Unerschrocken standen sie auf dem Marienplatz, Vertreter verschiedener Institutionen wie Grüne, Linke und Bürgerinitiative Haidhausen, und argumentierten weiter gegen den Neubau der zweiten
S-Bahn-Stammstrecke in München, während rund 160 Meter weiter nördlich auf dem Marienhof Horst Seehofer, Alexander Dobrindt, Richard Lutz, Dieter Reiter sowie weitere Vertreter von Deutscher Bahn und Politik den symbolischen roten Knopf zum offiziellen Baustart drückten.
Zweite S-Bahn-Stammstrecke in München Themenseite zur 2. S-Bahn-Stammstrecke (über- und unterirdisch) durch Münchens Zentrum
Zuvor hatten eben jene »Vollstrecker« für den Bau der Stammstrecke argumentiert. Und weil sie die Entscheidungskompetenz in ihren Bereichen haben, kommt sie nun. Eine Abkehr von diesem Weg ist mehr als unwahrscheinlich.
Der Vorstandsvorsitzende der Deutsche Bahn AG, Richard Lutz, nannte die bestehende Stammstrecke eine der am meisten befahrenen Eisenbahnstrecken in Deutschland. 30 Züge pro Stunde und Richtung »mehr geht nicht«, so Lutz. Mit dem Wachstum des Ballungsraums München, der jetzt fast drei Millionen Einwohner zählt, wachsen auch die Anforderungen. Darauf habe man jetzt mit der Realisierung der zweiten Stammstrecke reagiert. Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt bezeichnete sie als »Herzstück des Bahnausbaus« und stellte Kritikern seine Überzeugung entgegen: »Wir glauben an das Projekt.« Die Menschen in München seien am Limit, sagte er: »Sie brauchen jetzt Entlastung.«
Die zweite Stammstrecke soll was die Kritiker nicht glauben diese Entlastung bringen.
Es gab durchaus mehrere Varianten, wie das
S-Bahn-Netz entlastet und verbessert werden kann. Vor allem Nord- und Südring wurden und werden immer wieder ins Gespräch gebracht. Ministerpräsident Horst Seehofer, der sich persönlich für die zweite Stammstrecke stark gemacht hat, sprach von einer offenen Entscheidungsfindung, in deren Verlauf die eigene Haltung immer wieder hinterfragt worden sei. »Wir haben ein ganz hohes Maß an Sorgfalt walten lassen«, erklärte Seehofer und verwies auf die Einbindung der »besten Experten aller Beteiligten«. Das Ergebnis ist die zweite Stammstrecke und »Bayern steht aus Überzeugung uneingeschränkt zu dieser Stammstrecke«. Immerhin fänden schon heute zwei Drittel des gesamten ÖPNV auf bayerischen Schienen in München statt.
Auch Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter, ebenfalls Befürworter der zweiten Stammstrecke äußerte sich zufrieden und voller Zuversicht über den jetzt erfolgten offiziellen Baustart. Die Hauptbauarbeiten werden 2018 beginnen. Dann wird in bis zu 40 Meter Tiefe unter der Innenstadt gebohrt, gegraben und Beton gespritzt. Nicht allein parallel zum Baustart hat es Gegenveranstaltungen gegeben. Die Grünen haben bereits im Vorfeld mit »alternativen Spatenstichen« auf Einzelprojekte zur Stärkung des ÖPNV hingewiesen, darunter die Tram-Nordtangente durch den Englischen Garten, den Ausbau der U5 nach Pasing sowie die Errichtung des S-Bahn-Nord- und des Südrings auf bereits bestehenden Gleisen.
Zweifel an der Effizienz des zweiten Tunnels hat auch das Münchner Forum, ein bürgerschaftlicher Verein, der sich mit Fragen der Münchner Stadtentwicklung beschäftigt. So kritisiert Berthold Maier, Mitglied im Programmausschuss des Münchner Forums und Sprecher des Arbeitskreises Attraktiver Nahverkehr (AAN), der zweite Tunnel würde die Kapazität von derzeit 30 auf dann 33 S-Bahnen pro Stunde und Richtung auf den Stammstrecken erhöhen. Wohlgemerkt: in beiden Tunneln zusammen. Also eine Zunahme um gerade mal drei Züge pro Stunde. Dagegen müssten die Nutzer auf den Außenarmen sogar mit einer Taktverschlechterung rechnen.
Auch das Münchner Forum spricht sich für den
S-Bahn-Nordring und die Tram-Nordtangente aus, allerdings nicht als Alternative zur zweiten Stammstrecke, sondern als Erweiterung der aktuellen Möglichkeiten.
Auch die Bürgerinitiative
S-Bahn-Tunnel Haidhausen hat sich in Stellung gebracht. Bereits eine Stunde vor dem symbolischen Baubeginn machten Mitglieder ihrem Unmut vor dem Rathaus Luft, nannten die Prognosen der Stammstrecken-Befürworter eine Mogelpackung und rechnen mit Kosten von jenseits der vier Milliarden Euro. Bahn und Politik kalkulieren derzeit mit 3,85 Milliarden Euro, einschließlich einer Risikoreserve.
Das Geld, das hier verbaut, oder wie die Haidhauser sagen: versenkt wird, fehle für den Ausbau der S-Bahn im Umland. Die Haidhauser haben sich mit den Planungen um die zweite Stammstrecke intensiv auseinandergesetzt, wird doch ihr Stadtteil wie kein zweiter unter den jahrelangen Bauarbeiten leiden.
All das war am Mittwoch kein Thema, zu schön war der Moment für die Beteiligten, dass es endlich losgeht. Von Carsten Clever-Rott
Zeitplan der Bauarbeiten
2018: Beginn des Voraushubs für den Bau der unterirdischen Stationen (Hauptbahnhof, Marienhof, Ostbahnhof
Beginn der Abbrucharbeiten im Empfangsgebäude des Hauptbahnhofs
2019 2023: Rohbauten der drei unterirdischen Stationen werden erstellt; Bauarbeiten an den Anschlussstationen Laim und Leuchtenbergring
2023 2026: Einbau der technischen Ausrüstung der Stationen und der Strecke