Telefonterror, andauernde Belästigung per E-Mail, Liebesbekundungen, die keine Ende nehmen wollen, und ständig die Angst, dass der Verfolger einem auflauert – für Opfer von Stalking ist Freiheit ein Fremdwort. Erika Schindecker hat Stalking vor sechs Jahren selbst erlebt. Um anderen zu helfen, gründete sie 2005 den Verein „Deutsche Stalking-Opferhilfe“ (DSOH). Zum Tag des Ehrenamtes am 5. Dezember 2009 zeichnete Bundespräsident Horst Köhler sie in Schloss Bellevue in Berlin für ihre ehrenamtlichen Verdienste mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland aus.
„Die Unternehmerin hat sich in einer Vielzahl von Ehrenämtern auszeichnungswürdige Verdienste erworben“, so Köhler in seiner Laudatio. Schindecker ist unter anderem als Mitglied des Mittelstandsauschusses der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft und als Mitglied der Vollversammlung der Industrie- und Handelskammer für München und Oberbayern aktiv. „Von besonderem Gewicht ist ihr Engagement für Stalking-Opfer“, so Köhler weiter. „Als selbst Betroffene war sie Mitgründerin der Deutschen Stalking-Opferhilfe, deren Vorsitzende sie ist. Der Verein berät und unterstützt Opfer und bietet Selbstsicherheitstrainings an. Nachdrücklich setzte sie sich auch für das im Jahre 2007 in Kraft getretene Gesetz zum strafrechtlichen Schutz von Stalking-Opfern ein.“
„Dass mich der Bundespräsident nach Berlin eingeladen hat, um mir das Verdienstkreuz persönlich zu überreichen, ist eine besondere Würdigung“, sagt Erika Schindecker. Sie erhofft sich durch die Auszeichnung mehr Aufmerksamkeit für ihre Arbeit bei der Stalking-Opferhilfe. „Leider erhält die Deutsche Stalking-Opferhilfe keine öffentlichen Mittel.“ Dabei bräuchte der Verein dringend Mitarbeiter, um die anfallende Arbeit zu erledigen. „Ich opfere so gut wie meine gesamte Freizeit für diese Arbeit. Ich verstehe nicht, warum das nicht honoriert wird.“ Die 57-Jährige hat das Gefühl, dass Stalking oft nicht erkannt und herunter gespielt wird. „Das Problem ist: Man sieht die Folgen von Stalking nicht.“ Ihre Bitte an die Politik: die Mittel anders zu gewichten. „Ich habe das Gefühl, dass immer die selben gefördert werden“, sagt Schindecker verärgert. „Manche gemeinnützigen Institutionen wissen nicht, wie sie ihr Geld zum Jahresende aufbrauchen sollen, während wir keine Zuwendungen bekommen.“
„Seitdem sich herumgesprochen hat, dass Stalking ein Straftatbestand ist, trauen sich die Opfer mehr, sich zu offenbaren und über ihr Schicksal zu sprechen“, stellt Erika Schindecker fest. „Wir haben auch mehr Anfragen von Ausländern.“ Bei ihnen spiele oft auch häusliche Gewalt eine Rolle. „Das sind die kritischsten Fälle“, so die 57-Jährige. „Aber immer mehr haben den Mut, etwas zu unternehmen.“ Auch die Bürger seien inzwischen besser über das Thema Stalking informiert. „Nach Medienberichten gibt es stets vermehrt Anfragen“, berichtet Schindecker. „Der Bedarf ist also da – viele wissen nur nicht, wohin sie sich wenden sollen.“
Das Umfeld der Opfer nehme das Thema inzwischen auch ernst. „Das war vorher nicht so“, erläutert Schindecker. „Dabei ist es sehr wichtig für die Opfer, dass sie auf Verständnis stoßen.“ Jeder müsse aufmerksam sein, auch am Arbeitsplatz. „Wir hatten auch schon Anrufe von Firmenchefs, deren Mitarbeiter von Stalking betroffen waren, weil einer einen Kollegen gestalkt hat. Dass sich Vorgesetzte bei uns melden, finde ich gut. Auch bei Arbeitgebern muss es mehr Sensibilität für dieses Thema geben.“ Für Erika Schindecker ist Stalking sogar schlimmer als Mobbing. „Wer gemobbt wird, kann immerhin abends aus der Firma gehen und hat dann seine Ruhe. Ein Stalking-Opfer kann kein normales Leben mehr führen, wird ständig verfolgt und terrorisiert“, so die Münchner Geschäftsfrau. „Dadurch, dass sich viele Opfer nicht öffnen und den Täter gewähren lassen, erleiden sie einen enormen seelischen Schaden, der bis hin zu einer posttraumatischen Belastungsstörung gehen kann.“
Die Deutsche Stalking-Opferhilfe bietet regelmäßig auch Selbstsicherheitstrainings gegen Stalking an. „Das ist der erste Schritt. Damit wollen wir die Person stärken“, so Schindecker. Bei dem Training erfahren die Opfer, dass sie nicht alleine sind mit ihrem Schicksal. „Das ist wichtig. Ich habe damals auch gedacht, ich sei die Einzige mit diesem Problem. Man traut sich als Opfer oft nicht, sich mitzuteilen.“ Bei dem Training bekommen die Teilnehmer auch Tipps, was sie gegen das Stalking tun können. Bei Bedarf verweist die DSOH sie an die Opferschutzstelle der Polizei. „Die Beamten dort arbeitet hervorragend, da haben wir sehr gute Erfahrungen gemacht“, berichtet Erika Schindecker. Wenn Polizisten sie direkt ansprächen, beeindrucke das viele Täter. „Sie lassen dann von ihrem Opfer ab.“ Doch gerade im ländlichen Bereich sei die Polizei noch viel zu wenig informiert. „Die Polizisten haben oft kein Ohr für die Opfer, erkennen die Gefahr nicht“, so Schindecker. „Da herrscht unserer Erfahrung nach noch Aufklärungsbedarf, die Beamten sind diesbezüglich zu wenig ausgebildet. Dadurch verlieren viele Opfer den Mut, etwas zu unternehmen.“
Stalking-Opfer können sich bei der DSOH zu folgenden Zeiten telefonisch beraten lassen: Montag von 9 bis 12 Uhr unter Tel. 0151/52065209, von 20 bis 22 Uhr unter Tel. 0170/1087879; Dienstag von 17 bis 19 Uhr unter Tel. 0171/9293030; Donnerstag von 19 bis 21 Uhr unter Tel. 0151/52065206 ; Freitag von 16 bis 18 Uhr unter Tel. 0151/52065203. Das nächste Selbstsicherheitstraining gegen Stalking findet voraussichtlich im Frühjahr 2010 im King's Hotel (Dachauer Str. 13) statt und ist für Opfer kostenlos. Anmeldung mit Name, Anschrift und Telefonnummer per Fax unter 2607881 sowie per E-Mail an: info@deutsche-stalkingopferhilfe.de. Die DSOH informiert die Teilnehmer dann über den genauen Termin. Die DSOH plant auch den Aufbau einer Selbsthilfegruppe für Stalkingopfer. Nähere Auskünfte dazu gibt es in der DSOH-Geschäftsstelle (Sendlinger Str. 21) unter Tel. 0170/8878233. Weitere Informationen gibt es im Internet unter www.deutsche-stalkingopferhilfe.de .
Obwohl Erika Schindecker mit ihrem Verein den Opfern hilft, findet sie es auch wichtig, dass die Täter Hilfe bekommen. „Es wird noch zu wenig für die Täter getan. Viele von ihnen haben eine Persönlichkeitsstörung.“ Sie zu verurteilen oder wegzusperren reiche nicht aus. „Sie müssen genauso eine Therapie bekommen wie Sexualstraftäter“, fordert Schindecker. In Berlin gibt es die bundesweit einzige Beratungsstelle für Menschen, sie stalken. „Stop-Stalking – wieder selbstbestimmt leben“ bietet Online- und persönliche Beratung an. Erste Informationen gibt es Montag bis Freitag von 9 bis 15 Uhr unter Tel. 030/39790898 sowie im Internet: www.stop-stalking-berlin.de .