Der Glühwein auf dem Christkindlmarkt, die Halbe Bier auf der Weihnachtsfeier, das gute Glas Wein zum Festessen: Die Weihnachtszeit scheint untrennbar mit Alkohol verbunden. Ist das ein Problem? Ja – vor allem für alkoholkranke Menschen. Fehlender Alltag, Einsamkeit oder konfliktträchtige Familienfeiern kommen erschwerend hinzu. Die Gemeinschaft der Anonymen Alkoholiker bietet Betroffenen über die Feiertage Hilfe an.
„In meiner Familie war Weihnachten schon immer mit Saufen verbunden”, sagt Thomas. Das ging von der Flasche Schnaps, die in den Punsch reingekippt wurde, bis zum Discobesuch mit der Verwandtschaft, bei dem die Tante am Ende sturzbetrunken vor dem Tresen lag. „Aus der Spaßtrinkerei wurde irgendwann die Frusttrinkerei”, berichtet Thomas. Er verfiel dem Alkohol, musste sich schließlich eingestehen, dass er suchtkrank ist. Etwa 1,6 Millionen Menschen in der Bundesrepublik zwischen 18 und 64 Jahren gelten als alkoholabhängig. Todesfälle in Folge von Alkoholismus gibt es in Deutschland jährlich rund 75.000.
Thomas trinkt nicht mehr, aber geheilt werden kann seine Krankheit nicht. Seit vielen Jahren geht er zu den Meetings der Anonymen Alkoholiker (AA). Die Gemeinschaft ist in den 1930er-Jahren in den USA entstanden und heute weltweit aktiv. Jeder und jede Suchtkranke kann die Meetings besuchen – freiwillig, ohne Voranmeldung, kostenlos und natürlich anonym. Über 3000 AA-Meetings finden jede Woche in Deutschland statt. Geschätzt rund 25.000 Menschen nehmen regelmäßig daran teil. Die Anonymen Alkoholiker bieten zwar keine medizinische Therapie an, aber die Betroffenen wollen sich mit Gesprächen, Meditationen und dem Austausch ihrer Erfahrungen dabei helfen, nüchtern zu bleiben. Das ist eine immense Herausforderung, denn Alkohol lauert an jeder Ecke – nicht nur zur Weihnachtszeit, aber dann eben verstärkt.
Eines kommt vor allem zwischen Heiligabend und Dreikönig noch dazu: „Die normale Alltagsroutine ist ausgehebelt”, erklärt Christoph Hiendl, Facharzt für Allgemeinmedizin und Professor für Gesundheitswissenschaften. Betriebe und Behörden bleiben über mehrere Tage geschlossen, Arbeitnehmer haben länger frei. Alltägliche Abläufe und kontinuierliche Beschäftigungen fehlen oft. „Man hat keine Arbeit und sitzt daheim”, meint Thomas. Den Suchtdruck zu kontrollieren, wird dann für viele Alkoholkranke besonders schwer.
Die gesellschaftlichen Normen und Erwartungen schreiben vor, dass an Weihnachten die Familie zusammenkommt. „Man ist in Zwangsstrukturen gefangen”, beschreibt Professor Hiendl. Wohl jeder weiß aus eigener Erfahrung, dass dabei alte Konflikte aufflammen können. Kommen Wut und Groll hoch, ist der fatale Griff zur Flasche naheliegend. Auch das Gegenteil macht es nicht besser: In einer Stadt wie München, die zahlreiche Single-Haushalte aufweist, ist so mancher über die Feiertage allein zu Haus. Durch Einsamkeit und Selbstmitleid laufen Suchtkranke ebenfalls große Gefahr, erneut einem langjährigen Begleiter zu verfallen – dem Alkohol.
„Keiner soll alleine sein”, lautet daher das Ziel der Anonymen Alkoholiker in München. Und wer es in der eigenen Familie nicht mehr aushält, soll einen „Plan B” an die Hand bekommen. Die Kontaktstelle in der Landwehrstraße 9 (zwischen Hauptbahnhof und Sendlinger Tor) verlängert dafür über die Feiertage ihre Öffnungszeiten: Am Heiligabend, 24. Dezember, hat sie von 19 bis 23 Uhr offen, am 25. und 26. Dezember jeweils von 11 bis 23 Uhr und an Silvester, 31. Dezember, von 19 Uhr bis 2 Uhr morgens. Alkoholkranke und Angehörige können zu den Öffnungszeiten jederzeit in die Kontaktstelle kommen. Der Austausch mit anderen Betroffenen bei einer Tasse Kaffee soll dabei helfen, auch während der kritischen Zeit trocken zu bleiben.
Zwischen Weihnachten und Neujahr finden in der Kontaktstelle insgesamt 33 Meetings statt. Teilweise ist die Teilnahme sogar online möglich, wie bei der täglichen Morgenmeditation um 7.30 Uhr und beim täglichen 19-Uhr-Meeting. Man erreicht die Kontaktstelle unter Telefon 089/555685. Eine Meetingsuche ist möglich unter www.anonyme-alkoholiker.de