Der Freistaat Bayern wird von einem SPD-Ministerpräsidenten regiert. Am 8. Oktober 1957 traf diese Aussage letztmals zu. Der Münchner Oberbürgermeister Christian Ude möchte Wilhelm Hoegner und Horst Seehofer beerben und ist dafür in den Wahlkampf gezogen.
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Sonntag, 15. September, um 18 Uhr. Bis dahin bleibt Ude zuversichtlich und kämpft um jede Stimme. Im Interview mit dem Münchner Samstagsblatt übt der 65-Jährige heftige Kritik an Seehofer und der CSU und spricht von einer positiven Stimmung im SPD-Wahlkampf.
Münchner Samstagsblatt: Die Menschen wenden sich in Ihrer Gesamtheit eher von der Politik ab, das zeigt die mit wenigen Ausnahmen stetig sinkende Wahlbeteiligung. Eine Stimme abgeben heißt auch Vertrauen schenken. Hat die Politik ein Glaubwürdigkeitsproblem in der Bevölkerung?
Christian Ude: Ich warne vor Pauschalurteilen und Pauschalantworten. Glaubwürdigkeit hat immer sehr viel mit den handelnden Personen zu tun. Einerseits gibt es durchaus zahlreiche Persönlichkeiten, die bis ins höchste Alter größtes Vertrauen genießen, ich nenne nur Helmut Schmidt und Hans-Jochen Vogel bei uns oder Richard von Weizsäcker bei der CDU oder die Liberale Hildegard Hamm-Brücher. Andererseits gibt es Superstars, die in kürzester Zeit vom Messias zum Glühwürmchen werden oder zurücktreten müssen, weil sie in die eigene Familienkasse gewirtschaftet haben. Am ehesten ergibt sich Glaubwürdigkeit durch Handeln. Ich wurde seit meinem Amtsantritt als Münchner Oberbürgermeister vor 20 Jahren dreimal wiedergewählt, mit stets steigenden Prozentzahlen. Das zeigt, dass die Bürgerinnen und Bürger Vertrauen haben und mir attestieren, glaubwürdig zu sein.
Was können Sie als Herausforderer des Ministerpräsidenten bewegen, um das Vertrauen der Wähler zu bekommen und zu behalten?
Ude: Mein Wahlslogan, der auch auf Plakaten überall zu sehen ist, lautet »Ein Ministerpräsident, der Wort hält«. Darin steckt ja auch die Botschaft, dass es einen gibt, der Wort hält und einen anderen, der das nicht tut. Verlässlichkeit ist nach meiner Meinung eine Grundvoraussetzung, um Vertrauen zu erzeugen.
Im Wahlkampf wird hart um jede Stimme für den eigenen Erfolg gerungen. Dennoch: Welche Eigenschaften Ihres politischen Gegners Horst Seehofer schätzen Sie oder nötigen Ihnen vielleicht sogar Respekt ab?
Ude: Ich muss anerkennen, dass es Horst Seehofer gelungen ist, den Hühnerhaufen CSU in seiner Amtszeit als Parteivorsitzender wieder etwas zu beruhigen und einige politische Konflikte zu entschärfen, indem er unsere Positionen einfach übernommen hat. Seine Kehrtwenden sind nicht mein Stil, aber er hat erreicht, dass es in der CSU derzeit keine personelle Alternative zu ihm gibt.
Welche Kompetenzen sprechen Sie Herrn Seehofer ab, die es aus Ihrer Sicht unmöglich machen, dass er den Freistaat Bayern weiter als Ministerpräsident regieren kann?
Ude: Horst Seehofer ist ein reiner Machtpolitiker ohne ein erkennbares Wertesystem. Er orientiert sich nur an einem Ziel: dem Machterhalt der CSU. Für die Zukunft des Freistaates Bayern hat er keine Ideen, das »Heimatministerium« kann man ja nicht ernsthaft als Idee gelten lassen. Da fehlt ein klares Leitbild. Bayern hat eine bessere Regierung und einen anderen Regierungschef mehr als verdient.
Wie geht es mit der abflauenden Energiewende weiter? Welche konkreten Maßnahmen planen Sie, wenn es Ihnen gelingt, das Amt des bayerischen Ministerpräsidenten zu erringen?
Ude: Zunächst einmal mache ich Schluss mit dem bisherigen Zick-Zack-Kurs der CSU. Die Energiewende ist die größte Herausforderung der nächsten Legislaturperiode. Die Wirtschaft, die Investoren, die Kommunen und die Bürgerinnen und Bürger brauchen verlässliche Rahmenbedingungen für den Ausbau der regenerativen Energiequellen.
Der Windkraft mal eben, aus einer Laune heraus, buchstäblich den Boden zu entziehen, wie es Horst Seehofer tut, ist unvernünftig und kurzsichtig. Gleichzeitig will seine Regierung die Atomstromproduktion im veralteten Kernreaktor Gundremmingen ausweiten, als hätte es Tschernobyl und Fukushima nie gegeben! Was sind das für Signale? Ist er nun für die Energiewende, wie er immer wieder beteuert, oder sind das nur Lippenbekenntnisse, während er gleichzeitig auf eine Rückkehr zur Atomkraft setzt? Ich stehe für die Energiewende ohne Wenn und Aber und werde einen Zukunftsplan vorlegen, der Verlässlichkeit schafft.
Müssen die Menschen in Bayern und Deutschland doch noch länger mit der Atomkraft leben? Muss die SPD hier Kompromisse eingehen, um Lieferengpässe zu vermeiden?
Ude: Es gibt einen vereinbarten Ausstieg aus der Kernenergie und daran werde ich mich halten. Die Atomkraft ist ein furchtbarer Irrweg. Es handelt sich um eine Technologie, die nicht beherrscht werden kann. Das haben die Katastrophen in der Ukraine und in Japan doch auf schreckliche Weise deutlich gemacht. Die Zukunft liegt in den erneuerbaren Energien. Und wenn Schwarz-Gelb endlich damit aufhört, deren Fortschritt zu behindern, wird der Umstieg gelingen ohne Lieferengpässe oder Energieknappheit. Das sind doch reine Ammenmärchen der Atomlobby, die um ihre Einnahmen fürchtet.
Über 40 Jahre Atomenergie haben bis heute ein schweres Erbe hinterlassen. Können Sie sich grundsätzlich ein atomares Zwischen- oder Endlager in Bayern vorstellen?
Ude: Das ist tatsächlich ein schweres Erbe. Und je länger die Atommeiler noch laufen, desto größer wird die Menge an Strahlungsmüll, für die noch niemand eine Lösung hat. Ich finde es richtig, dass bundesweit nach geeigneten Plätzen für ein atomares Endlager gesucht wird. Angesichts der geologischen Voraussetzungen ist Bayern aber dafür nicht geeignet.
Wie erklären Sie das den Ministerpräsidenten der anderen Bundesländer?
Ude: In diesem Entscheidungsprozess zählt die Kraft der wissenschaftlichen Argumente. Dieser werden sich die anderen Länder nicht verschließen können.
Bayern gehört unter den Bundesländern zu den wohlhabenderen. Dennoch gibt es auch im Freistaat Schulden, Defizite und Unterfinanzierung in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen. Wie würde eine Umverteilung der zur Verfügung stehenden Mittel unter einem Ministerpräsidenten Christian Ude aussehen? Wer muss mit weniger Mitteln zurechtkommen, wer darf auf mehr hoffen? Und warum sähe eine Umverteilung unter Ihnen so aus?
Ude: Ich habe eine klare Zielsetzung. Sie lautet: Bayern ins Gleichgewicht bringen. In der Tat ist es so, dass die CSU mit ihrem miserabel ausgehandelten Länderfinanzausgleich Bayern auf unverzeihliche Weise benachteiligt hat. Darunter leiden wir nun, weil zu wenig Geld in die marode Infrastruktur, in die Straßensanierung und in die Kommunen gesteckt werden kann. Die CSU versucht das zu verschleiern, indem sie vor dem Bundesverfassungsgericht gegen den Länderfinanzausgleich klagt. Dabei hat sie Bayern das selbst eingebrockt. Ich werde den anderen Bundesländern in den Verhandlungen über den künftigen Länderfinanzausgleich klar machen, dass unsere Solidarität Grenzen hat. Und ich werde als bayerischer Ministerpräsident nicht nur die Wachstumskerne wie München oder Nürnberg stärken, sondern auch die seit Jahrzehnten vernachlässigten Regionen. Das wird unsere Heimat insgesamt voranbringen, sie leistungsfähiger und gerechter machen.
Warum hat die SPD einen so schweren Stand in Bayern und was können Sie für die SPD bewegen bzw. haben Sie bereits bewegt?
Ude: Die Schwäche hat historische Gründe, die sich in den 56 Jahren der CSU-Dauerherrschaft noch verfestigt haben. Die Sozialdemokratie ist vor allem in den großen Städten stark. Wir stellen hier die Mehrzahl der Oberbürgermeister. München, Nürnberg, Passau, Aschaffenburg, Bamberg, Coburg, Würzburg sind nur einige der beeindruckenden Beispiele. Schwieriger sieht es auf dem Land aus, wenngleich es auch hier glänzende Ausnahmen gibt und zwar vor allem in Orten mit stark industrieller Prägung, ich nenne nur Penzberg oder Töging oder Weiden in der Oberpfalz. Was mich sehr freut, ist die Motivation der SPD in schwächeren Regionen in diesem Wahlkampf. Ich habe in den vergangenen zwei Jahren ganz Bayern bereist und überall waren die Marktplätze, die Bierzelte, die Bürgerversammlungen bei meinen Veranstaltungen gut gefüllt. Oft habe ich gehört, eine so positive Stimmung habe es seit dem Bundestagswahlkampf 1972 mit Willy Brandt nicht mehr gegeben.
Was erwarten Sie: Wie viel Prozent der Stimmen wird die SPD am 15. September mit dem Spitzenkandidaten Christian Ude auf sich vereinigen können?
Ude: Anders als bei der Bundestagswahl zählt bei der bayerischen Landtagswahl ja nicht vor allem die Zweitstimme. Beide Stimmen werden zusammengezählt, um das Ergebnis im Freistaat zu ermitteln. Ich habe mir vorgenommen, den Stimmanteil der SPD von 2008, der bei 18,6 Prozent lag, zu verbessern. 5 Prozentpunkte mehr traue ich mir zu, habe ich zu Beginn meiner Kandidatur gesagt, und dabei bleibe ich. Ich bin mir sicher, dass am Wahlabend in den Fernsehgrafiken der Balken der SPD nach oben wandern wird. Von Carsten Clever-Rott