Veröffentlicht am 08.09.2015 00:00

Im Krisenmodus: Die Flüchtlingskrise hat den Landkreis München fest im Griff


Von red

Es waren unvergessliche und rührende Szenen die sich dieser Tage am Münchner Hauptbahnhof abspielen. Viele freiwillige Helfer empfangen die täglich ankommenden Flüchtlingsströme. Kinder bekommen Teddys und Schokolade zugesteckt.

Themenseite: Asylbewerber in München und im Landkreis

Familien fallen sich in die Arme, glücklich nach einer oftmals langen, beschwerlichen und gefährlichen Reise endlich angekommen zu sein. »Es ist wirklich beeindruckend, was die vielen ehrenamtlichen Kräfte, aber auch die Mitarbeiter des Landratsamtes momentan leisten«, lobt Landrat Christoph Göbel die schier unerschütterliche Hilfsbereitschaft im Landkreis. So wurde quasi über Nacht, nach der Ankunft von mehr als 3.000 Flüchtlingen in Bayern, und binnen weniger Stunden im Tennis Center Keferloh acht Hallen als Notunterkunft für über 200 Flüchtlinge hergerichtet. »Ohne den großen Einsatz, Enthusiasmus und Engagement der freiwilligen Helfer wäre das nicht zu stemmen gewesen«, betont der Landrat. Doch viel Zeit zum Verschnaufen gab es für die Helfer nicht. Bereits am vergangenen Wochenende waren die Kapazitäten der Hallen in Keferloh nach der Ankunft weiterer 400 Asylbewerber bereits erschöpft. »Die Verhältnisse ändern sich nahezu stündlich«, erklärt der Landrat. Dementsprechend ist der gesamte Landkreis München schon längst im »Krisenmodus« angekommen.

Ein Moment um kurz Bilanz zu ziehen

Stand Anfang September waren im Landkreis München über 2.400 Asylbewerber untergebracht. Diese verteilen sich auf dezentrale Unterkünften, Gemeinschaftsunterkünfte, Aufnahmeeinrichtungen, Turnhallen und gegenwärtig sechs Traglufthallen in Oberhaching, Grünwald, Taufkirchen,

Unterhaching, Neubiberg und Unterföhring, die jeweils bis zu 300 Menschen Platz bieten. Da die Turnhallen zu Schulbeginn schnellstmöglich geräumt werden sollen, wird momentan fieberhaft nach einem weiteren Standort für eine siebte Traglufthalle gesucht. Das Landratsamt führt hierbei bereits intensive Gespräche mit der Gemeinde Unterschleißheim. Als erstes entsteht jedoch auf dem Bundeswehrgelände eine Traglufthalle des Landkreises als dezentrale Notunterkunft, die voraussichtlich Mitte September in Betrieb genommen wird. Aber: »Weitere Sperrungen der Turnhallen sind für die Zukunft natürlich nicht auszuschließen«, gab Göbel bekannt. Bis zum Jahresende wird sich der Zuzug im Landkreis auf fast 5.400 Menschen mehr als verdoppeln. Im Moment werden dem Landkreis täglich 92 Asylbewerber von der Regierung von Oberbayern zugewiesen. Trotzdem ist man sich im Landratsamt durchaus bewusst, dass die von der Bundesregierung genannte Zahl von bundesweit 800.000 Asylbewerbern bis Jahresende wohl lediglich »die unterste Grenze« markiert. Vielmehr ist von einer noch größeren Zahl an Flüchtlingen auszugehen, als die für Oberbayern geschätzten 42.000 Neuankömmlinge bis zum Jahresende. Dies verdeutlichen auch die Zahlen der letzten Tage. Alleine über das Wochenende und am Montag

kamen über 25.000 Flüchtlinge in München an.

Landratsamt rechnet mit bis zu 9.000

Flüchtlingen

Als interne Planungszahl rechnet der Landkreis München mit 9.000 unterzubringenden Asylbewerbern bis zum Jahre 2016. Zwingend muss man daher auf die Nutzung größerer Projekte setzen. »Noch vor zwei Jahren waren für uns 60 bis 80 Personen in einer Unterkunft die maximal denkbare Zahl«, so Landrat Christoph Göbel. Eine solche Menge an Unterkünften, wie sie jetzt gebraucht würden, zu errichten, übersteigt die Möglichkeiten des Landratsamtes. »Wir schaffen das mit unseren Kapazitäten nicht mehr.« Daher hat der Landkreis ein Mietgesuch veröffentlicht, mit dem Ziel auf diesem Wege genügend hochwertige Unterkünfte von Kommunen oder Investoren anmieten zu können.

Auch die Einrichtung weiterer Gemeinschaftsunterkünfte der Regierung von Oberbayern, wie sie bereits in Höhenkirchen-Siegertsbrunn und Putzbrunn bestehen, ist eine Option. Der große Vorteil: Die Sozialbetreuung wird durch die Regierung organisiert und finanziert. Auf dem Bundeswehrgelände in

Unterhaching wird darüber hinaus eine staatliche Erstaufnahmeeinrichtung entstehen. Dies hat zwar einerseits den Nachteil, dass damit die »gemeindliche Quote« gesprengt wird, der Vorteil aber ist, dass die Menschen nur für kurze Zeit

in einer solchen Einrichtung bleiben, was sowohl die ehrenamtlichen Helfer als auch das Landratsamt entlasten würde. Denn um die allermeisten Belange der Flüchtlinge kümmert sich dort die Regierung von Oberbayern.

»Stabsstelle Asyl« zum 1. Oktober

Dieser enormen logistischen Herausforderung will man personell und organisatorisch begegnen. Um der anhaltenden Flüchtlingsströme Herr zu werden plant das Landratsamt zum 1. Oktober eine »Stabsstelle Asyl« zu schaffen. Hier sollen alle mit der Unterbringung von Asylbewerbern beschäftigte Mitarbeiter tätig sein, um eine effektivere Koordinierung der Aufgaben zu ermöglichen. Ein weiteres erklärtes Ziel ist auch eine Professionalisierung der Helferkreise und der ehrenamtlichen Helfer. Die Stabsstelle Asyl soll dafür als zentrale Anlaufstelle dienen. Außerdem wird das Personal von derzeit 100 auf 150 Mitarbeiter aufgestockt.

Gekommen um

zu bleiben

»Zwei Drittel bis neunzig Prozent der Flüchtlinge aus den Krisengebieten werden dauerhaft bei uns bleiben« ist sich der Landrat sicher. Die Integration soll durch

eine gleichmäßige Verteilung der Flüchtlinge entsprechend der Einwohnerzahlen der Kommunen flankiert werden. Da bei den Flüchtlingsunterkünften allerdings eine maximale Bestands-Dauer von zehn Jahren vorgesehen ist, muss bis dahin eine große Anzahl an bezahlbaren Wohnraum geschaffen werden. Natürlich nicht nur für Flüchtlinge – sondern auch für einheimische junge Familien, Geringverdiener und Senioren, heißt es dazu vom Landratsamt. Derzeit sieht sich der Landkreis München gut aufgestellt. Das liegt vor allem an der großartigen Unterstützung aus der Bevölkerung und der vorbildlichen Zusammenarbeit mit den Kommunen: »Deshalb bin ich überzeugt, dass wir diese gesamtgesellschaftliche Aufgabe auch meistern werden«, zeigt sich Göbel optimistisch.

Mittel- bis kurzfristig führt an einer gesamteuropäischen Lösung des Flüchtlingsproblems jedoch kein Weg vorbei. Auf sich alleine gestellt ist es wohl eine Frage der Zeit, bis die Belastungs- und Kapazitätsgrenzen im Münchner Raum erreicht sind. Stefan Dohl

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