Einstimmig hat sich der Gemeinderat für die Errichtung einer Flüchtlings-Siedlung am Kathi-Weidner-Weg ausgesprochen.
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Ottobrunn · Leserbrief: Zur Flüchtlings-Siedlung am Kathi-Weidner-Weg Artikel vom 17.02.2016
»Ich bin stolz auf unseren Gemeinderat, der sich nicht in Grabenkämpfe verwickeln ließ, sondern am Allgemeinwohl orientiert entschieden hat«, erklärt Ottobrunns Bürgermeister Thomas Loderer (CSU). Leicht habe man sich die Entscheidung nicht gemacht, betont das Gemeindeoberhaupt. Viele Einwände der Anwohner galt es zu berücksichtigen, die am Ende aber nicht zu einem Abrücken von der Entscheidung für den Bau der Siedlung an diesem Standort geführt haben. Die Siedlung soll zunächst Platz für 320 Asylbewerber bieten, eine Aufstockung auf bis zu 416 ist aber im Bedarfsfall möglich.
Bereits im Dezember hatte Bürgermeister Thomas Loderer in »Mein Ottobrunn« die Bürger auf das bevorstehende Vorhaben aufmerksam gemacht. Ein Vorhaben, das für viel Unruhe in der Gemeinde sorgt. Wie Bürgermeister Thomas Loderer in einem Gespräch mit dem Südost-Kurier klar stellte, sei die Gemeinde weder Bauherr noch Betreiber der geplanten Siedlung, sondern stelle lediglich den Platz zur Verfügung. Die Siedlung sei für maximal zehn Jahre geplant. Die Gemeinde gehe im Moment davon aus, dass es bei den 320 Personen an diesem Standort bleibe, so Thomas Loderer.
Einfluss auf die tatsächliche Zahl, die die Gemeinde letztlich aufnehmen müsse, habe man aber nicht, erklärte Ottobrunns Gemeindeoberhaupt. Steigt die Zahl der Flüchtlinge, die der Landkreis unterbringen müsse, so steige auch die Zahl derer, die auf die Gemeinden verteilt werden. Einen Vorstoß hat die Gemeinde beim Bayerischen Gemeindetag (Kreisverband München) bereits unternommen. Gefordert wurde von Ottobrunns Seite, die Summe der aufzunehmenden Asylbewerber nicht alleine an der Zahl der Bewohner, sondern auch nach der Gemeindefläche zu bemessen.
Dieser Antrag scheiterte allerdings am Veto der meisten anderen Bürgermeister. So muss Ottobrunn als am dichtesten besiedelte Gemeinde rund 570 Asylbewerber aufnehmen. Kein leichtes Unterfangen für eine, flächenmäßig gesehen, kleine Gemeinde. Die Siedlung, die am Kathi-Weidner-Weg errichtet wird, stößt vor allem bei den unmittelbaren Anwohnern auf wenig Gegenliebe. Dort befürchtet man die Installation eines »Ghettos, einer No-go-Area«. »Von einem Ghetto kann hier gar keine Rede sein. Die Häuser sind zwar nicht luxuriös, stellen aber eine deutliche Verbesserung zu der Unterbringung in den Traglufthallen dar«, betont Thomas Loderer. Vielfach sieht sich Ottobrunns Rathauschef mit der Kritik konfrontiert im Gegensatz zu manch anderen Gemeinden die Unterbringung von weiteren Flüchtlingen nicht einfach abzulehnen.
Thomas Loderer glaubt indes nicht an die Wirksamkeit des Neins aus den verschiedenen Gemeinden, da das Landratsamt im Notfall auch ohne die Zustimmung der Gemeinden agieren könne, Außerdem gehöre mehr Mut dazu, Ja zu sagen und zu versuchen, die Situation so gut es gehe, mitzugestalten, statt sich mit einem unwirksamen, dafür aber publicityträchtigen Nein zu profilieren. »Bürgerbeteiligung funktioniert hier nicht. Dadurch würde den Bürgern vorgegaukelt, dass sie entscheiden könnten, wie viele Asylbewerber tatsächlich kommen und welche es denn sein sollen. Das ist aber nicht so, das Landratsamt bekommt täglich neue Asylbewerber und muss sie
verteilen.« Er setze aber auf die Umsicht und Erfahrung des Landratsamtes, das für die Belegung der Häuser zuständig sei. Dabei würden die Mitarbeiter natürlich darauf achten, dass sich die Menschen mit ihrem jeweiligen kulturellen und religiösen Hintergrund gut miteinander vertragen.
Dank der guten Betreuung könnten die Flüchtlinge für sich eine Lebensperspektive entwickeln. Je besser dies gelinge, desto weniger bräuchten die Anwohner Angst zu haben. Die Größe der Siedlung sieht Loderer nicht als Hemmnis für die Integration von Asylbewerbern. Vielmehr sei dadurch eine wirkungsvollere Betreuung möglich, da die zuständigen Mitarbeiter, aber auch die Ehrenamtlichen keine Zeit auf dem Wege zu den Menschen verlören, sondern stattdessen ihre Zeit effektiv für zielgruppengerechte Integrationsmaßnahmen nützen könnten.
Gute Erfahrungen habe man mit den zahlreichen Asylbewerbern gemacht, die bislang in der Josef-Seliger-Siedlung, die nun abgerissen würde, untergebracht seien. »Die sind vielen Ottobrunnern nicht einmal aufgefallen«, so der Rathauschef. Bürgermeister Loderer versteht die Ängste der Bewohner, Ängste könne man nicht mit Argumenten begegnen; er akzeptiere aber, dass sie den Druck auf ihn selbst und den Gemeinderat erhöhten, wirklich alles zu tun, damit es zu keinen Fehlentwicklungen kommt. Er setzt weiterhin auf die engagierte Arbeit der Mitarbeiter und Helferkreise, die den Asylbewerbern hier ihren Weg in die Gesellschaft erleichtern sollen. Seine Devise: Fördern und fordern, denn schließlich gehe es darum, asylsuchende Menschen in Arbeit zu bringen und nicht in unsere Sozialsysteme zu integrieren.
Die Anwohner des Kathi-Weidner-Weges können diese Worte indes nicht beruhigen. Die Ängste und Sorgen, wie das Zusammenleben funktionieren soll, bleiben bestehen, finden in Berichten über gewaltsame Auseinandersetzungen von Flüchtlingen untereinander und mit Bürgern neue Nahrung. Im Vorfeld der Entscheidung haben die Anwohner deshalb Unterschriften gesammelt, eine Bürger-Initiative gegründet und einen langen Vorschlagsplan entwickelt, wie die Umsetzung des Vorhabens vor ihrer Haustüre abgewendet oder zumindest abgemildert werden könne, bislang ohne Erfolg. »Wenn es nur Familien wären, die hier untergebracht würden, dann wäre das kein Problem für uns«, betont Ralph Drewello in einem Gespräch mit dem Südost-Kurier.
Bewusst hätten er und seine Frau sich für diesen Standort entschieden, als sie sich in Ottobrunn niedergelassen haben. Seine beiden Töchter und sein Sohn sollten die Möglichkeit bekommen, wenn sie alt genug seien, auch mal alleine in den Landschaftspark zu radeln, um dort die Freizeitmöglichkeiten zu nützen. Jetzt müssten sie direkt an der neuen Asylbewerberunterkunft vorbei, er sei sich nicht sicher, ob er sie dann noch alleine fahren lassen könne, so der besorgte Vater. Er und seine Mitstreiter, mittlerweile 300 an der Zahl, sind enttäuscht, dass sie mit ihren Ängsten alleine gelassen würden. Er verwies an andere Gemeinden, die den Begehrlichkeiten des Landratsamtes die rote Karte entgegenstreckten. Für eine dezentrale Unterbringung sind viele Anlieger des Kathi-Weidner-Weges, ebenso für den Vorschlag, der von Taufkirchner Seite aus gemacht wurde, die Asylbewerber im ehemaligen EADS-Gelände unterzubringen. »Integration statt Konzentration« lautet indes das Motto der Gegner.
Die Vorschläge der Bürgerinitiative fanden keine Zustimmung im Gemeinderat. »Ich befürchte, dass hier eine Ghettobildung stattfinden wird, auch wenn es heißt, dass das natürlich nicht der Fall sein wird. Außerdem beunruhigt mich die Tendenz, dass die Nachbargemeinden wie Hohenbrunn und Taufkirchen ihre Flüchtlingsunterkünfte an ihre Ortsgrenzen verlagern, und wir dadurch in mehrfacher Hinsicht belastet werden« erklärt Heinz Müller. Und weiter: »Wir haben einen Kindergarten direkt um die Ecke. Wir machen uns Sorgen, dass etwas passieren könnte.
Natürlich glauben wir nicht, dass alle Asylbewerber Verbrecher sind, aber es reicht bei dieser Anzahl, wenn nur ein Prozent davon kriminell ist, um großen Schaden anzurichten.« Lars Lehre betont, dass er sich als Bürger in dieser Entscheidung des Gemeinderates nicht vertreten sieht. »Ich hatte das Gefühl, dass die Entscheidung für dieses Grundstück eigentlich schon vor der Diskussion im Gemeinderat gefällt worden ist. Ich finde nicht, dass unsere Argumente ausreichend gewürdigt und unsere Ängste entsprechend ernst genommen wurden. Ich hätte mir eine ergebnisoffene und echte Diskussion mit uns Bürgern gewünscht.« Matthias Hess betont: »Ich wohne auch in der Pöttingersiedlung, bin also Anwohner und möchte mich gegen die geplante Größe der Siedlung aussprechen. Studien belegen die These, dass eine Integration nur erfolgreich sein kann, wenn mehrere Unterkünfte mit deutlich weniger Bewohnern über die ganze Gemeinde verteilt werden.
Ein so großes Wohnviertel hat weder für die Flüchtlinge noch für die Anwohner ein Integrationspotential. Die Vorteile einer umfangreichen Betreuung werden durch die Probleme, die aufgrund der Größe entstehen kompensiert. Die Praktikabilität für die Gemeinde scheint hier einseitig im Vordergrund zu stehen. Wir möchten hier nochmals darauf hinweisen, dass andere Gemeinden im Interesse der Integration mit viel kleineren Unterkünften über die ganze Gemeinde verteilt, planen.« Auch die Ökologie wird ins Feld geführt. »Auf dieser ökologisch höchst wertvollen Brachfläche nördlich des Kathi-Weidner-Weges gibt es ein großes Vorkommen von Wechselkröten und Laubfröschen. Beide stehen auf der Roten Liste Deutschlands, die Wechselkröte ist in Deutschland vom Aussterben bedroht, sogar europaweit bedroht.
Außerdem ist es auch ein sehr wichtiges Gebiet sowohl für seltene Brutvögel wie Bluthänfling als auch für Zugvögel. Es ist nur schwer begreifbar und für mich unverständlich, dass ein so wertvolles Gebiet bebaut werden soll, ohne dass man vorher zwei oder drei alternative Flächen zur Verfügung stellt, die ökologisch keinen so hohen Wert haben und somit dieses wertvolle Gebiet für immer zerstört wird«, informiert Julia Wittmann. Unterstützt wird sie darin auch von Dietrich Schwägerl.
Die Bürgerinitiative plant derzeit eine Vereinsgründung, um Geld für einen Fachanwalt zu sammeln.
Heike Woschée