Von Daniel Mielcarek
Viele unersetzliche Erinnerungsstücke der vertriebenen Sudetendeutschen haben ihr Ende auf Flohmärkten oder gar in Wertstoffhöfen erfahren. Glücklicherweise wurden aber auch über die letzten 50 Jahre hinweg zahlreiche Stücke gesammelt, die in einem Neubau von etwa 1.200 Quadratmetern nahe der Münchner Isar ihr zweites Leben erfahren werden. Erzählungen von Zeitzeugen sollen eine weltweit einzigartige Ausstellung ergänzen, um die Geschichte und Kultur der Deutschen aus Böhmen, Mähren und Sudetenschlesien nicht in Vergessenheit geraten zu lassen.
Bernd Posselt, von 1994 bis 2014 Münchner Abgeordneter im Europäischen Parlament, ist der Sprecher der Sudetendeutschen Volksgruppe, also oberster politischer Repräsentant der mehr als drei Millionen Sudetendeutschen und ihrer Nachkommen, die seit der Vertreibung aus der damaligen Tschechoslowakei nach dem Zweiten Weltkrieg weltweit verstreut leben. Die meisten davon haben ihren Schwerpunkt in Bayern und in München.
"Der Plan zum Bau des Sudetendeutschen Museums ist schon älter", sagt Posselt und sagt, dass es sich hierbei um mehr als ein neues "sudetendeutsches Schaufenster" handeln sollte, das sich an das Sudetendeutsche Haus in der Münchner Hochstraße anschließen würde. Er erinnert sich, wie "kurz vor der Hauptkundgebung des Sudetendeutschen Tages 2001 oder 2002 der damalige Ministerpräsident Edmund Stoiber die neue Sozialministerin Christa Stewens und mich auf die Seite zog und meinte: 'Ich werde jetzt gleich in meiner Rede vorschlagen, dieses geplante Schaufenster in ein richtiges Landesmuseum auszuweiten. Was haltet ihr davon?'" Bernd Posselt war nicht schlecht überrascht: "Wir waren begeistert und das Ganze wurde von uns und vielen Mitstreitern fortan vorangetrieben, an der Spitze der Vorstand der Sudetendeutschen Stiftung.
München wurde mit viel Bedacht als Standort für den Neubau ausgesucht. "Vor der Vertreibung war die nordböhmische Metropole Reichenberg mit 100.000 Einwohnern die größte sudetendeutsche Stadt", erklärt Bernd Posselt. Nach München kamen ihm zufolge dann doppelt so viele Sudetendeutsche her, weshalb heutzutage an der Isar nicht nur das Zentrum aller drei Millionen über die ganzen Welt zerstreuten Sudetendeutschen liegt, sondern mit 200.000 Landsleuten auch das größte Gemeinwesen, das die Sudetendeutschen jemals hatten. "Deshalb gibt es seit den achtziger Jahren das Sudetendeutsche Haus in der Au und künftig daneben eben das Sudetendeutsche Museum", ergänzt der ehemalige Europäische Parlaments-Abgeordnete.
Das Museum, so sagt er, soll die mehr als 800-jährige faszinierende Kultur und Geschichte von Böhmen, Mähren und Sudetenschlesien, wo Tschechen und Sudetendeutsche meist friedlich und produktiv zusammenlebten, darstellen, bis der im 19. Jahrhundert aufkommende Nationalismus dies in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zerstörte. "Dargestellt werden deshalb auch das einzigartige Verbrecherregime des Nationalsozialismus, die Massenvertreibung der Sudetendeutschen nach dem Zweiten Weltkrieg, die überwiegend im Jahr 1946, also viele Monate nach Kriegsende erfolgte, sowie der Neubeginn in der Bundesrepublik Deutschland, in Österreich und in der DDR", gibt Posselt preis.
Als Beispiele führt er auf: "Ein Prunkstück wird ein Original Böhmerland-Motorrad sein, aber auch eine bunte Auswahl aus dem künstlerischen und industriellen Erbe dieser einst reichsten Region der österreichischen Vielvölkermonarchie, von uraltem Kunsthandwerk bis hin zum schrägsten Glasschmuck des Jugendstil und der Moderne." Unter die Haut soll auch der Anblick einer Vertreibungskiste gehen, in der die Menschen gerade einmal dreißig Kilo von ihrem Hausrat mitnehmen durften, als sie ihre jahrhundertealte Heimat verlassen mussten. "Es wird zudem eines der modernsten und innovativsten Museen Münchens sein", verspricht der Sprecher der Sudetendeutschen.
Nicht nur die vielen Millionen heimatvertriebenen Sudetendeutschen und ihre Nachkommen sollen zur Zielgruppe des Museums gehören, sondern auch "vom Ur-Münchner bis hin zu Gästen aus Übersee, allen Teilen Europas und nicht zuletzt aus der Tschechischen Republik", wünscht sich Bernd Posselt. Eine besondere Zielgruppe sei dabei die junge Generation. "Die Mitarbeiter des Sudetendeutschen Museums, darunter ein eigener Museumspädagoge, freuen sich auf viele Jugendliche und Schulklassen.
Die Frage, wann die Eröffnung eigentlich sein soll, blieb lange eine leidige. Die Eröffnung musste um zirka zwei Jahre verschoben werden. "Es ist heutzutage leider normal, dass ein so komplizierter Hochbau, an dem zahlreiche Firmen mitwirken, immer wieder mit neuen Herausforderungen konfrontiert ist", nimmt Posselt dazu Stellung. "Der Vorstandsvorsitzende der Sudetendeutschen Stiftung, Dr. Ortfried Kotzian, und seine Mitarbeiter haben Überragendes geleistet und dadurch immerhin möglich gemacht, dass wir jetzt ein Schmuckstück mehr in der Münchner Museumslandschaft haben werden. Ohne den schier unglaublichen ehrenamtlichen Einsatz Kotzians wäre dies undenkbar gewesen", resümiert er. Im Verlauf des Herbstes soll es dann endlich soweit sein: "Ministerpräsident Markus Söder wird gemeinsam mit uns die feierliche Eröffnung in einem Rahmen vornehmen, der den zu diesem Zeitpunkt bestehenden Corona-Bedingungen entspricht."
Schließlich hebt Bernd Posselt den immensen Stellenwert des Schaffens der Sudetendeutschen in Bayern und München hervor: "Von den drei Millionen Sudetendeutschen ist etwa die Hälfte nach Bayern vertrieben worden. Nicht zuletzt deshalb sind wir neben Altbayern, Schwaben und Franken ganz offiziell der vierte Stamm unseres Freistaates. Dies geht aus einer offiziellen Urkunde der Bayerischen Staatsregierung hervor, die im Bayerischen Hauptstaatsarchiv aufbewahrt wird. Alle im Landtag vertretenen Parteien bekennen sich zu dieser Schirmherrschaft. Wir sind somit integriert, aber können dankenswerterweise durch die Förderung Bayerns unsere Wurzeln und unsere kulturelle Eigenart bewahren und weiterentwickeln", fasst er zusammen. "Hinzu kommt, dass die Sudetendeutschen schon seit Jahrhunderten eine der wirtschaftlich modernsten Volksgruppen Europas waren - denken Sie an Firmen wie Porsche oder Swarovski, die sudetendeutschen Ursprungs sind - und entscheidend dazu beigetragen haben, Bayern von einem Agrarland in ein blühendes Industrieland zu verwandeln."
Der Bekanntheitsgrad der Volksgruppe lässt sich dennoch immer noch verbessern, ist er der Meinung. Dazu werde auch das Sudetendeutsche Museum, das mit dem Sudetendeutschen Haus und dem Haus des deutschen Ostens ein attraktives Dreieck in der Au bilden soll, maßgeblich beitragen.
Weitere Infos unter www.sudetendeutsche-stiftung.de