Vor diesem Tag hatten sich die Hertie-Mitarbeiter gefürchtet: Am Nachmittag des vergangenen Samstag um 16 Uhr schloss das Kaufhaus in der Fürstenrieder Straße seine Türen. Für immer! Um 16.35 Uhr versammelten sich die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vorm Eingang, „um Abschied zu nehmen.” Sie entzündeten Grabkerzen und stellten sie – zu einem „AUS“ geformt – vor ihrem jetzt ehemaligen Arbeitsplatz auf. Einige Frauen lagen sich weinend in den Armen und auch gestandene Männer kämpften mit den Tränen. Schweigend hingen sie ihren Gedanken nach. Der achte August 2009 ist nicht nur für die 37 Angestellten des einstigen Kaufhauskonzerns ein schwarzer Tag. Er ist es auch für den Stadtteil Laim. Das Viertel hat kein Kaufhaus mehr. Was dazu führen werde, so fürchten Laimerinnen, Laimer und nicht wenige Geschäftsleute, dass die Fürstenrieder Straße, die „Einkaufsmeile” des Quartiers, veröden wird.
Die bewegenden Szenen rührten auch die Bewohner Laims, die „ihrem” Kaufhaus „das letzte Geleit” gaben. Sie sind über das endgültige Aus der zahlungsunfähigen Warenhauskette ebenso fassungslos wie deren Ex-Beschäftigte. „Wir haben gehofft, gekämpft, verloren. Wir Hertie-Mitarbeiter verabschieden uns für immer von der Laimer Bevölkerung“, war an den Schaufenstern plakatiert. Vor zehn Tagen hatte der „Countdown“ für die Schließung begonnen. Am Samstagnachmittag fand nicht nur in Laim eine Ära ihr Ende. Etwas später, um 18 Uhr, gingen in Giesing die Lichter von Hertie aus. Hoffen dürfen die Leute in Fürstenried. Dort ist Günter Dechant, Geschäftsleiter der Filialen in Laim und Fürstenried, dabei, zu versuchen, das Kaufhaus mit Partnern als GmbH weiterzuführen.
Hertie Laim teilt sein Schicksal mit Filialen in vielen deutschen Städten. Am Samstag machte die Hälfte der bis zu dem Zeitpunkt noch bestehenden 50 Hertie-Kaufhäuser dicht. Bis zum 15. August soll für die verbliebenen gleichfalls Schluss sein, teilte der Gesamtbetriebsratsvorsitzende Bernd Horn mit. „Leider waren wir am Ende nur ein Spielball der Interessen von Banken, Immobilieneigentümern und Politikern“, sagte er vor Pressevertretern. Wer von den Kurzzeit-Inhabern des Unternehmens, der britischen Investmentgruppe „Dawnay Day“ auf die Straße gestellt worden sei, werde nicht nur arbeitslos, er habe sich damit abzufinden, dass er nicht abgefunden werde oder irgendwelche sonstigen Ausgleichszahlungen erhalte. „Das ist für uns alle ein sehr emotionaler Tag“, erklärte, um Fassung ringend, Günter Dechant. Und: „Es ist sehr schwer, die Leute gefühlsmäßig aufzufangen.“ Sie wollten sich zurückziehen, um sich bei einem Essen voneinander zu verabschieden.
„Hertie ist tot! Das ist eine Sauerei. Ich habe hier alles bekommen. Und das zu fairen Preisen. Das ist ein großer Verlust.“ Der Kunde, der mit mehreren Einkaufstüten am Samstag, kurz nach 16 Uhr das Laimer Warenhaus verlässt, ist sowohl aufgebracht als auch traurig über die Schließung des Kaufhauses. Viele Kunden wollten es nicht wahrhaben, dass Hertie seine Pforten für immer geschlossen hat. Stets aufs Neue mussten Sicherheitskräfte viele von ihnen zurückweisen. Ein Schnäppchen machte kurz vor Toresschluss eine Kundin aus Forstenried. „Ich habe hier die Nähseiden gefunden, die ich schon seit langem gesucht habe.“ Auch sie bedauert das Ende des Kaufhauses. Wäre es zu verhindern gewesen, hätte sie gern auf ihre Nähseiden verzichtet. Ihr Mitgefühl gilt den jetzt Arbeitslosen. „Gott sei Dank kriege ich Rente und muss keine Angst mehr haben, arbeitslos zu werden.“ Betrübt ist ebenfalls Christian Gerle. Er betreibt im Hertie-Gebäude seit 22 Jahren einen Zeitungs-Kiosk: „Das ist mein halbes Leben.“ Doch nun soll er raus. Gerle will, „wenn’s sein muss”, juristisch um seinen Laden kämpfen. Der 45-Jährige: „Ich bleibe hier, so lange es geht.“
Am Samstagvormittag hatte der SPD-Ortsverein Laim den Hertie-Mitarbeitern die Fahnenstange gehalten. Der Vize-Vorsitzende Werner Brandl hielt Fahnenwache vor einer Trauertafel. Auf der stand: „Hertie Adieu – Warum?“ Auf einer „Bodenzeitung“ mit dem Slogan „Das will ich“ konnten Passanten äußern, was sie zu dem Vorgang meinen. „Zur Infrastruktur von Laim gehört ein Kaufhaus, in dem man alles kaufen kann“, hatte jemand geschrieben. Ein anderer notierte: „Hier keine Spielhalle.“ Wie beim ehemaligen Beck-Haus, das seit über 20 Jahren eine Ruine ist und in das nach einem Umbau eine Spielhalle einziehen soll, befürchtet auch der Bezirksausschuss, dem Hertie-Gebäude könne das gleiche Schicksal blühen. Als die SPD in Laim die Leute vor einiger Zeit fragte: „Warum brauchen wir in Laim ein Kaufhaus?“ fand sich unter anderem die Antwort: „Laim ist ein Dorf und ein Dorf braucht ein Kaufhaus.“ Geht es nach der „Bucher Properties GmbH“ und der „Development Partner AG“ – die haben das Haus an der Fürstenrieder Straße erworben – wird das Gebäude abgerissen werden. Bis Ende 2011 soll, falls alles planmäßig läuft, stattdessen ein Zentrum mit Läden und Gastronomie entstehen.