Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat die Rechte der Bürger gegen die Belastung durch Feinstaub gestärkt. Nach dem EUGH-Urteil aus der vergangenen Woche können Bürger ihre Gemeinden zwingen, Aktionspläne gegen eine zu hohe Feinstaubbelastung aufzustellen. Dem Urteil lag eine Klage des Münchners Dieter Janecek zugrunde, der sich mit Unterstützung der Deutschen Umwelthilfe (DUH) seit mehr als drei Jahren gegen die Überschreitung der EU-weit gültigen Feinstaubgrenzwerte in seiner Wohnstraße, der Landeshuter Allee, wehrt. „Absofort gibt es europaweit ein Recht auf saubere Luft, das jede und jeder in betroffenen Städten und Ballungsräumen einklagen kann. Dies wird nachhaltige Folgen haben, insbesondere für die Verkehrplanung“, erklärt Janecek.
Der Grünen-Politiker hatte zunächst durch alle Instanzen bis zum Bundesverwaltungsgericht geklagt, um den Freistaat Bayern zu verpflichten, einen Aktionsplan zur Feinstaubbekämpfung für das Stadtgebiet der Landeshauptstadt München aufzustellen. In diesem Aktionsplan sollen alle Maßnahmen enthalten sein, die erforderlich sind, um den Grenzwert so schnell wie möglich einzuhalten, damit die maximal zugelassenen 35 Überschreitungen des festgelegten Wertes von 50 Mikrogramm Feinstaub pro Kubikmeter Luft pro Jahr eingehalten werden. „Wir brauchen gerade in München ein Reduktionsziel für den Individualverkehr“, betont Janecek. „So ist es durch die schrittweise Ausweitung der Parkraumbewirtschaftung und Steigerung des Fahrradverkehrs auf 20 Prozent wie in Skandinavien zum Beispiel durch die Ausweisung von Fahrradstraßen, Ausbau Radwegenetz möglich, den Verkehr in der Innenstadt insgesamt zu reduzieren.“ Auch Carsharing sei für viele zunehmend eine Alternative. „Die Umweltzone wird sicher von manchen als ungerecht empfunden, aber auch sie muss schrittweise verschärft werden, damit wir endlich die Grenzwerte in München einhalten und die Gesundheitsbelastung für tausende von Bürgerinnen und Bürgern senken“, betont der 31-Jährige.
Der Präsident des Deutschen Städtetags und Münchner Oberbürgermeister Christian Ude nahm das EuGH-Urteil zum Anlass, um namens der deutschen Städte erneut von der europäischen wie auch der nationalen Ebene zu fordern, “das Übel endlich an der Wurzel zu bekämpfen und nicht nur dort, wo die Auswirkungen am schlimmsten in Erscheinung treten”. Wenn die europäischen und die nationalen Politiker die Feinstaubbelastung reduzieren wollen, was aus Gründen des Umwelt‑ und Gesundheitsschutzes nur zu begrüßen sei, müsste “die Gesetzgebung endlich an den Quellen ansetzen und die schlimmsten Umweltsünder unter den Fahrzeugen aus dem Verkehr ziehen und verträgliche Standards durchsetzen”.
Bergüßt wird das Urteil des EuGH von der Stadtratsfraktion „Die Grünen – rose liste“. Stadträtin Sabine Nallinger bewertete das Urteil als „Sieg für die Umwelt und für die Bürgerrechte in Europa“: „Die Bürger haben ein Recht auf saubere Luft – und sie haben jetzt auch das Recht, die Verantwortlichen zum Handeln zu zwingen. Für die Stadt München, so Nallinger, bedeute das Urteil, dass schneller und konsequenter gehandelt werden müsse. In einem Antrag fordert die grüne Fraktion die Ausweitung der Umweltzone auf das gesamte Stadtgebiet bis 2010 und eine Verschärfung der zur Einfahrt berechtigenden Standards.
Keinen Handlungsbedarf sieht dagegen Bayerns Umweltminister Otmar Bernhard: „In allen bayerischen Städten mit Überschreitung der zulässigen Tagesmittel bestehen bereits Aktionspläne mit konkreten Maßnahmen zur Reduzierung der Feinstaubbelastung“, betont der CSU-Politiker. Aber lokale und regionale Maßnahmen allein können nach den Worten Bernhards das Problem nicht lösen. Für die Einhaltung der Grenzwerte seien weitere Maßnahmen erforderlich. So wäre beispielsweise die Europäische Union bei der Fortschreibung LKW-Abgasgrenzwerte gefordert. „Die EU muss den Mitgliedstaaten das Handwerkszeug mitgeben, damit die Grenzwerte eingehalten werden können“, so Bernhard.
Zur Prozessniederlage des Freistaats Bayern erklärt der Münchner Oberbürgermeister, der Freistaat hätte sich diese Auseinandersetzung ersparen können, wenn er wie von der Stadt München gefordert den Aktionsplan mit konkreten Maßnahmen früher aufgestellt hätte. Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs, dass unmittelbar betroffene EU‑Bürger bei den zuständigen nationalen Behörden die Erstellung eines Aktionsplans erwirken können, betont nach Ansicht des Städtetags, “dass die Grenzwerte nicht unverbindlich auf dem Papier stehen, sondern tatsächlich zwingende Vorgaben sind”
Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs, Gemeinden zum Aufstellen von Aktionsplänen zur schrittweisen Verringerung der Feinstaubbelastung zu zwingen begrüßt auch der FDP-Fraktionsvorsitzender im Rathaus Michael Mattar. Nach eigenen Angaben bleibt die Münchner FDP aber dabei und fühlt sich vom Europäischen Gerichtshof bestätigt, dass die Einführung der Umweltzone zum 1. Oktober 2008 in München keine geeignete Maßnahme darstelle. Mattar fordert die Stadt auf, „endlich eine vorsorgende Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben: wenn Wetterlagen mit hohen Feinstaubbelastungen drohen, soll die Stadt die Bürger auffordern, von Auto, vor allem nicht notwendige, abzusehen.“
Laut Ude habe die Stadt München bereits neben den Vorhaben des Luftreinhalteplans Maßnahmen ergriffen, um die Feinstaub‑Belastung kurzfristig zu senken. So wurde die Brennstoffsatzung für den Einsatz emissionsarmer Brennstoffe verschärft und Anfang Februar 2008 ein Transitverbot für LKW eingeführt, dem ab 1. Oktober 2008 die Umweltzone innerhalb des Mittleren Rings folgen wird. Im ersten Halbjahr 2006 lag die Zahl der Überschreitungstage an der Landshuter Allee nach Angaben der Landeshauptstadt bei 61, im Jahr 2007 bei 20 und 2008 bei 33. Dies macht nach Udes Ansicht deutlich, “welchen gewaltigen Einfluss die Wetterbedingungen auf die Zahl der Überschreitungstage haben”.
Die Landshuter Allee in München zählt nach den Veröffentlichungen des Umweltbundesamtes (UBA) zu den bundesweit am stärksten belasteten Straßen. Gegenwärtig liegt sie auf Platz sechs der UBA-Liste. Feinstaub gilt als das derzeit schwerwiegendste Luftreinhalteproblem in Deutschland und geht entlang der am höchsten belasteten Hauptverkehrsadern vor allem auf die Emissionen von Pkw- und Lkw-Dieselmotoren zurück. Untersuchungen der Weltgesundheitsorganisation WHO hatten ergeben, dass in Deutschland insgesamt 75.000 Menschen vorzeitig an der Feinstaubbelastung sterben. Im Durchschnitt verlieren die Opfer zehn Jahre ihrer Lebenszeit.
„Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs ist der Durchbruch im Kampf gegen das Feinstaubproblem. Viele hunderttausend vom Dieselruß betroffene Bürger in den Ballungszentren Deutschlands und darüber hinaus können bald aufatmen”, kommentiert Jürgen Resch, der Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe e. V. (DUH), den Richterspruch. „Die DUH wird auf Basis dieser Grundsatzentscheidung nun in ausgewählten Kommunen Eilverfahren zur beschleunigten Durchsetzung wirksamer Verkehrslenkungsmaßnahmen initiieren“. In besonders belasteten Städten und Ballungsräumen wie Stuttgart, München und in Nordrhein-Westfalen werde die DUH Musterklagen betroffener Bürger unterstützen. Für Diesel-Pkw und Lkw ohne grüne Plakette rechnet Resch schon für 2009 mit Fahrverboten.