Veröffentlicht am 06.11.2020 04:30

Thema mit Zündstoff

Dieter Glenz (li.) und Paul Schweiger (re. ) präsentierten auf ihren Transparenten plakativ das, was das breite Plemum bei der Informationsveranstaltung vergangene Woche von der Stadtspitze fordert. (Foto: Andrea Hinze)
Dieter Glenz (li.) und Paul Schweiger (re. ) präsentierten auf ihren Transparenten plakativ das, was das breite Plemum bei der Informationsveranstaltung vergangene Woche von der Stadtspitze fordert. (Foto: Andrea Hinze)
Dieter Glenz (li.) und Paul Schweiger (re. ) präsentierten auf ihren Transparenten plakativ das, was das breite Plemum bei der Informationsveranstaltung vergangene Woche von der Stadtspitze fordert. (Foto: Andrea Hinze)
Dieter Glenz (li.) und Paul Schweiger (re. ) präsentierten auf ihren Transparenten plakativ das, was das breite Plemum bei der Informationsveranstaltung vergangene Woche von der Stadtspitze fordert. (Foto: Andrea Hinze)
Dieter Glenz (li.) und Paul Schweiger (re. ) präsentierten auf ihren Transparenten plakativ das, was das breite Plemum bei der Informationsveranstaltung vergangene Woche von der Stadtspitze fordert. (Foto: Andrea Hinze)

"Wie soll der Münchner Nordosten in Zukunft aussehen?" Mit dieser Frage beschäftigte sich die Podiumsdiskussion vergangenen Donnerstag in der Theaterfabrik.
Zu Veranstaltungsbeginn um 19 Uhr waren die Türen bereits verschlossen, denn mehr als 900 Personen passen nicht in den Spiegelsaal. Der Andrang war schon eine Stunde vor Veranstaltungsbeginn so groß, dass die Polizei die Musenbergstraße absperren musste - Verkehrschaos im gesamten Viertel inklusive. "Heute Abend bekamen Sie bereits einen Vorgeschmack darauf, wie sich der Verkehr entwickeln wird, wenn hier Wohnungen für 30.000 Menschen gebaut werden und 10.000 neue Arbeitsplätze entstehen", stellt Markus Bichler bei der Eröffnung der Veranstaltung fest.

Der gebürtige Daglfinger ist einer der Sprecher des Bündnisses Nordost, das zur Podiumsdiskussion geladen hatte. Seine Kritik ging von Anfang an klar in Richtung Stadtverwaltung, die nie einen Dialog auf Augenhöhe geführt habe. Genau diese Gesprächsbereitschaft forderte Bichler jetzt vehement ein, schließlich seien aktuell 90 Prozent der Anwohner gegen die geplante, massive Nachverdichtung im Münchner Nordosten.
Tosenden Applaus bekam er für seine Aussage, man würde sich die "demokratisch legitimierte Vertreibung" der einheimischen Bevölkerung nicht gefallen lassen. Man brauche einen gesellschaftlichen Dialog, in welche Richtung es in München weitergehen soll. Entsprechend kämpferisch schloss Bichler seinen Einstiegsvortrag: "Die Stadt hat einen langen Atem, aber wir auch!"

Christian Hierneis, Vorsitzender des Bund Naturschutz und umweltpolitischer Sprecher der Grünen im Landtag, stellte in seiner Präsentation klar, dass man den Zielkonflikt zwischen dem Wunsch nach bezahlbarem Wohnraum und dem Erhalt der Natur lösen müsse. Dieser sei jedoch nur durch einen Annäherungsprozess zu erreichen. Laut einer von Bund Naturschutz in Auftrag gegebenen, wissenschaftlichen Untersuchung sei die Bebauung von 90 Hektar und die Ansiedlung von 10.500 Menschen möglich, andernfalls seien massive negative Folgen zu erwarten.
Eine grundsätzliche Lösung des Konflikts sei nur zu erreichen, indem man gleichwertige Lebensverhältnisse auf dem Land und in der Stadt schaffe. "Um dies zu erreichen, muss die Politik aber endlich handeln und eine Gesamtstrategie entwickeln!", resümiert Hierneis.

Robert Brannekämper, Vorsitzender des Planungsausschusses im Bezirksausschuss Bogenhausen und Minister des Landtags für die CSU, setzte in seiner kämpferischen Rede auf plakative Bilder und Zahlen. Er sprach von einem "städtebaulichen Albtraum" und von "Gigantismus", den sich die Bevölkerung verständlicherweise nicht gefallen ließe. 30.000 Menschen seien einfach viel zu viel, eine geringere Dichte würde nun aber auf Initiative seiner Partei im Ideenwettbewerb geprüft. "Schließlich muss man sich in die vorhandene Struktur mit den alten Ortskernen und der besonderen Kulturlandschaft einpassen", so Brannekämper. Auch die Untertunnelung der S-Bahn müsse zunächst einmal vorangetrieben werden, schließlich ersticke der Münchner Nordosten bereits jetzt schon im Verkehr. Sein Plan: Erst die Infrastruktur erweitern, dann in kleinen Bereichen planen und bauen. Für Brannekämper funktioniert Stadtentwicklung nur mit den Bürgern und nicht gegen sie.

Dass Alexander Reissl, Franktionsvorsitzender der SPD, und Befürworter der Städtebaulichen Entwicklungsmaßnahme (SEM), bei dieser Veranstaltung eine schwere Aufgabe haben würde, war sicherlich von Anfang an klar. So ist vielleicht auch Reissls Gefühlsausbruch auf Brannekämpers Vortrag zu erklären, indem er den CSU-Politiker ermahnte, doch endlich damit aufzuhören, "Unsinn" zu reden. Schließlich wolle man mit der SEM niemanden vertreiben. Dennoch stellte Reissl klar, dass man an der SEM als Planungsinstrument festhalten wolle. "Man kann eine so große Fläche nicht nur mit Bebauungsplänen überplanen!" Außerdem könne man nur mit der SEM bezahlbaren Wohnraum schaffen. Würde der Quadratmeter Bauland wie auf dem freien Markt üblich 4.000 bis 5.000 Euro kosten, gebe es nur teure Wohnungen.
Zum Thema S-Bahn-Tieferlegung und der Forderung diese voranzutreiben, stellte Reissl fast schon trotzig fest: "Das plant nicht die Stadt, sondern die Bahn!"

Unterstützung erfuhr Alexander Reissl lediglich von Katrin Habenschaden, Fraktionsvorsitzende der Grünen, die um ausgleichende Worte bemüht war, sich jedoch lange davor scheute, klar Stellung zu beziehen. Doch der Moderator der Veranstaltung, Tilmann Schöberl, ließ nicht locker, sodass die rhetorisch geschickte Politikerin zugeben musste: "Wir wollen bezahlbaren Wohnraum schaffen und dafür ist die SEM das richtige Instrumentarium." Man wolle allerdings weniger Fläche versiegeln, könne sich jedoch höhere Gebäude mit fünf bis sieben Stockwerken vorstellen.

Vor allem die Daglfinger und Johanneskirchner Landwirte sehen sich von der SEM in ihrer Existenz bedroht und machten ihrem Unmut bei der Infoveranstaltung Luft.
Zum Hintergrund: Seit dem Start der SEM 2008 wurden die Bodenpreise eingefroren, um Grundstücksspekulationen vorzubeugen. Den Landwirten wurden 10 bis 12 Euro pro Quadratmeter für ihre Äcker geboten - "ein Preis der einer Enteignung gleich kommt", so deren Meinung. Außerdem sei man an einem Verkauf der Flächen ohnehin nicht interessiert, wolle den landwirtschaftlichen Betrieb in gewohnter Weise weiterführen. Schließlich sei die Landwirtschaft kein Beruf, sondern ein Leben. Darin sind sich die Landwirte Martin Wiesheu aus Johanneskirchen und Hans Oberfranz aus Daglfing einig. Vor allem die Familie Oberfranz "hat den Glauben an die Politik verloren" und große Angst um ihre Existenz. Andere Landwirte geben sich kämpferisch und stellen fest: "Sie haben ja noch gar keine 600 Hektar und für die aufgerufenen Preise verkauft sowie so keiner."
Trotz des massiven Gegenwinds versuchte Reissl die Situation zu klären, indem er erklärte, warum an der SEM festgehalten werden müsse: "Wir wollen keine Spekulationen zulassen und müssen aus dem Wertzuwachs, die nötige Infrastruktur bezahlen." Mögliche Überschüsse würde man dann anteilig an die Grundstückseigentümer zurückzahlen. Wie hoch diese seien, könne aber noch nicht prognostiziert werden.

Geht es nach den Wünschen der CSU würde der Münchner Nordosten mit städtebaulichen Verträgen und den Vorgaben der sozialgerechten Bodennutzung (Sobon) planungsrechtlich entwickelt. Manuel Pretzl, 2. Bürgermeister und Franktionsvorsitzender der CUS, stellte fest: "Wir müssen die SEM beerdigen, das Vertrauen ist weg. Außerdem brauchen wir zügig Wohnungen und nicht erst 2037/38 wenn die S-Bahn im Tunnel ist." Er plädierte für kooperative Modelle, schließlich sei eine Entwicklung nur mit den Bürger möglich."

Der vom Stadtrat beschlossene Ideenwettbewerb beginnt am 16. März mit einer öffentlichen Veranstaltung: Dort sollen die Bürger die Möglichkeit bekommen, ihre Ideen zur Entwicklung des Münchner Nordostens einzubringen. Für die Grundstückseigentümer ist eine extra Informationsveranstaltung im Frühjahr geplant. Erste Zwischenergebnisse sollen im Sommer vorliegen. Anfang nächsten Jahres, also noch vor der Kommunalwahl, möchte man die Ergebnisse des Wettbewerbs präsentieren. Andrea Hinze

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