Veröffentlicht am 05.08.2008 00:00

Haidhausen · »Nein« zur Stammstrecke


Von red
Einer spricht und 300 Leute hören zu: Bei der Bürgerversammlung prallten Welten aufeinander, als Albert Scheller von der DB über die zweite S-Bahn-Stammstrecke referierte.	  (Foto: ak)
Einer spricht und 300 Leute hören zu: Bei der Bürgerversammlung prallten Welten aufeinander, als Albert Scheller von der DB über die zweite S-Bahn-Stammstrecke referierte. (Foto: ak)
Einer spricht und 300 Leute hören zu: Bei der Bürgerversammlung prallten Welten aufeinander, als Albert Scheller von der DB über die zweite S-Bahn-Stammstrecke referierte. (Foto: ak)
Einer spricht und 300 Leute hören zu: Bei der Bürgerversammlung prallten Welten aufeinander, als Albert Scheller von der DB über die zweite S-Bahn-Stammstrecke referierte. (Foto: ak)
Einer spricht und 300 Leute hören zu: Bei der Bürgerversammlung prallten Welten aufeinander, als Albert Scheller von der DB über die zweite S-Bahn-Stammstrecke referierte. (Foto: ak)

Der Hofbräukeller platzt aus allen Nähten, es hat gut über 30 Grad. Die Haidhauser gestikulieren wild während sie enthusiastisch diskutieren, argwöhnisch in Richtung der »Offiziellen« äugen und den Kopf schütteln. Analog zu den tropischen Temperaturen waren auch die folgenden Wortbeiträge der Haidhauser sehr hitzig.

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Kein Wunder erregt das Thema der außerordentlichen Bürgerversammlung die Gemüter sehr. Wie der Teufel das Weihwasser scheuen die Bewohner des 5. Stadtbezirks den Bau der zweiten S-Bahnstammstrecke.

Der Bezirksausschuss Au-Haidhausen hatte zu der außerordentlichen Versammlung geladen, um die Planungen der DB Projekt Bau GmbH vorzustellen. Dass den Haidhausern das Thema so ganz und gar nicht schmeckt, war gleich von Beginn an klar, als Albert Scheller zum Rednerpult trat und die Planungen der Bahn erläuterte. Besonders die zahlreichen offenen Baustellen zur Herstellung der Rettungsschächte bekundeten die anwesenden Haidhauser mit lauten Buh-Rufen. Ein Anwohner fragte im Anschluss nicht ohne Polemik: »Wie soll meine Familie das überleben?«

Der Haidhauser wohnt am Orleansplatz 14 und dort wird »die Belastung groß sein«, das gibt sogar Scheller zu. Vier Jahre lang wird der Platz eine einzige Baustelle sein, um den neuen unterirdischen Bahnhof zu erstellen.

Lärm, Verkehr, Parkplatznot – kurz: eine stark eingeschränkte Lebensqualität befürchten die Haidhauser auch durch die Baustellen in den Maximiliansanlagen, dem Bordeaux- und Johannisplatz sowie entlang der Orleansstraße. Der Vorsitzende der Bürgerinitiative »S-Bahn Tunnel Haidhausen«, Dr. Werner Heldmann, bringt es auf den Punkt und erntet tosenden Applaus: »Zwölf Jahre auf einer Baustelle leben – das lassen wir uns nicht bieten!«

Zwar versucht Scheller die Anwohner mit einer prognostizierten Zahl an Lkw-Fahrten pro Tag davon zu überzeugen, dass die Belastung weniger stark werde, als befürchtet, doch auch damit kann er die S-Bahn-Stammstrecken-Gegner nicht beeindrucken. Mit einer emotionalen und Ironie gespickten Rede heizte Ingeborg Michelfeit von der Bürgerinitiative die Stimmung weiter an und erntete uneingeschränkte Unterstützung aus dem Sitzungssaal. Man lasse sich nicht weiter als Spielball in einem Projekt missbrauchen, das kein Mensch brauche. Von einer »Luxus-S-Bahn-Trasse« spricht sie, die zu einem »Millionengrab« werde und »völlig am Bedarf« vorbei gehe.

Alternativen hat die Bürgerinitiative auch schon parat. Sowohl ein Ausbau des Südrings, als auch das von der Initiative selbst in Auftrag gegebene Konzept »City-Tunnel« werden als sinnvoller angesehen, »weil sie viel weniger kosten und die Bevölkerung weniger belasten«, so Heldmann. Auch den Antrag eines Bürgers, die U5 doch bis nach Pasing zu verlängern und damit eine U-Bahn-Alternative zum S-Bahn-Tunnel zu schaffen, unterstützt die Bürgerinitiative.

Und sie wollen weiter mobil machen gegen die Pläne der Bahn. »Noch ist das Projekt im Vorfeld eines Planfeststellungsverfahrens und es wurden bereits viele Anträge des BA’s inhaltlich behandelt und an die Bahn weitergegeben«, sagt Dr. Klaus Dengler von Planungsreferat.

Die Landeshauptstadt hat hier jedoch eingeschränkte Eingriffsmöglichkeiten, da der Freitstaat Bayern und der Bund die Auftraggeber des Projekts und die Deutsche Bahn der Bauherr ist. »Genauso wie jeder Bürger werden wir aber die Möglichkeit nutzen, Einwände einzugeben, sobald die Pläne öffentlich ausliegen und das wird wohl im Januar 2009 der Fall sein«, versichert Dengler.

Zufrieden waren die Bewohner nicht mit dieser Aussage. Grundsätzlicher Tenor der meisten Bürgeranfragen: Die Stadt setzt sich nicht ausreichend für unsere Belange ein.

Auch die Vorsitzende des BA 5, Adelheid Dietz-Will, kritisierte das aus ihrer Sicht mangelnde Engagement der Stadt. »Wir haben 15 Anträge eingereicht – keiner ist bislang bearbeitet worden!« Deshalb brachte die BA-Chefin kurzerhand selbst einen Antrag ein und forderte: »Es dürfen keine Rettungsschächte in Grünanlagen gebaut werden.« Schließlich habe man nicht jahrelang für die Flächen gekämpft, um sie dann wieder kaputt machen zu lassen.

Zum Thema Rettungsschächte referierte Scheller sehr ausführlich. Für jede einzelne Baustelle stellte er genau dar, welche Fläche die Arbeiten beanspruchen werden, gab die Zahl der Lkws pro Tag für Ver- und Entsorgung und die genaue Bauzeit an.

Im Einzelnen:

Ostast: Maximiliansanlagen: Bauzeit: 2,5 Jahre, Lkw-Belastung: Entsorgung 20 Lkw/Tag, Versorgung: 45 Lkw/Tag;

Bordeauxplatz: Bauzeit: 1,5 Jahre, Lkw-Belastung: Entsorgung 12 Lkw/Tag, Versorgung: 4 Lkw/Tag;

Orleansstraße: Bauzeit: 1,5 Jahre, Lkw-Belastung: Entsorgung 12 Lkw/Tag, Versorgung: 4 Lkw/Tag;

Haidenauplatz: Bauzeit: 6 Jahre, Lkw-Belastung: Entsorgung 30 Lkw/Tag plus 2,5 Züge/Tag, Versorgung: 30 Lkw/Tag plus 2 Züge/Tag; Südast: Johannisplatz: Bauzeit: 1,5 Jahre, Lkw-Belastung: Entsorgung 12 Lkw/Tag, Versorgung: 4 Lkw/Tag;

St.-Martin-Straße: Bauzeit: 3,5 Jahre, Lkw-Belastung: Entsorgung 40 Lkw/Tag, Versorgung: 4 Lkw/Tag.

Der Bau der zweiten S-Bahn-Stammstrecke wird die Haidhauser wohl noch viele Jahre beschäftigen. Ehrgeiziges Ziel der Stadt: 2018 zu den Olympischen Winterspielen in München soll die Röhre fertig sein. Weitere zeitliche Angaben waren den Verantwortlichen nicht zu entlocken – zumal es ja durchaus sein kann, dass die Spiele auch nicht in München stattfinden. Und was dann?

Andrea Koller

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