Veröffentlicht am 20.01.2025 12:27

„Unser wichtigstes Ziel ist, dass alle eine gute Beschäftigung haben”


Johannes Beetz
Johannes Beetz
Chefredakteur
seit 1999 bei der Gruppe der Münchner Wochenanzeiger
Mitarbeit im Arbeitskreis Redaktion des Bundesverbands kostenloser Wochenzeitungen (BVDA)
Gewinner des Dietrich-Oppenberg-Medienpreises 2017 (Stiftung Lesen)
Philippa Sigl-Glöckner: „Wir können all die Investitionen in Bildung, in Integration, in Beschäftigung gut tätigen.” (Foto: job)
Philippa Sigl-Glöckner: „Wir können all die Investitionen in Bildung, in Integration, in Beschäftigung gut tätigen.” (Foto: job)
Philippa Sigl-Glöckner: „Wir können all die Investitionen in Bildung, in Integration, in Beschäftigung gut tätigen.” (Foto: job)
Philippa Sigl-Glöckner: „Wir können all die Investitionen in Bildung, in Integration, in Beschäftigung gut tätigen.” (Foto: job)
Philippa Sigl-Glöckner: „Wir können all die Investitionen in Bildung, in Integration, in Beschäftigung gut tätigen.” (Foto: job)

Philippa Sigl-Glöckner studierte Philosophie, Politik und Ökonomik an der Universität Oxford und ist Gründungsdirektorin der Denkfabrik „Dezernat Zukunft – Institut für Makrofinanzen”. Sie beriet das liberianische Finanzministerium und arbeitete im Bundesministerium der Finanzen; seit 2020 gehört sie dem Wirtschaftspolitischen Beirat der SPD an. Zur Bundestagswahl am 23. Februar tritt die 34-Jährige als Direktkandidatin der SPD im Münchner Norden an. Sie sprach mit Johannes Beetz über ihre Vorstellungen.

„Man muss Geld in die Hand nehmen”

Ihr zentraler Slogan ist „Weil es um unser Geld geht” - Sie wollen die deutsche Finanzpolitik modernisieren, u.a. mit einer „vernünftigen Schuldenregel”. Können Sie diese kurz erklären?

Philippa Sigl-Glöckner: Jeder von uns hat mit Geld zu tun und weiß, dass man manchmal Geld in die Hand nehmen muss, damit mehr zurückkommt – dass man investieren muss. Das geht mit der Schuldenbremse nicht, denn sie sagt pauschal: Weniger Schulden sind besser. Wir brauchen stattdessen Regeln, die es der Politik erlauben, alles dafür zu tun, dass möglichst viele Menschen Arbeit haben. Dann haben wir gute Steuereinnahmen und niedrige Sozialausgaben. Und dann läuft's auch im Bundeshaushalt!

„Soviel verdienen, dass es reicht”

Sie möchten dazu beitragen, dass genug Geld für alles Wichtige da ist und dass weniger Geld in nicht Sinnvolles fließt. Wofür möchten Sie mehr Geld ausgeben, wofür weniger?

Philippa Sigl-Glöckner: Bei uns in München brauchen wir mehr Geld für bezahlbare Wohnungen, Kitas, Schulen und die Integration. Wir sollten hart daran arbeiten, weniger für Sozialleistungen auszugeben – aber nicht durch Kürzungen, sondern durch eine Wirtschaftspolitik, die mehr Menschen in Beschäftigungen bringt, von der sie selbst gut leben können.
Nehmen Sie die Rente: Wir sollten dafür sorgen, dass die Menschen während ihres Berufslebens so viel verdienen, dass ihre Renten später zum Leben reichen. Dann braucht es weniger Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt.

„Es gäbe eine sehr gute Lösung”

Zentrales Thema nicht nur in München sind die steigenden Miet- und Wohnkosten – ein bislang offenbar unlösbares Problem. Haben Sie eine Lösung?

Philippa Sigl-Glöckner: Ja. Zum einen brauchen wir mehr bezahlbare Wohnungen. Die könnte unsere kommunale Wohnungsbaugesellschaft, die Münchner Wohnen in noch größerem Umfang bereitstellen. Dazu fehlt ihr aber derzeit das Geld. Es gäbe für das Problem eine sehr gute Lösung: Die Bundesregierung könnte einen kreditfinanzierten Fonds für kommunalen Wohnungsbau auflegen und damit auch der Münchner Wohnen günstiges Geld zur Verfügung stellen. Ein solcher Fonds müsste nicht unter die Schuldenbremse fallen. Wir haben das in den letzten Jahren vorgeschlagen. Das Finanzministerium unter Herrn Lindner wollte das nicht machen, weil er Schulden generell ablehnt. Zum anderen: In München haben wir viele Wohnungen, die als Investitionsobjekte nicht bewohnt werden. Diese könnte man besteuern, als wären sie vermietet, damit die Eigentümer sie nicht länger leerstehen lassen – in der Schweiz macht man das so.

„Die Arbeit in den Mittelpunkt”

Viele Menschen haben Angst vor dem sozialen Abstieg; Perspektiven sind nicht mehr so deutlich sichtbar. All diese Kämpfe hat die Sozialdemokratie wie keine andere schon mal erfolgreich für die Bürger ausgefochten. Warum tut sich die SPD trotzdem so schwer, wieder mehr Wähler für sich zu gewinnen?

Philippa Sigl-Glöckner: Eigentlich müsste es das goldene Zeitalter der SPD sein. Denn das, was wir für wichtig halten, gilt spätestens seit der Finanzkrise auch ökonomisch als richtig: Ein hohes Beschäftigungsniveau, gute Löhne und begrenzte Ungleichheit. Dass der Markt das von alleine, von Zauberhand regelt, glauben nur noch die allerwenigsten. Auch die meisten Ökonomen sind heute für einen Staat, der den Markt im Interesse der Gesellschaft gestaltet, der investiert und aktiv daran arbeitet, das es gute Jobs gibt. Leider sehen zu viele die SPD derzeit fälschlicherweise nicht als Partei der Arbeit, sondern als die Partei der Sozialhilfe. Wir sollten daher die Arbeit wieder in den Mittelpunkt stellen, dafür ist die SPD da; als Arbeiterpartei seit 1863. Und wir müssen die Menschen ganz dringend davon überzeugen, dass wir die Dinge, für die wir stehen, auch hinbekommen.

„Schritte in die richtige Richtung”

Trotz aller Herausforderungen sind wir aber immer noch eines der am besten aufgestellten Länder. Was läuft in Ihren Augen besonders gut?

Philippa Sigl-Glöckner: Wir sind das Land der Erfinder und Ingenieure und das Land des Handwerks. Das machen wir verdammt gut und haben eine solide Basis. Wir haben robuste politische Institutionen und trotz allem einen handlungsfähigen Staat. Manchmal übersehen wir die Erfolge: So ist etwa der Bau von Windrädern und Solaranlagen viel schneller geworden, weil die Bundesregierung zahlreiche Planungsschritte beschleunigt hat. Das sind Schritte in die richtige Richtung, die wir auch in anderen Bereichen hinbekommen müssen.

„Das muss jeder akzeptieren”

„Wir sind weltoffen, aber nicht naiv“, sagen sie im Hinblick auf Migration. Das heißt konkret, dass …?

Philippa Sigl-Glöckner: Es gibt drei Prinzipien:

  • Jeder, der hier ist, arbeitet: Das müssen wir als Staat möglich machen und können es dann auch von jedem erwarten.
  • Wir brauchen für alle Wohnungen und Schulen - sonst gibt es Knatsch.
  • Wir sind und waren immer eine Einwanderungsgesellschaft. Ich finde, das ist gut für uns, nicht nur, weil Zugezogene dafür sorgen, dass es im Krankenhaus genug Pfleger gibt und sie helfen, unser Rentensystem zu stabilisieren. Aber wenn jemand mit bösen Absichten kommt, müssen wir in der Lage sein zu handeln.

Ein funktionierender und wehrhafter Rechtsstaat ist wichtig für eine offene, liberale Gesellschaft. Ihn sollte man durchsetzen und sich auf neue Bedrohungslagen gut einstellen. Und die grundlegenden Prinzipien, auf denen unser Land aufgebaut ist – z.B. Wahlen und Gleichberechtigung – muss jeder akzeptieren.

„Wir könnten es besser machen!”

Wenn Sie eine Sache sofort für immer ändern könnten, welche wäre das?

Philippa Sigl-Glöckner: Ich würde die Schuldenregel im Grundgesetz ändern, weil die uns bei allem im Weg steht. Weniger „schwäbische Hausfrau”, mehr Münchner Kauffrau! Wir müssen die notwendigen Ausgaben erlauben. Im Münchner Norden werden wir stark wachsen – dann muss man auch etwas tun, damit das „Kleidchen”, also die Infrastruktur, mitwächst! Wir haben einen „Sechser im Lotto”: Investoren weltweit wollen deutsche Staatsanleihen kaufen. Wir können also all die Investitionen in Bildung, in Integration, in Beschäftigung gut tätigen. Es ist unnötig, sich das selbst zu verbauen! Die Welt ist voller Herausforderungen, vieles ist kompliziert. Aber beim Geld könnten wir es offensichtlich besser machen!

„Dafür kann der Staat gut sorgen”

Die Klimaerwärmung schreitet voran, wir tun viel zu wenig dagegen. Welche Schritte sind nötig und wie können sie gelingen, ohne die Menschen – insbesondere die geringer Verdienenden – finanziell zu überfordern?

Philippa Sigl-Glöckner: Das hängt sehr von der Infrastruktur ab: Haben wir Erneuerbare Energie? Haben wir die Netze für Fernwärme? Gibt es ein vernünftiges Ladenetz für E-Autos? Diese Infrastruktur muss einfach und bezahlbar bereitstehen, damit jeder sich klimaneutral verhalten kann. Dafür kann der Staat eigentlich ganz gut sorgen.

„Das ist unsere Priorität”

Sie sagen: „Es braucht mehr Netto vom Brutto.” Warum hat die SPD-geführte Ampel in den letzten Jahren nicht schon dafür gesorgt und wie soll's jetzt was werden?

Philippa Sigl-Glöckner: Die Bundesregierung hat es ja gemacht – z.B. mit der 3.000-Euro-Inflationsprämie. Das hat in der Krise sehr geholfen. Was die Bundesregierung nicht gemacht hat, ist die Änderung bei der Einkommenssteuer. Das Finanzministerium hatte definitiv andere Prioritäten als die Mehrheit der Erwerbstätigen zu entlasten. Wir als SPD sehen das klar anders. Unser Vorschlag zur Einkommenssteuer entlastet 95 Prozent der Erwerbstätigen. Dafür setzen wir uns weiter ein. Das ist unsere Priorität.

„Es ist kein Entweder-Oder”

1995 haben NATO-Länder die Belagerung Sarajevos und den Bosnienkrieg mit militärischen Mitteln beendet.Wir haben bitter lernen müssen, dass Frieden manchmal nur mit Waffengewalt erreicht werden kann. Welche Linie vertreten Sie in Hinblick auf den russischen Krieg gegen die Ukraine?

Philippa Sigl-Glöckner: Das ist ein völkerrechtswidriger Krieg. Es kann nicht sein, dass Grenzen einfach von einem mächtigen Land durch Waffengewalt verschoben werden sollen. Dieser Wahnsinn hat unendliche viele Opfer. Daher sollten wir alles dafür tun, dass er so schnell wie möglich endet. Putin könnte das jederzeit tun, indem er Truppen zurückzieht und die Angriffe einstellt. Damit er das tut, ist unsere Unterstützung der Ukraine wichtig. Wir müssen diese Unterstützung durchhalten und dabei die Gesellschaft bei uns zusammenhalten. Das ist nicht immer leicht: Ich treffe aktuell einige Menschen, die Sorge haben, dass ihre Rente in die Ukraine geht, es ein Entweder-Oder ist. Deshalb möchte ich hier klar sagen: Das ist es nicht. Wenn klar ist, dass wir unsere Unterstützung lange durchhalten, kann man darauf hoffen, dass es Putin zum Einlenken bewegt. Seine Achillesferse ist die Wirtschaft, die könnte es ihm sehr schwer machen. Ich bin dafür, die Ukraine weiter auch mit Waffen zu unterstützen – besonnen, aber entschlossen. Wenn wir da schlafen, bekommen wir ein richtiges Problem.

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