Johanna Welin könnte eigentlich schon jetzt, im Alter von 28 Jahren, eine Biografie schreiben. Sie hat schon mehr erlebt als viele Menschen in einem ganzen Leben. Und was sie vor etwa einer Woche erreicht hat, toppt alles bisher Dagewesene:
Die gebürtige Schwedin, die seit fünf Jahren in München wohnt, derzeit in Obergiesing nahe des Grünwalder Stadions, holte mit der deutschen Rollstuhl-Basketball-Nationalmannschaft der Damen die Goldmedaille bei den Paralympics. Das ist das Größte, was man in seiner Karriere erleben kann, sagt Welin, die von kleinauf eine Sportlerin war, die sich vor allem durch eines auszeichnete: Ehrgeiz.
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Geboren wurde Welin in Pajala, einer kleinen Gemeinde in der schwedischen Provinz Norrbotten, etwa 100 Kilometer nördlich des Polarkreises. Früh begann sie, Fußball zu spielen. Mit ihrem Verein Töreboda IK stieg sie sogar bis in die zweite Liga auf. Die größte Leidenschaft aber gebührte dem Snowboarden und das sollte ihr Leben grundlegend verändern. Im Alter von 20 Jahren verunglückte sie auf einem Big-Air-Contest, seitdem sitzt sie im Rollstuhl davon, Höchstleistungen zu liefern, brachte sie das aber nicht ab. Im Gegenteil.
2006 begab sich Welin auf Reisen. Sie siedelte nach Österreich um, um Deutsch zu lernen. Bereits in dieser Zeit begann sie, für den USC München in Schwabing in der Rollstuhl-Basketball-Bundesliga zu spielen. In ihrer neuen Wahlheimat gehört sie beim USC mittlerweile zu den Stützen der Mannschaft. Johanna ist eine ganz sympathische Sportlerin, eine Kämpfernatur, lobt etwa USC-Präsident Wolfgang Schäfer. Das Team steht vor einer schweren Saison, da unter anderem Nationalspieler Bastian Magenheim (nahm ebenfalls an den Paralympics teil, die deutschen Herren blieben jedoch ohne Medaille) den Verein verlässt. Wir müssen erstmal den Klassenerhalt sichern, gab Welin noch vor ihrer Abreise nach London zu Protokoll.
Mittlerweile ist sie nach zwei Wochen in England zurück. Die Erinnerungen an diese Zeit verdrängen derzeit noch die Gedanken an den Ligabetrieb. Ich kann das alles noch gar nicht realisieren, meint Welin. Die erste Woche in London sei langweilig gewesen, nur Training, Training, Training. Als dann das Turnier startete, sei alles so schnell gegangen jeden Tag ein Spiel und auf einmal standen wir schon im Finale. Bei dem deutlichen 58:44 über Australien im Endspiel seien schon Minuten vor dem Abpfiff beim ganzen Team die Freudentränen geflossen, erzählte die Münchnerin. Dann war Stress pur (im positiven Sinne) angesagt. Empfang im Deutschen Haus, Besuch beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen und natürlich Party ohne Ende.
Nur eines bekamen Welin und ihre Teamkolleginnen gar nicht mit die Wettkämpfe der anderen Sportarten. Freien Zutritt hatten sie nur zur Basketball-Arena. Und als das eigene Turnier vorbei und damit endlich mal Zeit war, auch andere Dinge anzusehen, waren alle Endspiele bereits ausverkauft. Aber die Stimmung im olympischen Dorf war toll, wir haben den Jubel von überall bis dort gehört.
Die Rückkehr von den Paralympics in den Alltag bedeutet für Johanna Welin keineswegs Langeweile. Sie hat ambitionierte Ziele für die kommenden Jahre. Seit zwei Jahren studiert die 28-Jährige Medizin an der TU München. Künftig ist wieder Pauken angesagt. Und natürlich ist eine Paralympics-Teilnahme nicht genug. Das nächste Ziel ist, dass ich in vier Jahren wieder dabei bin. Ich will das unbedingt nochmal erleben, sagt Welin. Dann hätte sie ein weiteres Kapitel für eine mögliche Biographie. Von Jan Lüdeke