Rainer Maria Schießler ist der wohl unkonventionellste Geistliche und Pfarrer von St. Maximilian, jener großen Kirche im Glockenbachviertel am Ufer der Isar. Schon vom Äußerlichen her hat Rainer Maria Schießler wenig gemeinsam mit dem Bild, das man sich gemeinhin von einem katholischen Pfarrer macht.
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Er steht da in bequemen Hosen, T-Shirt und Windjacke, spricht schönes, breites Bayerisch und ist auf dem Radl oder dem Motorrad unterwegs. Und auch das, was er tut, ist mitunter für einen Geistlichen durchaus ungewöhnlich: So kellnert er seit einigen Jahren während seines Urlaubs auf dem Oktoberfest und spendet das Geld, das er während der 16 Tage Wiesnzeit verdient, für das Aidswaisen-Hospiz von Lotti Latrous an der Elfenbeinküste.
Christsein heißt Nachfragen
Heuer wird es das fünfte Mal sein, dass er im Schottenhamel-Zelt bedient und er freut sich schon jetzt drauf: Der Wiesn-Virus hat mich gepackt. Ich koste jede Minute aus. Er trägt 15 Maß Bier, aber er hört auch den Leuten zu, die sich an ihn wenden. Ich habe mich nie aufgedrängt. Sie kommen von sich aus. Das verstehe ich unter kirchlichem Dienst.
Schießler ist einer, der seine Kirche füllt, in Zeiten, in denen anderswo die Gläubigen in Scharen davonlaufen, einer, der nicht von der Kanzel predigt sondern sich mitten unter seine Schäfchen stellt, und er ist einer, der kein Blatt vor den Mund nimmt. Seine Gemeinde liebt ihn dafür, dass er auch heikle Themen anspricht. Christ sein heißt von Anfang an immer auch Nachfragen und Protestieren, da wo die Umstände es erfordern, hat er einmal in einer seiner Kolumnen geschrieben.
Im Ordinariat sind seine Aktionen und seine Äußerungen dagegen nicht sonderlich beliebt. Kritik aus den eigenen Reihen ist offensichtlich nicht erwünscht. Eine seiner klaren Aussagen hat ihm bereits eine Abmahnung eingebracht. Und dennoch ist es diese Institution, um die er auf seine Weise kämpft, von der er sich wünscht, dass sie ihren Staub abschüttelt und endlich in der Gegenwart ankommt.
Prägend sei für ihn sein erster Einsatz als Ministrant in Zwölf Aposteln gewesen, erzählt der Pfarrer von St. Max. Er sei so aufgeregt gewesen, dass er sich vor dem Altar übergeben musste. Fürchterlich geschämt habe er sich und dann sei er davongelaufen, in der Angst sich dort nie wieder blicken lassen zu können. Aber der damalige Pfarrer Elmar Gruber habe ihn wieder zurückgeholt. Da hast du ja alles gegeben, habe er nur gesagt und die Erfahrung, dass da einer ist, der einem nachläuft, der einen nicht allein lässt, dem es wichtig ist, dass man zurückkommt, habe sich bei ihm festgesetzt.
Kirche ist eine Gemeinschaft, die die Menschen auffängt, das habe er als Heranwachsender erlebt, und das habe sein Bild von der Kirche geformt. Und nach diesem Leitgedanken handelt der 49-Jährige. Jeder Einzelne in seiner Gemeinde ist ihm wichtig. Es hat sich gelohnt, wenn ich den Menschen vermitteln kann, das Leben zu lieben.
Warum er damals eigentlich Ministrant werden wollte, weiß Schießler heute nicht mehr. Als kleines Kind sei er sehr unruhig gewesen und eigentlich nicht sehr gerne in die Messe gegangen. Aber dann sei die Kirche eine wirkliche Heimat für ihn geworden. Und diese Heimat will er auch all den Gläubigen bieten, die zu ihm kommen. Man muss 24 Stunden am Tag da sein. Wenn ihm ein Kind sagt, es habe eine Fürbitte geschrieben, dann darf es diese natürlich vorlesen. Die Jugendlichen, die in der Gemeinde mitarbeiten, bekommen einen Schlüssel fürs Pfarrheim. Das ist Grundvertrauen. In seiner Kirche wird nach der Christmette gemeinsam gefeiert und zwar richtig fröhlich gefeiert. Er weist keinen Taufpaten ab, der aus der Kirche ausgetreten ist und er weiß sehr wohl, dass viele Gläubige, die bei ihm zur Kommunion gehen, nicht der katholischen Kirche angehören. Die Unterschiede zwischen den Kirchen sind künstlich, sagt er und fügt hinzu: Ich gehe einen Weg, der wichtig ist. Und wie um das Ganze noch zu bestätigen: Am Ostersonntag waren 900 Leute beim Hauptgottesdienst.
Mit den Menschen ackern
Rainer Maria Schießler ist ein Priester, der aus der Reihe tanzt, einer, dem Menschen wichtiger sind als Vorschriften. Dass er in seiner Kirche keine Aufstiegsmöglichkeiten hat, ist ihm sonnenklar. Aber das ist ihm auch nicht wichtig. Ich weiß, dass die im Ordinariat kochen, sagt er. Das muss mir wurst sein. Ich stehe in der Tradition des Jesus von Nazareth, der sich mit der Klientel der Priester angelegt hat. Die Kirche müsse endlich verstehen, dass sie nur ein Sinnangebot unter vielen sei. Sie könne den Menschen heute nicht mehr vorschreiben, wie sie leben sollen, und sie habe noch nicht verstanden, dass man mit den Menschen ackern müsse. In diesem Acker ist noch so viel drin, aber wir versperren uns selbst die Möglichkeiten. Die Kirche muss keine Angst vor neuen Wegen haben. Von Brigitte Bothen