Die Verbrechen der Nationalsozialisten machen heute noch sprachlos. Noch schlimmer als die nackten Zahlen der Toten ist die Tatsache, dass hinter jedem Namen ein weggenommenes Leben, ein menschliches Schicksal steht. An Münchnerinnen und Münchner, die dem Holocaust zum Opfer fielen, gedenken die Erinnerungszeichen, von denen seit kurzem ein weiteres in Bogenhausen steht.
Die Koordinierungsstelle Erinnerungszeichen im Stadtarchiv München hat im Beisein von Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Angelika Pilz-Strasser, Vorsitzende des Bezirksausschusses Bogenhausen, und Stadtrat Thomas Ranft ein Erinnerungszeichen für Ruth Levinger in der Gaußstraße 3 an die Öffentlichkeit übergeben.
Ruth Levinger, die am 20. Januar 1908 in München als Tochter des Arztes Siegfried Levinger geboren wurde, wuchs hier auf und verbrachte eine behütete Kindheit in Bogenhausen. Nach der Gebeleschule besuchte sie das Luisengymnasium, das sie mit einem ausgezeichneten Abitur abschloss. Im gleichen Jahr immatrikulierte sich Levinger an der Ludwig-Maximilians-Universität in den Fächern Medizin und Philosophie. Ab dem Winterhalbjahr 1930/31 studierte sie nur noch Medizin. Dann erkrankte sie jedoch und musste deswegen ihr Studium im November 1932 aufgeben.
Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten änderte sich das Leben der Familie Levinger aufgrund ihres jüdischen Glaubens schlagartig. Ruths Bruder Fritz wanderte bald nach Palästina aus, ihre Eltern folgten ihm 1936. Für die erkrankte Ruth gab es allerdings keine Möglichkeit, auszureisen. Im Juli 1935 wurde sie in der Heil- und Pflegeanstalt Düsseldorf-Grafenberg aufgenommen, im November 1935 in das Sanatorium Herzoghöhe bei Bayreuth.
Am 8. Februar 1939 verlegte man sie aus unbekannten Gründen in die Heil- und Pflegeanstalt Eglfing-Haar. Von dort aus wurde Ruth Levinger am 20. September 1940 mit weiteren 190 Juden in die Tötungsanstalt Hartheim bei Linz deportiert und dort schließlich ermordet. Diese Deportation war der erste systematische Massenmord an Juden, der als Vorstufe zum Holocaust gilt.
Die Erinnerungszeichen werden in Form von Tafeln und Stelen an Orten angebracht, an denen Münchnerinnen und Münchner lebten, die zwischen 1933 und 1945 Opfer der Verfolgung durch die Nationalsozialisten wurden. So soll den heute meist vergessenen Opfern des NS-Regimes ihr Platz in der Stadtgesellschaft zurückgegeben werden. In die Tafeln und Stelen aus gebürstetem Edelstahl sind vergoldete Hülsen eingelassen, in die Namen, Lebensdaten und Gesichter der Verfolgten eingeschnitten sind. Alle Texte und Bilder befinden sich auf Augenhöhe.