Veröffentlicht am 10.05.2023 08:57

Spiele im Schatten


Von Benjamin Schuldt
Regionalliga-Fußball – und kaum einer mag hingehen: Der FFC Wacker München (blau) spielt an der Demleitnerstraße manchmal vor zweistelligen Zuschauerkulissen. (Foto: bas)
Regionalliga-Fußball – und kaum einer mag hingehen: Der FFC Wacker München (blau) spielt an der Demleitnerstraße manchmal vor zweistelligen Zuschauerkulissen. (Foto: bas)
Regionalliga-Fußball – und kaum einer mag hingehen: Der FFC Wacker München (blau) spielt an der Demleitnerstraße manchmal vor zweistelligen Zuschauerkulissen. (Foto: bas)
Regionalliga-Fußball – und kaum einer mag hingehen: Der FFC Wacker München (blau) spielt an der Demleitnerstraße manchmal vor zweistelligen Zuschauerkulissen. (Foto: bas)
Regionalliga-Fußball – und kaum einer mag hingehen: Der FFC Wacker München (blau) spielt an der Demleitnerstraße manchmal vor zweistelligen Zuschauerkulissen. (Foto: bas)

War die Europameisterschaft 2022 der Durchbruch für den lange kaum richtig wahrgenommenen deutschen Frauenfußball? Die Zuschauerzahlen lassen darauf schließen: In der Frauen-Bundesliga begrüßte der 1. FC Köln kürzlich über 38.000 Fans, und die Frauen des FC Bayern traten bei Champions-League-Spielen in der Allianz Arena vor über 20.000 Zuschauern an. Doch was kommt vom gewachsenen Interesse im Unterbau an? Können die Münchner Regionalligisten und Bayernligisten auf der Welle mitschwimmen?
Ein warmer Sonntagnachmittag in Untersendling. Vom angekündigten Gewitter ist nichts zu sehen, die Sonne strahlt vom Himmel. Bestes Fußballwetter also – doch der legendäre Rasenplatz an der Demleitnerstraße, auf dem die Fußballer des FC Wacker München sich einst viele Duelle mit großen Vereinen geliefert haben, ist verwaist. Auf dem Kunstrasenplatz nebenan beginnt um 14 Uhr eine Partie der Regionalliga Süd: Der FFC Wacker München trifft auf den VfL Herrenberg aus der Nähe von Stuttgart. Die Regionalliga ist bei den Frauen die dritthöchste Spielklasse. In der 3. Liga der Männer tritt der TSV 1860 München bei jedem Heimspiel im Grünwalder Stadion vor vollen Rängen an. Wer ein Drittliga-Spiel der Frauen besuchen möchte, muss dagegen weder vorab eine Eintrittskarte erwerben noch Warteschlangen fürchten. Es reicht, kurz vor dem Anpfiff an einem am Eingang aufgebauten Zelt ein Ticket zu kaufen und sich einen Platz an der Seitenlinie zu suchen. Der Kunstrasenplatz auf der Bezirkssportanlage Demleitnerstraße bietet dem Zuschauer keinerlei Komfort: Es gibt keine Tribüne mit Sitzplätzen, nicht einmal Stehtraversen. Dafür ist man ganz nah dran am Geschehen, hört den Atem der Spielerinnen und muss aufpassen, dass man nicht vom Ball getroffen wird.

Kulissen oft zweistellig

Während das Spiel läuft, kommen nach und nach mehr Zuschauer an den Platz. Männer und Frauen aller Altersklassen sind darunter, manche geben sich als Angehörige der Spielerinnen zu erkennen. Dazu schauen einige Jugendspielerinnen des FFC Wacker den Großen zu. Anfeuerungen oder Fangesänge sind nicht zu hören, Fans im Trikot oder mit Schal, wie man es von den Männern, aber auch von den Topspielen der Frauen kennt, kaum auszumachen. Zwar hängen Fans während des Spiels zwei Zaunfahnen mit dem blauen Stern auf – doch diese beziehen sich auf die Männer des FC Wacker, die im Anschluss an gleicher Stelle gegen die DJK Pasing antreten. Das Kreisliga-Spitzenspiel wird rund 300 Zuschauer anlocken. Der FFC Wacker, der sich 1999 vom FC Wacker abspaltete und einer der größten Frauenfußballvereine in Deutschland ist, zählt im Spiel gegen Herrenberg nur 125 Zuschauer – immerhin, manchmal ist die Kulisse des Regionalligisten nur zweistellig. Dabei spielt der FFC Wacker eine starke Saison, belegt den dritten Platz und bietet ansehnlichen Fußball. Das dramatische Duell mit dem Abstiegskandidaten VfL Herrenberg endet 4:3, wobei Wacker in den letzten drei Minuten einen 2:3-Rückstand noch in einen Sieg umbiegt.

Ein Derby vor 85 Zuschauern

Szenewechsel, von Untersendling geht es etwa sechs Kilometer nach Norden. Eingebettet ins Viertel zwischen Dantebad, Dachauer Straße und Nymphenburg-Biedersteiner Kanal liegt der Kunstrasenplatz des SC Amicitia München. Der enge Platz ist von hohen Zäunen umgeben, für die Zuschauer gibt es immerhin ein paar schattige Sitzbänke. Hier steigt am nun späten, immer noch sonnigen Sonntagnachmittag ein Münchner Derby in der Bayernliga, der vierthöchsten Frauen-Spielklasse.
Münchner Derby – da denkt man an FC Bayern gegen TSV 1860, ein Duell, das sogar große Emotionen weckt, wenn die zweiten Mannschaften oder Jugendteams involviert sind. Der SC Amicitia und der heutige Gegner FC Stern aus Trudering fechten jedoch keine Rivalität aus. Die Herren oder Junioren treffen sich selten: Sie spielen auf Kreisebene, in verschiedenen Staffeln. Der FC Stern war ein Vorreiter des Frauen- und Mädchenfußballs in München, hat zahlreiche Juniorinnen und drei Frauenmannschaften. Die erste Mannschaft der „Sterne” spielt seit zehn Jahren in der Bayernliga, in der Amicitia ein Newcomer ist. Mädchenmannschaften gibt es an der Dietrichstraße bisher nicht, was auch dem begrenzten Platz geschuldet ist.
Heute begegnen sich Amicitia und Stern auf Augenhöhe. Beide kämpfen seit Saisonbeginn gegen den Abstieg in die Landesliga, doch beide haben sich zuletzt aus dem Keller gekämpft. Vor allem der FC Stern ließ mit einem sensationellen 4:1-Erfolg gegen Spitzenreiter Würzburger Kickers aufhorchen. Im Stadtduell zählt für beide Vereine nur ein Sieg, entsprechend umkämpft ist die Partie von Anfang an. Mit leidenschaftlich geführten Zweikämpfen, schönen Spielzügen, vielen Torchancen, zwei Lattentreffern und einem Platzverweis bietet das Spiel alles, was sich der Fußballfan wünscht. Doch Fans sind kaum da: Die offizielle Zuschauerzahl beträgt 85. Für den SC Amicitia ist das die zweitgrößte Kulisse der Saison. Auch hier sind augenscheinlich vor allem Vereinsmitglieder, Jugendspieler und Angehörige der Spielerinnen vor Ort. Das Spiel ist bis zum Abpfiff spannend. Etwas glücklich siegen die „Sterne” mit 1:0 und nehmen drei wichtige Punkte mit an die Feldbergstraße.

Rekorde nur in der Bundesliga

So geht ein Sonntag im Zeichen des Münchner Frauenfußballs zu Ende. Sportlich hatte der Tag einiges zu bieten, deutlich wird aber: Die Euphorie nach der EM 2022, die in der Frauen-Bundesliga für immer neue Zuschauerrekorde sorgt, kommt in den höheren Amateurligen kaum an. In der Regionalliga oder Bayernliga hat sich beim öffentlichem Interesse wenig bis nichts getan. „Bei uns ist keine Steigerung der Zuschauer zu verzeichnen”, meint etwa Reiner Pfanz, der Zweite Vorstand des SC Amicitia München – und dabei sind die Moosacherinnen ja vor einem Jahr sogar aufgestiegen. „Die Attraktivität des Frauenfußballs muss gesteigert werden”, ergänzt Pfanz. Wie, das weiß niemand so recht, wobei spärliche Kulissen nicht nur bei den Frauen vorherrschen: Auch männliche Regional- und Bayernligisten wie Heimstetten oder Ismaning gelten nicht als Fanmagneten. In und um München konzentriert sich eben fast alles auf die Proficlubs, von Erfolgen der Frauen-Nationalmannschaft profitiert vor allem der FC Bayern. Der Unterbau spielt im Schatten.

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