Deutschland als Eldorado für Menschenhandel, Frauenhandel und Zwangsprostitution – dies wurde deutlich in der Gegenüberstellung von Krimi und True Crime beim großen Krimi-Event in der Seidlvilla, organisiert von den
„Mörderischen Schwestern“, Vereinigung der Krimi-Autorinnen zum Weltfrauentag. Fachvorträge, Lesungen, Diskussionsrunden sowie eine abschließende, prominent besetzte Podiumsdiskussion boten ein ebenso informatives wie unterhaltsames Bild zu Kriminalliteratur und True Crime.
Auch wenn der Corona-Virus den Organisatorinnen ein wenig in die Parade fuhr, waren immerhin knapp hundert Besucher beim Krimifestival. Im Halbstundentakt lasen bekannte Krimi-Autorinnen aus ihren Werken, wie beispielsweise Ina May, Anette Hinrichs, Nicole Neubauer, Stefanie Gregg, Ingeborg Struckmeyer oder Jessica Kremser. In den zwei anderen Räumen der Villa wurden gleichzeitig Fachvorträge angeboten.
Bei ihrem Vortrag zu Menschenhandel, Frauenhandel und Zwangsprostitution erläuterte die Leiterin der Frauen-Hilfsstelle Jadwiga Monika Cissek-Evans erschreckende Zahlen und Fakten. Sie erzählte von Frauen, die in dünnen Bordell-Kleidchen am Münchner Bahnhof abgeladen werden, falls sie krank werden oder auch psychisch zu traumatisiert für die Arbeit. Dort lesen die Mitstreiter von Jadwiga sie auf, sagen ihnen oft genug erst, in welchem Land sie sich befinden und kümmern sich um sie.
Dass Deutschland ein Eldorado für Menschenhandel ist, erschreckte die Zuhörer sehr.
Zugleich mit Sachlichkeit und berührender Empathie beschrieb Dr. med. Melanie Büttner, Fachärztin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Traumatherapeutin und Sexualtherapeutin, Fälle und Auswirkungen sexuellen Missbrauchs. Jede 14. Frau hat sexuellen Missbrauch in ihrer Kindheit mit unerwünschten Berührungen erlebt.
Arno Helfrich, Leiter des Kommissariats für Prävention und Opferschutz, stellte in seinem Vortrag die Kriminalitätslage und die Maßnahmen vor, die seitens der Polizei zur Bekämpfung derartiger Straftaten getroffen werden. Er berichtete von den Eingriffen der Polizei bei häuslicher Gewalt. Oft genug, bedauerte er jedoch, zögen die Frauen später ihre Anzeigen wieder zurück. Angst in einer immer wiederkehrenden Machtspirale sei nur schwer zu unterbrechen.
Auch Janet Clark, ehemalige Präsidentin der Mörderischen Schwestern e.V. rüttelte die Zuhörenden auf mit ihrem Vortrag über die nur „gefühlte Parität der Geschlechter“. Eindrücklich erklärte sie anhand von Beispielen und Studien, warum die meisten von uns die Schieflage zwischen den Geschlechtern nicht in Frage stellen. So zum Beispiel, die Diskrepanz bei Hauptrollen in Film und TV, wo laut Malisa-Studie auf 2 Männer nur eine Frau kommt, bei den über 50-jährigen und im Kinderfilm erhöht sich diese Diskrepanz sogar auf 3:1 und im Bereich Moderation auf 4:1. Bei Buch-Rezensionen im Feuilleton kam die Initiative #frauenzählen auf ähnlich Zahlen: 2:1 zugunsten der Männer, im Krimi und Sachbuch rezensieren Männer zu 82% Bücher von Männern. Clark erklärte mit abschließendem kritischen Blick auf den Schulbuchkanon - hier ist das Verhältnis 9:1 - warum die meisten Frauen die Dominanz der Männern in allen einflussreichen Lebensbereichen als Normalität akzeptierten und gab Tipps, wie man sein Bewusstsein schärfen und echte Parität fördern kann.
Zuletzt erörterte eine hochkarätig besetzte Podiumsdiskussion, warum in Krimi und Thriller Frauen in der ewigen Opferrolle stecken und was dies für die Rolle der Frau im realen Leben bedeutet. Hier diskutierten u.a. Juliane von Krause (TERRE DES FEMMES e.V), Judith Merchant (Universitätsdozentin und Krimi-Autorin), Dr. Melanie Büttner (Fachärztin für Psychosomatische Medizin), Arno Helfrich (Münchner Polizei) und der Literaturkritiker Dr. Thomas Wörtche. Einig waren sich die Diskutanten, dass der fiktionale Krimi hier nicht die Realität widerspiegele. Der Kriminalkommissar Helferich verdeutlichte, dass tatsächlich 90% der Gewalttaten an Frauen im Kreis von Familie und Bekannten geschehen. Im Krimi hingegen kommt die sogar oft ausufernde Gewalt meist vom Fremden, vom unbekannten Mann.
Offenbar lesen jedoch gerade Frauen Krimis mit exzessiver Gewaltdarstellung. Ob diese fiktiven Erzählungen den Frauen helfen, ihre Erfahrungen zu verarbeiten, hielt die Traumatherapeutin Büttner für durchaus wahrscheinlich.
Eindringlich warben die Autorinnen Janet Clark und Judith Merchant abschließend für authentische, starke Frauenfiguren im Krimi, Frauen, die nicht Männerrollen in Frauenkleidung übernehmen, sondern ein neues, cooles, nachahmenswertes Heldinnenvorbild schaffen.
Insgesamt ein Krimifestival, das wiederholt werden sollte – beim nächsten Mal hoffentlich ohne Corona-bedingte Dezimierung.