Die Ausstellung zur Sammlung des Autors und Radsporthistorikers Walter Lemke, die am vergangenen Sonntag im Haidhausen-Museum an der Kirchenstraße 24 eröffnet wurde, könnte genauso gut in Lemkes Wohnung stattfinden. Denn obwohl zahlreiche Exponate momentan natürlich im Museum zu sehen sind, quillt das Domizil des 78-Jährigen geradezu über.
In allen Räumen findet man Fotos großer Radrennfahrer, deren Trinkflaschen, die Anzahl unüberschaubar, und rund 2.500 Anstecknadeln von Olympischen Spielen, Radsportveranstaltungen und Radsportvereinen.
Walter Lemke, der in Haidhausen aufgewachsen ist, wohnt heute in der Nähe des Tierparks Hellabrunn. Dort zeigt er mit Begeisterung seine Schätze. Etwa die knallrote Trinkflasche von Jan Ullrich, die der Radrennfahrer nur zittrig signieren konnte. Denn Lemkes Bitte um das Autogramm erfolgte noch auf der Ziellinie einer Etappe der Tour de France. Lemke hatte sich dafür in den für Journalisten reservierten Bereich geschmuggelt.
Die Privatführung in der Wohnung des 78-Jährigen ist garniert mit vielen witzigen Anekdoten, hinreißend dargeboten, weil der Radsporthistoriker dabei gestikulierend in verschiedene Rollen schlüpft: Wenn er etwa über die Begegnung mit der Familie seines großen italienischen Radsportidols Fausto Coppi, der bereits 1960 im Alter von 40 Jahren verstorben ist, erzählt. »Ich wusste, wo die wohnen«, sagt Walter Lemke. Somit war für den rührigen 78-Jährigen mit Kenntnis der Adresse im italienischen Piemont die einzige Hürde überwunden, Coppis Familie zu besuchen. Eines Tages stand er vor deren Haustür. Und wurde von Fausto Coppis Onkel Giuseppe und Faustos Bruder Livio mit offenen Armen empfangen. Und zwar nicht zuletzt deswegen, weil Walter Lemke seit Jahrzehnten ein Medaillon mit einem Porträt von Fausto Coppi um den Hals trägt. Den großen Radrennfahrer selber hat Lemke allerdings nur auf der Strecke gesehen. Überhaupt hat der 78-Jährige gerade an Italien ergötzend kurzweilige Erinnerungen: Carabinieri haben Gnade vor Recht ergehen lassen, als Walter Lemke mit seinem Auto auf dem Weg zu einer Etappe des Giro d Italia einen Unfall baute.
Die italienischen Gesetzeshüter drückten beide Augen zu, als sie im Wagen Lemkes Transparent, das ihn bei jedem Radrennen begleitet, mit der Aufschrift »Coppi è sempre presente« (Coppi ist immer gegenwärtig) fanden. Und schlitzohrig aber unabsichtlich hat der Radsporthistoriker auch hierzulande bei der »Bayern Rundfahrt«, einem Etappenradrennen durch Bayern, auch schon mal den Funkverkehr der Begleitfahrzeuge lahm gelegt. Mit einem verschmitzten Lächeln erzählt Lemke vom Diebstahl einer Schiefertafel, aufgestellt vor einem Wirtshaus am Tegernsee. »Heute fangfrische Forellen« lautete der Hinweis auf die aktuelle Bereicherung der Speisekarte auf dem Schild. Davon erfuhren aber nicht nur die Wirtshausgänger, sondern vor allem die Radrennfahrer auf der Bayern-Rundfahrt-Etappe.
Denn Walter Lemke war bei der Veranstaltung auf der Strecke als »Tafelmann« unterwegs. Als die Person also, die auf einem Motorrad bei den Etappen mitfährt und die Sportler mittels einer Anzeigetafel über zeitlichen Rückstand oder Vorsprung auf das Fahrer-Hauptfeld informiert. Am Tegernsee nun schnallte sich Lemke die Tafel mit dem Hinweis auf frischen Fisch auf den Rücken und fuhr die Strecke ab. Sehr zum Vergnügen der deutschen Radler. Unter den ausländischen Sportlern sorgte Lemke jedoch zunächst für Verwirrung, denn schließlich wollten sie ja auch über die vermuteten Radsportinformationen auf dem Laufenden gehalten werden. Alle Fahrer baten somit gleichzeitig via Äther um Übersetzung und verursachten so den Funkausfall. Walter Lemkes Begeisterung für den Radsport hat seine Wurzeln an der Haidhauser Wörthstraße.
Als Lehrling lieferte er sich Ende der 1940er-Jahre im Rondell der Wörthstraße zwischen Metz- und Pariser Straße erbitterte Radlduelle mit Freunden. Später war der 78-Jährige als aktiver Radsportler unterwegs, mit dem unnachahmlichen Talent »Rennen nicht zu gewinnen«, wie er erzählt. Aber die Materie fesselte ihn. Somit begann er, alles über den Radsport zu sammeln. Zirka 20 Jahre lang war er als »Tafelmann« bei vielen Rennen dabei. Und Lemke schrieb Bücher, wie die Biographie über Fausto Coppi, für die er zehn Jahre lang recherchiert hat. Die Ausstellung im Haidhausen-Museum mit zahlreichen Bildern über die Münchner Radsport-Geschichte, unter anderem den Radweltmeister und Flugzeugpionier Thaddy Robl (1877-1910) und Verweisen auf den Haidhauser Hochrad-Rennfahrer und Weltmeister Heinrich Roth (1869-1954) ist noch bis 18. April sonntags von 14 bis 18 Uhr sowie montags, dienstags und mittwochs jeweils von 16 bis 18 Uhr geöffnet.
Interessierte sollten sich vor allem die Termine der Führungen durch die Ausstellung mit Walter Lemke vormerken: 7. und 21. Februar sowie 7. und 21. März jeweils um 17 Uhr. K. Ossoinig