Veröffentlicht am 09.11.2020 09:17

„Lehrer sind zu alleine gelassen”


Von Tanja Beetz
Foto: job
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Zu wenig Lehrer, Unterrichtsausfall und jetzt auch noch Corona: Die Schulen standen und stehen immer wieder vor großen Herausforderungen. Wie sieht es an den Schulen derzeit aus? In welchen Fächern gibt es Bedarf an Lehrkräften, wie werden Ausfälle überbrückt und was wünscht man sich von der Politik?

„Mehr Springer wären sehr hilfreich in München. Dazu gehört zwingend aber auch die Vermeidung von Lücken. Alle Lehrerfortbildungen finden in den Kern-Unterrichtszeiten am Vormittag statt und führen direkt zum Unterrichtsausfall”, sagt Michael Wiedemann, stellvertretender Elternbeiratsvorsitzender am Thomas-Mann-Gymnasium (TMG). „Ich glaube, wenn Fortbildungen nur noch außerhalb der Unterrichtszeiten erfolgen würden, hätten wir 50 Prozent weniger Lücken zu überbrücken. Der Einsatz von Microsoft-Teams war super an unserer Schule. Wenigstens fand der Unterricht dadurch in der Corona-Hochzeit wieder statt und dazu ,mussten' alle Lehrer an der Schule sich endlich mit solchen Tools beschäftigen.” Dies sei ein großer Erkenntnisgewinn für alle, so Wiedemann. „Corona sei Dank.”

Corona, Stundenausfall, Lehrermangel: die Schulen sind ziemlich gefordert. Die Münchner Wochenanzeiger sprachen mit Michael Wiedemann, stellvertretender Elternbeiratsvorsitzender am Thomas-Mann-Gymnasium (TMG), der im Namen des Elternbeirats unsere Fragen beantwortete.

„Strukturelle Fehler”

Hat die Corona-Pandemie den Lehrermangel verschärft?

Michael Wiedemann: Nicht wirklich, aber die strukturellen Fehler wurden noch stärker sichtbar. Fehlende Ausbildung (und zum Teil Bereitschaft) in Bezug auf den Einsatz von IT-Methoden/ Tools im Unterricht.

„Es fehlen vorwiegend Springer”

Wünschen Sie sich mehr Lehrer?

Michael Wiedemann: Nein, wir haben eigentlich genug. Es fehlen vorwiegend Springer, die bei Ausfällen einspringen, als auch eine unternehmerisch denkende Regelung, die Lehrerfortbildungen in den Kern-Unterrichtszeiten komplett untersagt, die dann nämlich zum zusätzlichen Lehrerausfall führen. Das sind die Standardprobleme an unserer Schule.

„Nicht mehr so motiviert”

Welche Fächer sind gut aufgestellt, welche nicht so gut?

Michael Wiedemann: Alle Fächer sind ziemlich okay. Schulleitungen haben bei naturwissenschaftlichen Fächern immer mal Probleme Lücken zu füllen. Problem ist aber eher, dass die Lehrer, die aus verschiedensten Gründen nicht mehr so motiviert sind, machen können was sie wollen, da sie unkündbar sind. Es gibt einige, die sich hängen lassen oder ihr einmal erstelltes Unterrichtskonzept immer wieder ohne Aktualisierung durchziehen. Weil es halt bequemer ist und automatisch zu mehr Freizeitgewinn führt. Die Motivation es sich einfacher zu machen führt automatisch zu mehr Freizeit. Lehrer werden also mit Freizeit belohnt, die weniger in ihre Vorbereitung stecken. Das ist ein systemimmanentes Problem. Es wäre ein schlauer Weg eine Präsenzpflicht für Lehrer an acht Stunden pro Tag einzuführen. Dann würde sich dieses Problem erledigen, da es keinen Freizeitgewinn mehr gibt. Dazu würden aber für Lehrer an der Schule auch Arbeitsplätze notwendig sein.

„Mehr Kompetenzen an die Schulleiter”

Was fordern Sie von der Politik?

Michael Wiedemann: Den Schulbetrieb unternehmerischer zu führen. Mehr Kompetenzen an die Schulleiter abgeben, damit diese Personalentscheidungen intelligenter treffen und Steuerung durch Motivation und Kontrolle im Lehrkörper besser ausüben und umsetzen können. Viel mehr IT-Support an Schulen. Lehrer sind zu alleine gelassen. Die Stadt München hat jahrelang alles verschlafen, verzögert, verträumt ... aktiv unterdrückt. Bis heute haben die Lehrer am TMG noch nicht mal eine e-Mail-Adresse, unter der sie erreichbar sind.

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