Wer verbindet in seinen ersten Gedanken die bayerische Lan- deshauptstadt München mit Migration? Wer an München denkt, assoziiert eher das Oktoberfest, den Olympiapark oder bayerische Gemütlichkeit und Traditionspflege. In der bundesdeutschen öffentlichen Wahrnehmung ist München als drittgrößte Einwanderungsstadt Deutschlands kaum bekannt im Unterschied zu Berlin, das als die vibrierende, multikulturelle Metropole gilt, doch nur auf Platz sieben der Städteliste rangiert.
im Unterschied zu Berlin, das als die vibrierende, multikulturelle Metropole gilt, doch nur auf Platz sieben der Städteliste rangiert. In München leben mittlerweile Menschen aus 180 Nationen, 23 Prozent der Stadtbevölkerung sind nicht in Deutschland geboren oder haben Eltern, die zugewandert sind. Damit beschäftigt sich das Forschungs- und Ausstellungsprojekt »Crossing Munich«. Vom 10. Juli bis 15. September (11 bis 19 Uhr, Eintritt frei) sind die Ergebnisse von »Crossing Munich« in der Rathausgalerie zu sehen.
14 künstlerische Installationen erzählen Geschichten von migrantischen Lebensrealitäten, Mobilitätspraktiken, transnationalen Ökonomien und Protesten historisch und gegenwartsbezogen. Sie erzählen auch, wie verschiedene politische und wohlfahrtsstaatliche Institutionen die Bewegungen der Migration über die Jahr- zehnte zu steuern, zu stoppen, zu verwalten und zu managen, zu nutzen und als multikulturellen Standortfaktor ins Stadtmarketing zu integrieren versuchen.
Im historischen Gedächtnis von Migranten und Migrantinnen, vor allem jener, die im Zusammenhang mit dem sogenannten Gastarbeitersystem seit Mitte der 1950er-Jahre nach Deutschland kamen, nimmt München einen besonderen Platz ein. Am Gleis elf des Hauptbahnhofs hielt ein Großteil der Sonderzüge, mit denen die Bundesanstalt für Arbeit damals die angeworbenen »Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter« transportieren ließ. So prägen Erinnerungen über die ersten Nächte im Bunker unter der Erde des Hauptbahnhofs, der als zentrale Anlaufstelle für die Ankommenden ausgebaut wurde, auch zahlreiche Familienbiografien von Migrantinnen und Migranten in ganz Deutschland. Doch die zugewanderten Menschen blieben nicht unter der Erde oder in den ihnen zugedachten »Wohnheimen« am Rande der Stadt, vielmehr eigneten sie sich nach und nach ihre zweite Heimat an.
Das Projekt »Crossing Munich« erkundet mit Mitteln der Kunst und der Wissenschaft Geschichte und Gegenwart der Migration in München jenseits gängiger Debatten um Integration und Ethnizität in der gegenwärtigen öffentlichen Diskussion und jenseits gängiger Wahrnehmungsweisen von Migration als Bedrohung oder als Bereicherung. »Crossing Munich« ist ein Kooperationsprojekt des Kulturreferats der Landeshauptstadt München und des Instituts für Ethnologie, dem Institut für Volkskunde/ Europäische Ethnologie und dem Historischen Seminar der Ludwig-Maximilians-Universität München und weiterer Partner. In einem einmaligen kooperativen Prozess zwischen 25 Forscherinnen und Forschern der Ludwig-Maximilians-Universität München und 16 Künstlerinnen und Künstlern aus München, Wien und Zürich ist das forschende Ausstellungsprojekt »Crossing Munich« entstanden.
Die Studierenden, Doktorandinnen und Doktoranden haben sich drei Semester lang mit aktuellen migrationswissenschaftlichen Debatten auseinandergesetzt und unter wissenschaftlicher Beratung eigene Forschungsansätze entwickelt. Sie sind in Archive und ins »Feld« gegangen. Die entstandenen Einzelprojekte haben die Forscherinnen und Forscher an verschiedene Orte, in Szenen und Milieus der Münchner Stadtgesellschaft geführt, aber auch nach Istanbul, in den Kosovo oder nach Antwerpen.