Gerade einmal 16 Jahre alt war Georg Pöltl, als er der Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten zum Opfer fiel und im KZ Dachau starb. Um dem Bogenhausener zu gedenken, hat das Kulturreferat der Stadt München vor kurzem ein Erinnerungszeichen angebracht. Dieses hängt am früheren Wohnhaus der Pöltls in der Ismaninger Straße 77.
Über 41.500 Gefangene kamen im Konzentrationslager Dachau ums Leben, das sind fast so viele Menschen, wie die nördlich von München gelegene Kreisstadt heute Einwohner zählt. In einem dicken und schweren Totenbuch sind die Namen der Opfer, soweit bekannt, verzeichnet. Doch hinter jedem Namen steckt eine persönliche Geschichte und ein furchtbares Schicksal. Ein Weg, den Toten ein Gesicht zu geben, sind die Erinnerungszeichen in der Stadt München. 236 davon gibt es inzwischen, viele weitere Anträge laufen. Erinnerungszeichen werden dort angebracht, wo Münchnerinnen und Münchner gelebt haben, die zwischen 1933 und 1945 von den Nationalsozialisten verfolgt und ermordet worden sind.
Als im Februar 1945 rund 60 neue Häftlinge im KZ Dachau ankommen, sind darunter auch etwa ein Dutzend Jugendliche aus München, zwischen 14 und 21 Jahre alt. Einer von ihnen ist der 16-jährige Georg Pöltl, im Familienkreis „Schorsch” genannt, der in Bogenhausen aufgewachsen ist. Seine Großeltern betreiben in der Ismaninger Straße 77 einen Schreibwarenladen, die ganze Familie lebt in dem Haus. Schorsch gilt als unangepasst - so tritt er nicht wie viele andere Buben der Hitlerjugend bei. Der Krieg verändert den Alltag der Familie massiv. Vater Georg, der einen Friseursalon in Trudering betreibt, wird eingezogen und kommt im Februar 1943 in der heutigen Ukraine ums Leben. Sohn Schorsch beginnt im April 1943 ebenfalls eine Ausbildung zum Friseur, besucht die Berufsschule am Regerplatz. Mutter Maria tritt fast zeitgleich eine Stelle als Aushilfsangestellte im Polizeipräsidium München an.
Gegen Ende 1944 schließt sich Georg Pöltl einer Gruppe von Jugendlichen an, die Diebstähle in ausgebombten Häusern verüben. Die jungen Leute stehlen Wein, Kleidung und Lebensmittel. Bogenhausen ist schon damals ein reiches Viertel. So manche prachtvolle Villa wird von einer NS-Größe bewohnt - und war einst von ihrem jüdischen Vorbesitzer enteignet worden. Am 3. Februar 1945 wird Schorsch mit einem Freund von der Polizei aufgegriffen. Im Verhör gestehen die beiden die Diebstähle. In der Endphase des Zweiten Weltkriegs sind die Gefängnisse überbelegt und teilweise zerstört, so kommen die Jugendlichen kurzerhand ins KZ Dachau. Im völlig überfüllten Lager herrschen die Hungersnot und Seuchen wie Typhus vor. Es ist anzunehmen, dass Georg Pöltl durch eine Krankheit ums Leben kommt, genau nachvollziehen lässt sich das nicht mehr. Untergebracht war er wahrscheinlich in einer der eiskalten Zellen im Lagergefängnis - dem »Bunker«.
Am 10. April 1945 fährt Mutter Maria nach Dachau, um ihren Schorsch zu besuchen, nachdem sie auf mehrere schriftliche Anträge keine Antwort erhalten hat. Die SS teilt ihr jedoch mit, dass Georg bereits am 3. April gestorben sei – angeblich an einer Blutvergiftung. „Man hat ihr gesagt: Die Asche können Sie mitnehmen”, berichtete Paul Maria Wittmann, ein Cousin Georg Pöltls, bei der Gedenkveranstaltung in der Monacensia. Tatsächlich waren die Krematorien im Lager wegen Kohlemangels zu dieser Zeit nicht mehr in Betrieb. Vermutlich ist Georgs Leichnam in einem Massengrab verscharrt worden. Maria Pöltl wollte den frühen Tod ihres einzigen Sohnes zeitlebens nicht wahrhaben und bekam Weinkrämpfe, wenn die Sprache auf Schorsch kam.
Im ehemaligen Wohnhaus der Familie Pöltl an der Ismaninger Straße 77 befindet sich damals wie heute ein Schreibwarenladen. Neben dem Eingang zum Geschäft prangt nun das vergoldete Erinnerungszeichen, das ein Porträtfoto von Georg zeigt und seine wichtigsten Lebensdaten angibt. Damit hat ein weiterer von insgesamt mindestens 10.000 Menschen aus München, die in der NS-Zeit getötet wurden, seinen symbolischen Platz in der Stadtgesellschaft zurückerhalten.