Für die einen sind sie »schwarze Biester«, die die Bevölkerung »terrorisieren«, für die anderen hochintelligente und schützenswerte Tiere, deren Bestand gefährdet ist: Die Saat- und Rabenkrähen, die in einigen Wohngebieten Ottobrunns nisten, sorgen derzeit für mächtig Wirbel in der Gemeinde.
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Nach der Kampagne der »Bürgervereinigung Ottobrunn« (BVO), die sich für die Anliegen lärmgeplagter Anwohner der Rosenheimer Landstraße und der Dunantstraße stark macht und die Krähen-Populationen notfalls per Bürgerentscheid durch Vergrämungen vertreiben will, melden sich jetzt Experten zu Wort: Sie werfen der Freien-Gruppierung Unkenntnis, einseitige Darstellung und eine Verschleierung von Tatsachen vor. Nicht nur die Ruhestörung durch diese Vögel sei laut BVO immens sondern auch der Grad der Verkotung der umliegenden Gärten, Fassaden aber auch Spielplätzen und Grünanlagen. Deshalb haben die Bürger den Plan gefasst, die Vögel in den rund einen Kilometer entfernten Wald abzudrängen.
Allan Buras sind die Saatkrähen, die zur Familie der Rabenvögel (Corvidae) gehören, jedoch ans Herz gewachsen: Regelmäßig unternimmt der Student der Geografie mit Schwerpunkt Ökologie mit Kindern der Grundschule an der Friedenstraße Führungen am Bahnhofswald vor, das als Landschaftsschutzgebiet ausgewiesen ist. Dort erzählt der Ottobrunner ihnen von der Lebensweise dieser Tiere, die sich dort angesiedelt haben. Zum Beispiel, dass sie in großen Kolonien brüten, einen starken Gemeinschaftssinn besitzen und deswegen eine Fülle von sozialen Verhaltensweisen ausgebildet haben und dass ihre Existenz von Anfang an gefährdet ist: So beträgt die Sterblichkeit bei Jungvögeln nach dem Schlüpfen rund 90 Prozent. Die Schüler hörten immer aufmerksam zu, schildert Buras: »Ich bin immer begeistert darüber, was sie alles wissen wollen.« Umso erstaunter war er über die Nachricht, dass ausgerechnet Kinder wie von Bewohnern der Dunantstraße dargestellt unter dem Gekrächze leiden und den Vögeln jetzt den Garaus machen wollen. »Das kann ich mir beim besten Willen nicht vorstellen.« Auch Ingrid Marquardt, die täglich mit dem Fahrrad von der S-Bahn zu ihrer Arbeitsstelle radelt, ist eine leidenschaftliche Beobachterin von Saatkrähen. Die Kolonien an der Dunantstraße sind ihr bestens vertraut, erst kürzlich wurde die gelernte Industriekauffrau Zeugin eines »Flugtermins«: So konnte sie aus unmittelbarer Nähe beobachten, wie die gerade flügge gewordenen Kleinen von ihren Eltern trainiert wurden.
Sie hat Kartierungen von Siedlungsräumen vorgenommen und erst kürzlich wieder vom obersten Stockwerk der Wohnanlage aus Fotos von den Kolonien geschossen. Dass sich die Kinder wegen des Vogelgeschreis nicht mehr in der Schule konzentrieren können, hält sie für ein vorgeschobenes Argument: »Das Gymnasium Ottobrunn wird von drei Saatkrähengruppen mit gut 50 Brutpaaren belagert, trotzdem gehört es zu den besten Schulen weit und breit. Was ist mit den Kindern, die die Krähen ins Herz geschlossen haben und jetzt um ihre Vögel bangen angesichts des Kesseltreibens, das einige Erwachsene veranstalten?« Sie sei erschüttert über die Art und Weise, wie hier Leute versuchten, sich durchzusetzen: »Die Saatkrähen waren vor Jahrzehnten fast ausgerottet. Unsere Gesellschaft hat sich entschieden, diese Vögel zu schützen, und sie haben es mehr als verdient: Sie sind absolut friedfertig und nützlich als Vertilger von Feldschädlingen. Sie sind spannende und soziale Lebewesen.« Die von der BVO und deren Vorsitzender Erika Aulenbach vorgebrachte »Hitchcock-Version«, der zufolge Krähen Menschen angreifen würden, sei ein gerne bedientes Klischée und ein absolut »billiges Mittel der Stimmungsmache«:
»Die Geschichte von Menschen, über die die Krähen hergefallen seien und sie gepickt haben sollen, ist ebenso alt und oft wiederholt wie unglaubwürdig. Saatkrähen sind sehr scheu und vorsichtig, außer sie sind mit bestimmten Menschen vertraut.« Buras gesteht zwar ein, dass die Saatkrähen zu bestimmten Zeiten Lärm machen, doch besonders stark sei es nur in der Brutzeit im April und im Mai. Die Darstellung, wonach das ganze Jahr über Radau herrsche, sei falsch. Nach dem Schlüpfen im Juni sei die »heikle Phase« vorbei. Buras rät den Anwohnern, die sich belästigt fühlen, mit Ohropax zu schlafen. Vergrämungsaktionen brächten nichts, da sich die vertriebenen Vögel gleich wieder an einer anderen Stelle ihre Nester bauen würden. Genau darin aber sieht er das Problem: »Wenn die Vögel vertrieben werden, kann keiner sagen, wo sie sich ansiedeln. Die Jungvögel sind gefährdet, auch sorge ich mich dann um die Reproduktion.«
mst