„Die städtische Baumbilanz bleibt positiv”, hat die Stadt vor kurzem stolz gemeldet. Im Jahr 2022 seien in München insgesamt 2.710 Bäume auf öffentlichen Flächen neu gepflanzt, aber „nur” 2.550 Bäume gefällt worden. Etwa 22.000 Bäume habe man von 2009 bis 2019 auf städtischen Verkehrs- und Grünfächen neu gepflanzt, gibt das städt. Baureferat an. Der Haken dabei: Die Statistik der Stadt berücksichtigt eben nur öffentliche Flächen, nicht aber z.B. die privaten Grundstücke.
Schon im vergangenen Jahr kam der BUND Naturschutz zu anderen Zahlen: Nach seiner Abschätzung wurden in der Landeshauptstadt zwischen 2011 und 2020 rund 20.000 Bäume ersatzlos gefällt. Das wären 2.000 Bäume jedes Jahr (oder jeden Tag mindestens fünf). Angela Burkhardt-Keller, Baumschutzexpertin des BUND Naturschutz in München, sprach angesichts dieser Zahlen daher nicht von einer „positiven Bilanz” wie die Stadtverwaltung, sondern von einem „konstanten Abwärtstrend”.
Bäume seien besonders in Zeiten einer voranschreitenden Erhitzung der Stadt unverzichtbar und ein sehr gutes Mittel, um als Stadt dem Klimawandel zu begegnen, erklärte Burkhardt-Keller. Sie weiß aber auch: „Der Hauptfaktor für die vielen Baumfällungen dürfte die Nachverdichtung mit Schaffung von Wohnraum sein.” Genau das ist das Dilemma, in dem sich unsere Stadt befindet. Nicht nur das Klima bringt uns in Not, sondern auch der Wohnungsmangel. Bauen ist also durchaus erwünscht. Wo indes ein Bauvorhaben genehmigt wird, müssen oft Bäume weichen. Verhindern lässt sich das nicht so einfach, wie es sich manch einer wünscht: Bürger haben einen Anspruch darauf, dass ihr Bauprojekt genehmigt wird - wenn es sich an Recht und Gesetz hält.
Ende letzten Jahres wurde die Anzahl der Bäume in München erstmals relativ exakt festgestellt. Das Innovation Lab visualisierte mithilfe von künstlicher „Intelligenz” (KI) und einer Luftaufnahme den Baumbestand im Stadtgebiet. Das Ergebnis: Etwa 1,7 Mio. Bäume stehen auf privatem und öffentlichem Grund (zum Vergleich: München hat gegenwärtig fast 1,6 Millionen Einwohner). Darauf weist die Stadtratsfraktion ödp / münchenliste hin. Sie fordert, mit KI eine solide Datenbasis für die Novelle der Baumschutzverordnung zu erhalten. Unter anderem soll dargestellt werden, wie sich der Baumbestand auf städtischem Grund im Vergleich zu Privatgrund entwickelt.
Das Ziel der städtischen Baumpflegemaßnahmen (auch Fällungen zählen als Pflegemaßnahmen) ist es, die Verkehrssicherheit zu gewährleisten und den Baumbestand dauerhaft gesund und artenreich zu erhalten, erklärt das Baureferat.
Bis Ende Februar wurden oder werden beispielsweise am Maximiliansplatz zwei und entlang der Widenmayerstraße vier Bäume gefällt. Im Bavariapark werden vier, im Hirschgarten neun, im Pasinger Stadtpark 15, im Olympiapark 17, im Echardinger Anger 22 und im Westpark 29 Bäume gefällt.
Das Eschentriebsterben ist auch im Stadtgebiet eine besondere Herausforderung. Die erkrankten Bäume verlieren ihre Standsicherheit. Deshalb müssen heuer zum Beispiel in den Isarauen 380 Eschen gefällt werden.
Im Straßenraum greift das Baureferat bei Neupflanzungen gerne auf die Robinie zurück, weil sie gut mit schwierigen Standortbedingungen wie Hitze, Trockenheit oder beengtem Wurzelraum zurechtkommt. Allerdings hat die Robinie eine vergleichsweise geringe Lebensdauer. Deswegen müssen aktuell rund 230 Robinien im Stadtgebiet gefällt werden.
In waldartigen Bereichen der Grünanlagen und in den städtischen Friedhöfen gibt es viele Fichten. Sie sind ausgeprägte Flachwurzler, die besonders unter Trockenheit und Hitze leiden. Durch den Trockenstress werden die Bäume anfällig für den Borkenkäfer. Deshalb müssen aktuell zum Beispiel im Waldfriedhof rund 40 Fichten entfernt werden. Das Baureferat pflanzt hier weniger empfindliche Arten wie Weiß-Tannen, Douglasien oder Laubbäume nach.
Neue Baumstandorte werden mit einem großen Wurzelraum hergestellt. Die Baumgruben befüllt das Baureferat mit speziellem Substrat. In den großzügig dimensionierten Gruben können große Mengen an Niederschlagswasser gespeichert werden, bis zu 12.000 Liter. So steht den Bäumen auch in längeren Trockenperioden Feuchtigkeit zur Verfügung. Dadurch werden bestmögliche Voraussetzungen geschaffen, damit sich die jungen Stadtbäume auch unter schwierigen klimatischen Bedingungen gut entwickeln können.
„Bemerkenswert ist die seit Jahren positive Baumbilanz des Baureferates”, schreibt selbiges in seinem Jahresbericht 2020/21. Diese positive Bilanz, mit der sich die Stadt schmückt, bezieht aber gar nicht auf die ganze Stadt München. Nur ein Teil des Stadtgebiets wird dabei erfasst.
Wie groß (oder leider klein) dieser Anteil ist, hat das Baureferat auf unsere Anfragen bisher nicht verraten. Die Behörde hat nur einige Beispiele genannt, für welche Flächen sie zuständig ist - z.B. Parks, Straßenbegleitgrün und Naturschutzflächen. Diese genannten Flächen machen rund 3.650 Hektar aus - das sind gerade einmal 11 Prozent des Stadtgebiets.