ist zudem, dass die SEM ein Freifahrtschein für Spekulanten sein könnte.

Die Stadt brennt, das wissen auch die Bauern

»Die Stadt brennt«, weiß auch Landwirt Erich Hanuschke aus eigener Erfahrung. »Ich weiß, dass es Veränderungen und Bebauungen geben wird - das können wir nicht aufhalten. Wir haben nur Angst, dass alles auf einmal hereinbricht.« Es herrscht eine arge Wohnungsnot, die sich wohl auch an seinem Grundstück bedienen wird. »Seit 15 Jahren bin ich hier in Ludwigsfeld, aber Landwirt bin ich länger. Meine Tochter sollte in Zukunft unseren Gemüsebetrieb fortführen.« Wie und wo es für den Betrieb weitergeht, ist ungewiss. Ihm kommt die Situation bekannt vor. Bevor er hier hingezogen war, arbeitete er am Frankfurter Ring, der sich baulich bereits rasant entwickelt hat. Heute sei dort alles ›zugebaut‹ und ein Supermarkt stehe an der Stelle, wo er früher ein großes Grundstück hatte. »Feldmoching hingegen soll sich seinen Dorfcharakter bewahren!«

»Feldmoching ist das letzte ›Dorf‹ in München«, so Landwirt Hanuschke, der Angst vor der SEM hat. »Wir haben ein Heimatmuseum, einen Trachtenverein und einen Dorfabend. Es gibt eine richtige Dorfgemeinschaft.«

Die Zeit ist hier stehengeblieben

Hanuschke fährt mit seinem Auto die »Dorfstraße«, wie er die Feldmochinger Straße manchmal nennt, entlang. Vorbei an der St. Peter und Paul-Kirche, an der überschaubaren Anzahl an Häusern und Landwirtschaftsbetrieben. Die Zeit ist hier stehengeblieben: »Die Straßen haben sich bis jetzt kaum verändert.« Teils gab es auf diesen Straßen auch mehr Traktoren als PKWs, dies habe sich nun ohnehin verändert. Doch den typischen »Dorfduft« innerhalb der Stadtgrenzen Münchens nimmt man hier trotzdem manchmal wahr. Dann macht er Halt an einem See. Fernab vom Straßenlärm Münchens kann man fast gar nicht glauben, dass man hier noch in München ist. Am Fasaneriesee etwa angelt gerade ein Mann, in aller Ruhe und Gelassenheit, als wäre er in einer anderen Welt. Eigentlich undenkbar für eine Großstadt. Auf München wird dies aller Voraussicht nach auch zutreffen. Deswegen solidarisieren sich die Feldmochinger mit den Bewohnern des Stadtteils Johanneskirchen. »In Johanneskirchen sind die Maßnahmen schon einen Schritt weiter und die Situation damit noch prekärer. Die SEM war bei ihnen bereits beschlossene Sache, als sie davon erfuhren«, so Hanuschke. Nun leisten sie gemeinsam Widerstand.

»Wir sind keine Millionenbauern«

Aufklärungsarbeit und das Bewusstsein über Konsequenzen liegt ihnen am Herzen. Konkrete Lösungsvorschläge haben sie nicht, etwa wo die zigtausend Menschen künftig wohnen sollen, wenn denn nicht auf den heutigen Feldern Feldmochings oder Johanneskirchens. »Warum muss München überhaupt wachsen, wenn eh kein Platz mehr da ist?«, kontert er. Auch von ‚goldener Fruchtfolge‘ wolle er nichts wissen, denn es gehe ihm und den Landwirten keineswegs ums Geld. »Wir sind keine Millionenbauern und wollen unsere Grundstücke nicht zu Höchstpreisen verscherbeln. Das ist Unsinn.« Wochenmärkte, Einkaufsläden und Gastronomiebetriebe werden teils andere Quellen finden müssen, etwa außerhalb Münchens, wenn es seinen und andere Betriebe nicht mehr gibt. Als Mitbegründer von »Heimatboden« konstatiert Hanuschke: »70 Prozent des Gemüseanbaus stammt von den SEM-Gebieten. Solange ich kann, werde ich die Münchner mit Gemüse versorgen.«

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