Muskelbepackt, Glatze und eine schwarze Sonnenbrille. Gerade einladend wirkt der Wachmann am Tor der Bayernkaserne nicht. Hinter ihm in der Erstaufnahmeeinrichtung in der Heidemannstraße 50 spitzt sich die Situation für Flüchtlinge, Regierung und Stadt immer mehr zu. Momentan sind in der Bayernkaserne 2.200 Flüchtlinge untergebracht. Um die Lage zu entlasten, genehmigte Oberbürgermeister Dieter Reiter die Unterbringung in Garagen und Zelten vorläufig bis Ende Juli.
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An manchen Tagen kommen bis zu 200 Flüchtlinge in München an. »Die aktuell besonders hohen Zugangszahlen stellen alle mit der Unterbringung von Asylbewerbern befassten Stellen vor große Herausforderungen«, erklärt Regierungspräsident Christoph Hillenbrand. Das ist Daoud aus Afghanistan eigentlich egal. Seit zwei Jahren lebt er in Deutschland, denn in seiner Heimat wurde er Opfer religiöser Verfolgung. Er wartet vor der Kaserne auf einen afghanischen Freund, für den er etwas übersetzen soll. Betreten will er die ehemalige Kaserne nicht mehr. Seine eigenen vierwöchigen Erfahrungen halten ihn davon ab. »Es war sehr eng und laut, oft habe ich Gewalt mitbekommen«, erzählt der Afghane. Als der Fotograf ein Bild vor dem Kasernentor mit Daoud aus Afghanistan machen will, stürmt der Wachmann heraus. »Verlassen Sie sofort das Gelände«, herrscht er ihn an. Wenige Tage später ist die Begrüßung ungleich freundlicher.
Mit Liebe und Hingabe führt ein älterer graumelierter Herr vom Kommunalreferat durch das Areal und erklärt einem zuerst einmal den Dschungel an Zuständigkeiten vor Ort. Das gesamte Gelände gehört der Stadt München. Für die Unterbringung der Asylbewerber ist die Regierung von Oberbayern zuständig, die diese Aufgabe an die private Firma Jonas Better Place übertragen hat. Gleichzeitig ist die Stadt für die Jugendhilfe der unter 18-jährigen Flüchtlinge und für die Obdachlosenhilfe zuständig. Die Betreuung übernimmt hier ebenfalls die Firma. Als wäre nicht alles schon kompliziert genug, kommt noch eine Baustelle hinzu. Denn ab 2017 sollen auf dem Gelände der Bayernkaserne 4.000 neue Wohnungen entstehen. Deshalb muss die Stadt gleichzeitig alte Gebäude abreißen und die Flüchtlingsunterbringungen weiter instandhalten. »Eine knifflige Aufgabe«, sagt der Vertreter der Stadt München.
Auf dem Weg durch die Kaserne gewinnt man den Eindruck, dass die zuständigen Stellen diese Aufgabe meistern. Man sieht viele lachende Gesichter, Fußbälle rollen durch die Gegend, und Kinder jeder Herkunft tummeln sich auf dem Gelände. Für die Flüchtlinge stehen Sportplätze und eine Kleidersammlung zur Verfügung. Bunte Bilder zieren Eingänge und Wände der Unterkünfte. Es gibt Gehege für Schafe und Hühner, um einen ländlichen Eindruck zu vermitteln. Außerhalb der Kaserne sieht die Lage anders aus. »Die Kaserne hat die maximale Belegungsgrenze längst überschritten, Menschen müssen in Garagen und Zelten schlafen«, erklärt Angelika Weikert, Mitglied der SPD-Landtagsfraktion.
Steht man vor den genannten Garagen, ist man ein wenig überrascht. Denn bisher wurden diese noch nicht bezogen und gezeltet wird auf dem Gelände ebenso nicht. Beide Optionen gelten als absolute Notreserve. Also alles eitel Sonnenschein? Medien und Politik auf der Suche nach einer Schlagzeile?
Zwei Polizeiwagen fahren vor, sie bringen vier neue Flüchtlinge. »Die Situation ist natürlich bedenklich. Und wir wollen niemanden in Garagen unterbringen. Aber gerade im Sommer kommen viele über die Alpen. Genaue Planungen sind oft unmöglich«, erklärt der Führer durch das Gelände. Für den Bayerischen Flüchtlingsrat ist das Problem des Erstaufnahmelagers schnell erklärt: »Was wir derzeit erleben, ist die Spätfolge einer völlig verfehlten Lagerpolitik.« Nach Meinung des Flüchtlingsrats würden deutlich mehr Flüchtlinge den Erstaufnahmeeinrichtungen zugewiesen, als wieder ausziehen dürften. Die Erstaufnahmeeinrichtungen platzten dann aus allen Nähten, weil die Anschlussunterbringung nicht funktioniere.
In einem offenen Brief hat Oberbürgermeister Dieter Reiter Ministerpräsident Horst Seehofer um schnelle und unbürokratische Hilfe gebeten. Und gleichzeitig betont, dass die Nutzung von Garagen und Zelten nur bis Ende Juli erlaubt sei. Gerade München tut sich bei seiner ohnehin schwierigen Wohnungssituation schwer mit der Unterbringung von Flüchtlingen. Deshalb begrüße der Oberbürgermeister die Errichtung einer Erstaufnahmeeinrichtung in Deggendorf ausdrücklich. Langsam ist es Nacht geworden. Auch in der Kaserne kehrt Ruhe ein. Zum Abschied gibt der Verwalter der Stadt noch einen Wunsch mit: »Ich würde mich freuen, wenn Bürger von außerhalb das Gelände besuchen würden. Jeder kann sich selbst ein Bild machen und schließlich sind das hier unsere Mitbürger von morgen!«
Von Marcus Ullrich